Prozessauftakt
Messerattacke von Aschaffenburg: 28-Jähriger wegen Mordes vor Gericht

Fabian Strauch/dpa
Neun Monate ist die tödliche Messerattacke her. Am Donnerstag beginnt der Prozess. (Symbolbild)
Neun Monate nach der tödlichen Messerattacke eines wohl psychisch kranken Mannes auf einen kleinen Jungen und einen zweifachen Vater in Aschaffenburg beginnt am Donnerstag, 16. Oktober, am Landgericht das Sicherungsverfahren. Dabei geht es nicht um eine Bestrafung des mutmaßlichen Täters, sondern um die Unterbringung des Beschuldigten in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses. Fakten zum Geschehen:
Die Tat
Am 22. Januar 2025, ein Mittwoch, erreicht die Polizei um 11.47 Uhr ein Notruf: Gewalttat im Park Schöntal in Aschaffenburg. Es gibt weiträumig Absperrungen. Etwa zwei Stunden später ist klar: Zwei Menschen sind tot, ein Verdächtiger gefasst.
Bei den Toten handelt es sich um einen 2-jährigen Jungen marokkanischer Herkunft und einen Deutschen, 41 Jahre alt und Vater von zwei Kindern. Zudem verletzte der Täter ein 2-jähriges Mädchen aus Syrien und einen heute 73-jährigen Deutschen schwer. Eine Erzieherin (59) brach sich in dem Tumult ein Handgelenk.
Der 41-Jährige war zur Tatzeit mit einem seiner Kinder in dem Park unterwegs. Beim Versuch, den Opfern zu helfen, wurde er tödlich verletzt. Auch der 73-Jährige versuchte zu helfen und erlitt dabei Messerstiche, er überlebte aber.
Wie sich später herausstellte, hatte es der Verdächtige wohl gezielt auf eine Kinderkrippengruppe abgesehen. Als immer mehr Passanten gegen den Verdächtigen vorgingen, flüchtete der Beschuldigte nach bisherigen Erkenntnissen zu Fuß und konnte rund zwölf Minuten nach dem ersten Notruf in der Nähe von Bahngleisen widerstandslos festgenommen werden. Das
blutverschmierte Messer lag nicht weit weg.
Der mutmaßliche Täter
Der Beschuldigte ist 28 Jahre alt und Afghane. Er reiste Ende 2022 nach Deutschland ein und stellte am 19. November 2022 ein Asylgesuch. Nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hätte der Flüchtling eigentlich schon im Jahr 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, wo er zum ersten Mal EU-Boden betreten hatte. Gescheitert sei dies aber an einer abgelaufenen Frist.
Im Dezember 2024 teilte der Beschuldigte den Behörden dann mit, er wolle freiwillig ausreisen. Doch die dafür notwendigen Papiere hatte der Mann laut Herrmann wohl bis zum Tattag nicht von seinem Heimatland bekommen.
Der 28-Jährige war vor der Tat wegen mehrerer Delikte polizeibekannt und vorübergehend in einer Psychiatrie. Seit März 2023 registrierten die Behörden zahlreiche Vorfälle. Es gab Ermittlungen wegen tätlicher Angriffe und Widerstands gegen Polizisten, vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung. Strafbefehle und Geldstrafen wurden erlassen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg gab es in keinem der Verfahren die Voraussetzung für eine strafrechtliche einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - und auch nicht für einen Haftbefehl.
Die Vorwürfe
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 28-Jährigen Mord, versuchten Mord, Totschlag, versuchten Totschlag, Bedrohung sowie diverse Körperverletzungsdelikte vor.
Laut einem ersten forensisch-psychiatrischen Gutachten besteht eine "hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat, da ihm infolge einer psychiatrischen Erkrankung die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, gefehlt habe".
Zudem nimmt der Gutachter an, "dass die psychiatrische Erkrankung des Beschuldigten nicht nur vorübergehend ist und dass, sollte diese nicht dauerhaft zurückgeführt werden können, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit weiteren, auch hochaggressiven Taten" zu rechnen sei.
Welche Krankheit der Mann konkret hat, teilte die Behörde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht mit.
Der Prozess
Für das Sicherungsverfahren sind bis zum 30. Oktober sechs Verhandlungstage angesetzt. Zuständig ist die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg unter Vorsitz von Richter Karsten Krebs.
Die Staatsanwaltschaft hatte im Juli wegen der möglichen Schuldunfähigkeit des Flüchtlings beim Gericht einen Antrag auf das Sicherungsverfahren gestellt. Bei einem solchen Verfahren geht es um die zeitlich unbegrenzte Unterbringung in einer Psychiatrie. Auch wenn es keine Anklage wie in einem normalen Strafverfahren gibt, wird solch ein Fall vor Gericht verhandelt. Die endgültige Entscheidung über eine Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt trifft das Gericht.
Die politische Dimension
Mit der Gewalttat in Aschaffenburg dominierten die Themen Migration und Sicherheit im damals laufenden Bundestagswahlkampf. Mehr Härte forderten insbesondere CDU/CSU sowie AfD. Bei manchen löste die sich verschärfende Debatte jedoch auch Sorgen vor einem Rechtsruck aus - eine Entwicklung, vor der Parteien wie Grüne und Linke warnten.
Vertreter bayerischer Integrationsbeiräte prangerten eine Instrumentalisierung des Messerangriffs für Wahlkampfzwecke an. Tausende demonstrierten in Aschaffenburg gegen einen Rechtsruck in Politik und Gesellschaft.
Die Folgen
Die Innenminister der Länder und des Bundes forderten Konsequenzen im Umgang mit psychisch kranken Straftätern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte an, das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, in dem auch die Bedingungen für eine Unterbringung geregelt sind, "härten" zu wollen. Ob es dazu tatsächlich kommt, ist bisher offen.
Für die zwangsweise Unterbringung in einer Psychiatrie gelten hohe gesetzliche Hürden. Gefährdet der oder die Betroffene durch sein Verhalten sich selbst oder andere Menschen, darf sie nur angeordnet werden, wenn die Gefahr nicht durch weniger einschneidende Mittel abgewendet werden kann.
Ein milderes Mittel wäre etwa Hilfe durch einen Krisendienst oder einen gesetzlichen Betreuer. Der mutmaßliche Angreifer von Aschaffenburg hatte eine solche Betreuerin im Dezember 2024 gerichtlich verordnet bekommen - aber nie Kontakt zu ihr aufgenommen.
Nachspiel für einen Polizisten
Vor dem Amtsgericht Aschaffenburg beginnt Ende Oktober zudem der Prozess gegen einen Polizisten wegen Strafvereitelung im Amt. Der Beamte soll Monate vor der Bluttat von Aschaffenburg bei einem anderen Vorfall am 29. August 2024 in einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau nicht gegen den mutmaßlichen Täter ermittelt haben. Dort soll der Flüchtling eine Bewohnerin gewürgt und mit einem Messer verletzt haben.