Da geht der Punk ab
Die Rollergirls zeigen, dass Frauensport mehr ist als Ballett

Beim Sport Roller Derby ist viel Durchsetzungsvermögen gefragt. Der Spaß steht dabei aber an erster Stelle. (Fotos: Munich Rolling Rebels)
Dribbeln, Kniebeugen, Liegestütze, aufstehen, hinwerfen, dann wieder aufstehen - und das alles auf Rollschuhen: Die Munich Rolling Rebels haben heute Technik- und Konditionstraining - und für Roller Derby benötigt man beides.
Eigentlich, sagt Anna Henneke, ist sie nicht die Sportlichste. Früher ist sie einmal geritten, sagt sie, aber abgesehen davon hat sie vor Roller Derby keinen anderen Sport gemacht. Jetzt geht sie, wenn möglich, in jedes Training der Munich Rolling Rebels. Roller Derby hat ihr Leben verändert. Ihr Lächeln ist aufmunternd, ihre Augen wach und sie grüßt mit einem offenen "Hallo". Roller Derby macht die Spielerinnen selbstbewusst - auch, weil sie gelernt haben, dass nach jedem Sturz wieder Aufstehen angesagt ist.
Sieht man sich zum ersten Mal ein Roller-Derby-Match an, kommen einem sofort zwei Gedanken: Zum einen, dass es auf dem Sporthallenboden sehr chaotisch zugeht, zum anderen, dass die Mädels alles andere als zimperlich miteinander umgehen. Knieschützer, Ellenbogenschützer, Mundschutz und Helm sind Grundvoraussetzungen für jedes Spiel. Trotzdem kommt es auch mit ihnen oft genug zu blauen Flecken. Die Spielerinnen - die Rollergirls - haben martialische Namen wie "Space Cadet", "Shauni McPain", "Catzilla" oder - wie Anna - "Bloodfest at Tiffany's". Sie verweisen auf die Punk- Rockabilly- und "Riot Grrl"-Szenen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Atmosphäre des Sports hatten.
Um überhaupt an einem Wettkampf teilzunehmen, muss eine Spielerin zuerst einen Test absolvieren, in dem sie zeigt, dass sie mit Rollschuhen laufen, richtig hinfallen und diverse andere Manöver beherrschen kann. Roller Derby ist ein Vollkontaktsport - und die Mädels auf dem Feld lieben ihn. Es kann schon einmal vorkommen, dass sich die Spielerinnen im Eifer des Gefechts verkeilen und mit Schwung auf den Boden schicken. Doch kaum stellen sich die Rollergirls zum nächsten Spielabschnitt auf, tanzen die Kontrahentinnen, die sich gerade noch in den Haaren gelegen sind, gemeinsam zu den Songs, die aus den Lautsprechern kommen. Die gute Laune der Mädels steckt das Publikum auf den Rängen an: Freunde und Fans feuern ihre Mannschaft an, singen mit und applaudieren bei jedem erfolgreichen Spielzug. Und wenn die gegnerische Mannschaft vorne ist, gibt es keine Buhs und keine Pfiffe: Stattdessen feuern die Fans ihr Team nur noch stärker an.
Die richtige Taktik ist spielentscheidend
Jedes Spiel wird so zu einer Party, die einen spätestens nach fünf Minuten mitreißt - auch, wenn man die Regeln noch nicht ganz durchschaut. Roller Derby ist komplex: Hinter jedem Knäuel, das sich im Kreis bildet, den die Spielerinnen wieder und wieder umrunden, steckt knallharte Taktik.
"Was machen wir, wenn der Jammer (Anmerkung: der führende Spieler) versucht, zur Seite durchzubrechen?" Anna Stevens hat die Rolle des Coaches für die Munich Rolling Rebels übernommen. In ihrem richtigen Leben ist sie Lehrerin und kommt aus Seattle. Für das Roller Derby hat sie sich den Namen "Ima Handfull" gegeben. Mit ihrem Auftreten könnte sie genauso gut eine Football-Mannschaft trainieren. Und wie für einen echten amerikanischen Coach üblich, macht sie jede Übung, die sie von ihren Teammitgliedern verlangt, selbst mit. Jetzt gerade unterteilt sie das Team in zwei Hälften, stellt Situationen nach, auf die die Rolling Rebels im Spiel später treffen könnten. Sie erklärt, welche der Spielerinnen ihre Augen wo haben muss und in welche Richtung sie sich stemmen soll, damit die Gegner gar nicht erst durch die Wand an Spielerinnen kommen können.
Eigentlich gibt es Roller Derby schon seit Mitte der 1930er Jahre. 1935 veranstaltet der Sportpromoter Leo A. Seltzer das erste Derby mit 25 Teams. In den 1940ern überarbeitete er die Regeln und legte den Schwerpunkt auf publikumswirksame Rempeleien. Diese spektakuläre und rasante Art des Roller Derbys wurde in den darauffolgenden 40 Jahren in den USA zum Publikumsmagneten, bis der Sport in den 70er-Jahren in der Versenkung verschwand.
Junger Sport mit über 14 000 Rollergirls weltweit
Das Roller Derby von heute entstand 1999. Im Gegensatz zu den früheren Ligen, in denen die Vermarktung einer Show im Vordergrund gestanden hatte, spielten diesmal Amateur-Spielerinnen auf dem Feld. Viele davon waren Mitglieder der Punkbewegung, die den Ideen des Feminismus sehr aufgeschlossen waren. 2004 gründete sich die "Women's Flat Track Derby Association" (WFTDA), in der mittlerweile insgesamt über 14 000 Rollergirls verzeichnet sind. Seit 2007 veranstaltet die WFTDA eine jährliche Meisterschaft. 2006 und 2007 schwappte das Spiel auch nach Europa. Das erste deutsche Team, die "Stuttgart Valley Rollergirlz", gründete sich 2006. Im Jahr 2007 folgte die zweite deutsche Mannschaft, "Barock City Roller Derby" aus Ludwigsburg. Die "Munich Rolling Rebels" gibt es seit 2012.
Noch können sie selten mit den erfahreneren Teams mithalten, doch mit Anna Stevens haben sie jetzt ein Teammitglied und eine Trainerin, die weiß, wie das Spiel läuft. In Seattle war sie Mitglied der "Rat City Rollergirls", einem Team der dortigen Premier League. "Roller Derby war mit das Erste, wonach ich gesucht habe, als ich nach München gekommen bin", sagt sie. Die Rollergirls hängen an ihren Lippen und machen bei jeder Übung mit. Dabei ist es nicht so, dass Coach Anna perfekt wäre - das will sie auch nicht sein, genausowenig wie die anderen. "Sie lernt jeden Tag etwas dazu, wie wir auch", sagt Anna Henneke. Denn Roller Derby ist ein Teamsport - je besser jedes Mitglied weiß, was die anderen machen, desto stärker wird die Mannschaft. Und jedes Mitglied hat seine Stärken. Anna mag zwar nicht die Schnellste sein, dafür hat sie den Überblick: Spätestens, wenn im Spiel die Munich Rolling Rebels und das andere Team ineinander verkeilt sind, kann dieser entscheidende Punkte bringen. Die Rollergirls lachen bei ihrem Training viel. Anna Stevens versammelt ihr Team in der Mitte des Spielfelds und gibt eine letzte Ansprache vor dem Trainingsende: "Also, denkt daran, wir sind schneller als sie, wir sehen besser aus als sie und im Spiel werden wir ihnen" Den Rest kann man sich denken. Ganz klar, nach dem Spiel werden sich alle Rollergirls in den Armen liegen. Solange das Spiel noch läuft, wollen sie gewinnen.