Elisabethszell

Sasan Dietl: Vom Flüchtling zum Bäckergesellen


Sasan Dietl mit seinem Chef, Bäckermeister Reiner Dietl (rechts) - er ist gleichzeitig sein Adoptivvater. Sie beide verbindet eine besondere Geschichte, die mit Sasans Flucht aus Afghanistan begann.

Sasan Dietl mit seinem Chef, Bäckermeister Reiner Dietl (rechts) - er ist gleichzeitig sein Adoptivvater. Sie beide verbindet eine besondere Geschichte, die mit Sasans Flucht aus Afghanistan begann.

"Am besten kann er Brezen”: Sasan Dietl kam als Flüchtling nach Deutschland - und blieb als Sohn von Bäcker Reiner Dietl

"Er ist wie mein eigener Sohn", sagt Bäcker Reiner Dietl über seinen Adoptivsohn Sasan. Seit dem vergangenen Jahr ist der 22-Jährige auch rechtlich ein Dietl. Und zugleich ist er Teil des Familienbetriebs: In der Bäckerei Dietl hat Sasan seine Ausbildung gemacht und ist nun als Geselle auf dem besten Weg zum Meister. Doch das ist nicht alles: Ursprünglich ist Sasan Dietl in Afghanistan geboren. Von dort aus kam er im Frühjahr 2015 nach Deutschland - und fand im bayerischen Wald seine Heimat. Eine außergewöhnliche Geschichte, doch sie zeigt auch: Mit einer Portion Unterstützung kann man sich ein neues Leben aufbauen.

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Im November beim Ausbildungspreis des Landkreises Straubing-Bogen. Von links: Kreisrat Ludwig Waas, Kultus-Staatssekretärin Anna Stolz, Reiner Dietl, Sasan Dietl mit Ehefrau Sara, Landrat Josef Laumer und Martin Köck, Wirtschaftsreferent am Landratsamt.

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Mit der Adoptivfamilie bei der Verleihung des Gesellenbriefs. Von links: Großmutter Edith Dietl, Reiner Dietl, Sasan und Reiner Dietls Ehefrau Geraldine.

Zunächst stand Sasan Dietl vor vielen Ungewissheiten. In seinem Heimatland Afghanisten herrschte ein Terrorregime. Die Familie väterlicherseits wurde beinahe komplett ausgelöscht. Als Sasan ein Kleinkind war, floh die Familie vor dem Krieg in den Iran. Doch auch im Iran gab es keine wirkliche Perspektive. 2015 entschloss sich die Familie, nach Europa zu gehen. Über den Irak gelangten sie an die Grenze zur Türkei. "Dort hat sich unsere gesamte Familie getroffen, aber an der türkischen Grenze wurden wir beschossen”, erzählt Sasan Dietl von diesen Tagen, "ich bin einfach nur gelaufen.”. Die Familie wurde getrennt. Mit seinem kleinen Bruder schlug sich Sasan über Griechenland Richtung Deutschland durch. Im März 2015 wurde Sasan an der deutschen Grenze bei Passau aufgefangen. Schon seit der Flucht in den Iran besaß er keine Papiere mehr.

Neustart in Bayern - Perspektive: Bäcker

Über einige Umwege kam er schließlich im Frühjahr 2015 nach Straubing - und von dort aus in eine Unterkunft nach Elisabethszell. Der Bäcker Reiner Dietl stellte sie direkt neben seiner Bäckerei zur Verfügung. "Es war schwierig. Ich kannte die Sprache nicht und musste erst einmal die Leute kennenlernen”, sagt Sasan über diese Zeit, "aber wir waren immer auf der Flucht und da muss man mit allen Leuten klar kommen.” Bei seinen neuen Nachbarn fand Sasan schnell Anschluss. Reiner Dietls jüngerer Sohn Felix habe sich mit Sasans kleinem Bruder angefreundet, erzählt Reiner Dietl, und so habe man viel gemeinsam unternommen. Dietl zeigt auf seinem Handy Fotos von Bergtouren und Ausflügen. "Sasan war von Anfang an Teil der Familie und wie ein Sohn für uns”, berichtet der Bäckermeister.

Bald kam die Idee auf, dass Sasan in Dietls Bäckerei eine Lehre absolvieren könnte. "Ich wollte unbedingt lernen und mir ein Leben hier aufbauen”, sagt Sasan über seine Motivation. Für Dietl ein Glücksfall: Zehn Jahre habe nach einem neuen Lehrling gesucht, berichtet er. Letztlich überzeugte er Sasan vom Bäckerhandwerk. Doch eine Ausbildung zu beginnen gestaltete sich alles andere als einfach. Sasan fehlte ein Schulabschluss. "Ich wollte zur Schule gehen, aber man hat mir gesagt, man habe keinen Platz für mich”, erzählt er. Weil ihm die Papiere fehlten, gingen die Behörden davon aus, dass er nicht mehr schulpflichtig sei. Durch die Vermittlung von Reiner Dietl konnte Sasan schließlich ein berufsvorbereitendes Jahr (BVJ) in Plattling absolvieren. "Reiner hat zu mir gesagt, 'du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich stehe hinter dir'”, erzählt Sasan.

