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Von Pop bis Folk: Neue Musik für die kalte Zeit

IMAGO / Avalon.red, IMAGO / Avalon.red, IMAGO / Pacific Press Agency (von links)
Der Herbst und Winter haben viel tolle Musik zu bieten: The Last Dinner Party, Big Thief, Annahstasia. (von links)
In der Literatur symbolisiert der Herbst oft das Altern: Ein Thema, das die Indie-Folk-Band Big Thief in „Incomprehensible“ aufgreift. Songwriterin und Frontfrau Adrianne Lenker reflektiert in dem Song ihren 33. Geburtstag, die ersten grauen Haare und die Zweifel, die damit kommen. Doch am Ende versteht sie: Älter werden ist so schön wie die „Falten eines Flusses“ oder die farbigen Blätter im Herbst.
Das Album ist dazu trotzdem ein bisschen weniger verkopft als andere Veröffentlichungen von Big Thief: Vor allem in der zweiten Hälfte von „Double Infinity“ liegt der Fokus auf der rustikalen Instrumentierung, die einen Kontrast bildet zu seltenen elektronischen Sounds. Die Experimente funktionieren und Adrianne Lenkers Texte überzeugen auch dann, doch sie gehen einen Schritt zurück, wenn ein Song es verlangt.
Wer ein theatralisches und ein wenig makaberes Album für Halloween sucht, ist bei „From The Pyre“ von The Last Dinner Party richtig. Die Band ist vergangenes Jahr durch ihren TikTok-Hit „Nothing Matters“ bekannt geworden. Dabei machen sie aber keine Musik, die nur für die sozialen Medien gedacht ist. Im Gegenteil: The Last Dinner Party macht Baroque Pop, also aufwendige und komplexe Lieder mit orchestralen Arrangements.
Beziehungschaos wird in der Single „This Is The Killer Speaking“ zu einem spannenden Krimi weiterverarbeitet. Das Highlight „Woman Is A Tree“ spielt geschickt mit Geschlechterklischees. Und alles wird untermalt von großartigem Gesang, epischen Gitarren und Liedern, die dynamisch und natürlich zu gigantischen Produktionen anwachsen.
Regen, Schnee oder anderes bescheidenes Wetter? Kein Wunder, dass viele in den kalten Monaten lieber daheim bleiben und sich in den Untiefen des Internets verstecken. Die australische Sängerin und Produzentin Ninajirachi liefert mit „I Love My Computer“ den perfekten Soundtrack für endloses Scrollen und feiert so in ihrem Heimatland einen Erfolg nach dem anderen.
Mit einer Mischung aus dem bunten Pop der frühen 2000ern und experimentellem EDM bastelt die Musikerin Lieder vollgestopft mit Nostalgie für das frühe Internet, spielt auf versteckte digitale Nischen an und singt in „Delete“ darüber, wie sie mit ihrem Crush per Instagram-Story flirtet. Jeder Chorus ist ein Ohrwurm, viele Lieder enden in einer lauten Explosion von glitzernden Synthesizern und hyperaktivem Schlagzeug.
Wem der Winter noch nicht deprimierend genug ist, sollte bei For Those I Love reinhören. Das neue Album „Carving The Stone“ des irischen Musikers beschreibt die kalte Realität von Dublin, einer Stadt, die hier wie eine ausgehöhlte Hülle wirkt. Über stotternden Synthesizern, die wirken, als würden sie über sich selbst stolpern oder zu unüberwindbaren Bergen anwachsen, beschreibt Musiker David Balfe die Stadt als „formlos, zusammengehalten von Überwachung und Vapes“. Er erzählt, wie die Mittelklasse durch hohe Mieten aus Dublin gedrängt wird und wie Menschen die Hoffnung verlieren.
Es ist ein erschlagendes, aber großartiges Album, das zahlreiche Themen und Emotionen einfängt und den Zuhörer herausfordert: Kannst du die Hoffnung in grauer Realität finden?
Die Stimme von Newcomerin Annahstasia ist wie eine gute Tasse Tee: wärmend, beruhigend, kraftvoll. Sie klingt zerbrechlich und unerschütterlich, emotional ehrlich und abweisend. Auf ihrem Debüt-Album „Tether“ trifft die Musikerin deshalb die Entscheidung, sich oft nur durch minimalistische Produktion unterstützen zu lassen und mit diesen Gegensätzen zu spielen. Sanft gezupfte Gitarren, entspannende Violine – das war’s oft schon.
Auch die Texte sind so bedacht wie die komplexen und ausdrucksstarken Melodien, die Annahstasia singt: Mit viel Detail beschreibt sie Herzschmerz, Trauma und unerschütterliche Liebe. Dabei wirkt sie fast wie eine gute, vertraute Freundin, die den Zuhörer trösten möchte – oder, im Gegenteil, auch manchmal dringend jemanden zum Trösten braucht.