Aller Anfang war schwer

Doch im BVJ warteten die nächsten Hürden. Aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse war es für Sasan schwer, dem Unterricht zu folgen. Die ersten Noten waren verheerend. "Es war eine harte Zeit, alle waren Deutsche und ich konnte die Sprache nicht”, berichtet Sasan. Doch Reiner Dietl organisierte seinem Schützling Nachhilfeunterricht. Schließlich schaffte es Sasan, das BVJ 2016 abzuschließen - und begann seine Ausbildung bei Reiner Dietl im Betrieb. Eine gehörige Umstellung: Bäcker arbeiten, wenn andere schlafen. Sasans Wecker läutet jeden Tag um 23 Uhr, dann wird bis sechs Uhr morgens gearbeitet. "Am Anfang war es anstrengend”, sagt Sasan Dietl, "aber wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es nicht so schwer.”

Und Sasan zeigte Talent für das Bäckerwesen, auch wenn er laut Dietl zu Beginn "null Ahnung" von Bäckerei gehabt habe. Doch wichtiger als das sei das Interesse für etwas Neues und Engagement, erklärt Dietl. "Sasan hat ein Grundverständnis, warum man auch Dinge so macht, wie man sie macht - was Mehl ist, wie man damit umgeht", sagt der Adoptivvater stolz. "Am besten kann er Brezen", berichtet Dietl. 1.600 Stück pro Tag fertigen sie in der Bäckerei - alle per Hand. So mühelos sich das anhört, es stecke harte Arbeit dahinter, sagt Dietl: "Ich bin einer, der genau hinschaut und perfektionistisch ist. Für Sasan war das schon schwierig. Aber dafür hat er es von Grund auf perfekt gelernt. Die Sachen, die ich gut mache, wie die Brezen, die macht er jetzt auch gut", ist Reiner Dietl glücklich über seinen Schützling. Ab der Ausbildung sei es auch in der Berufsschule sehr gut gelaufen.

Die Schule schloss er im Juli 2019 als Schulbester mit der Note 1,2 ab. Der Lohn: Sasan Dietl wurde von der Regierung von Niederbayern ausgezeichnet. Im vergangenen November die nächste Überraschung: Reiner Dietl erhielt den Ausbildungspreis Integration des Landkreises Straubing-Bogen. "Das war schon eine große Anerkennung”, sagt Dietl.

"Ein Zeichen setzen"

Einen sehr persönlichen Schritt hat Dietl ebenso 2019 getan: Im Juni wurde das Adoptionsverfahren abgeschlossen. Seitdem gehört Sasan auch rechtlich zur Familie Dietl. Es sei eine folgerichtige, aber auch naheliegende Entscheidung gewesen, erzählt Dietl. "Wir haben die Adoption gemacht, um ein Zeichen zu setzen. Ich wollte zeigen, dass ich dahinter stehe”, sagt der Bäckermeister. Denn ihm sei durchaus die Skepsis entgegen geschlagen, dass er sich eine günstige Arbeitskraft halte. "Ein Sohn kostet Geld, wir haben Sasan eine Wohnung hergerichtet. Die Adoption macht es einfach rund”, sagt Dietl. Er weist zudem darauf hin, dass die Adoption aufgrund der guten Voraussetzungen in nur drei Monaten genehmigt wurde - sehr schnell für ein solches Verfahren, das im deutschen Recht gewöhnlich ein bis zwei Jahre dauert.

Derzeit ist Sasan Dietl voll im Betrieb eingespannt. Nach und nach wird er von seinem Chef auch in die Büroarbeit eingelernt. Irgendwann will Sasan die Meisterprüfung ablegen, danach soll er mit Reiner Dietls jüngstem Sohn Felix die Bäckerei übernehmen.

Das Glück rundet Sasans Ehefrau Sara ab, die er 2019 geheiratet hat und mit der er mittlerweile in einer eigenen Wohnung über der Bäckerei wohnt. Im Rückblick ist Reiner Dietl selbst ein wenig verblüfft, dass alles so schnell gegangen ist. "Es gab viele Hochs und Tiefs. Und klar gibt es Differenzen. Wir streiten uns wie Vater und Sohn. Aber am nächsten Tag ist es vorbei. Es hat sich alles gelohnt und Sasan ist eine Riesenbereicherung für unsere Familie”, sagt er.