Schwer erkrankt
Eine 24-jährige Studentin lebt mit einer Spenderleber
Ein Ruder taucht ins Wasser, kleine Wellen ziehen Kreise auf dem Inn. Lizzi sitzt mit zwei Freundinnen in einem hölzernen Ruderboot. Um sie herum gleiten fünf weitere Studenten in der Vormittagssonne über das Wasser. Jeden Donnerstag ist Lizzi dabei. Eigentlich heißt sie Lisa Bichler. Niemand sieht ihr an, dass sie eine Spenderleber hat. Nur die Narbe am Bauch erinnert daran.
Ihre Narbe zu zeigen, fällt Lizzi nicht immer leicht. „Bauchfrei werde ich manchmal angestarrt. Trotzdem stehe ich dazu“, erzählt sie. Ihre Leber nennt sie Mila, inspiriert vom spanischen Wort für Wunder: milagros. „Dass ich lebe, ist ein Wunder“, sagt sie.
Lizzi möchte ein Leben, das für andere in ihrem Alter selbstverständlich ist. Ihr Körper macht nicht immer mit, sie ist oft erschöpft. „Es ist anstrengend, aber mein Wille ist stärker“, betont Lizzi. „Ich will das Beste aus dem machen, was mir meine Spenderleber möglich macht“.
Im Alltag muss Lizzi auf viele Dinge achten
Nach dem Rudertraining sitzt Lizzi auf ihrer sonnigen Terrasse und isst ein Stück Erdbeerkuchen. „Nach der Transplantation durfte ich erst keinen Zucker essen“, erzählt sie. Kuchen genießt sie heute umso mehr. Doch ihr Appetit bleibt oft aus: Nachts übergibt sie sich immer wieder. Seit Januar hat sie zwölf Kilo verloren. Lizzi nimmt täglich Medikamente, die ihr Immunsystem gezielt schwächen. Das macht sie anfälliger für Infektionen. „Wenn Freunde krank sind, treffe ich sie nicht. Sonst stecke ich mich sofort an“, sagt sie.
Auch bei Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln muss Lizzi aufpassen, sie könnten die Wirkung ihrer Medikamente abschwächen oder verstärken. Pharmazeutin Franziska Schön rät zur Vorsicht: „Auch pflanzliche Präparate können Wechselwirkungen mit Medikamenten verursachen. Nur weil etwas natürlich klingt, ist es nicht automatisch unbedenklich“. Auch auf ihre Ernährung achtet Lizzi streng, vieles ist tabu: von Zitrusfrüchten über Alkohol bis Leitungswasser. „Besonders in Passau haben viele Häuser alte Wasserrohre, ich will mir nichts einfangen“, sagt Lizzi. Sie verzichtet auf alles, was für sie riskant ist.
Im April 2023 war Lizzi für ihr Bachelorstudium in Paris. Plötzlich erlitt sie Rückenschmerzen, musste erbrechen. „Ich war ja immer gesund, ans Krankenhaus dachte ich nicht“, sagt sie. Als sich ihre Haut gelb färbte, wollte sie so schnell wie möglich zum Arzt. Erst drei Tage später bekam sie einen Termin. Der Arzt überwies sie weiter ins Blutlabor. Am nächsten Morgen klopfte es an Lizzis Haustür. Ein Arzt aus dem Labor stand vor ihr: „Ihre Werte sind kritisch. Ich bleibe bei Ihnen, bis der Krankenwagen kommt.“
Erst das Geld, dann die Rettung
„Versicherungskarte, bitte“, verlangte der Sanitäter. Lizzi gab sie ihm, doch die Karte wurde abgelehnt. „Dann nur Barzahlung“, hieß es. Im Krankenwagen fuhr sie zum nächsten Geldautomaten, hob 250 Euro ab und bezahlte. Im Krankenhaus angekommen verblassen ihre Erinnerungen. „Ich weiß nur noch, wie mir ein Zugang gelegt wurde. Danach ist alles schwarz“, blickt Lizzi zurück. In einer zehnstündigen Operation wurde ihr Leben gerettet.
Einen Teil der Behandlungskosten übernahm die Krankenkasse nicht. Eigentlich hatte sie beantragt, dass die Krankenkasse nach deutschem Recht abrechnet – doch am Ende galt französisches Recht. „Es wurde nicht alles übernommen, weil ich keine Zusatzversicherung hatte“, erzählt Lizzi. Ihre Eltern blieben auf einem fünfstelligen Betrag sitzen. Heute ist alles abbezahlt. „Ich muss trotzdem sparen. Ich will meinen Eltern nicht noch mehr zur Last fallen“, sagt Lizzi. Für ihre Medikamente bezahlt sie monatlich rund 70 Euro aus eigener Tasche.
Lizzi erlitt ein akutes Leberversagen. Warum sie plötzlich erkrankte, ist unklar. Die Ursachen dieser Erkrankung sind vielfältig und schwer zu erfassen, so das deutsche Ärzteblatt. In Deutschland betrifft das laut Deutscher Leberstiftung jährlich 200 bis 500 Menschen. Lizzi überlebte, weil sie aufgrund ihrer guten Überlebenschance direkt auf Platz eins der Transplantationsliste kam. Ende 2024 warteten in Deutschland laut der Deutschen Stiftung Organtransplantion 2.222 Menschen auf eine neue Leber. Transplantiert wurden im selben Jahr nach Angabe des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit 890 Lebern.
Zwischen Dankbarkeit und Schuldgefühl
Anfangs fühlte sich das Leben mit einer Spenderleber für Lizzi wie eine Strafe an. „Es kam mir vor, als hätte ich ein Leben gestohlen“, sagt sie. Wer ihr Spender war, darf sie nicht wissen. Weder Geschlecht noch Alter. „Anfangs wollte ich es wissen. Heute bin ich froh, dass ich es nicht weiß. Sonst würde ich mich noch schuldiger fühlen“, erzählt Lizzi. Über Eurotransplant, eine Organspende-Vermittlung für Deutschland und sieben weitere EU-Länder, könnte sie der Spenderfamilie einen Brief schreiben. Doch sie zögert. „Ich will der Familie erst schreiben, wenn ich die Transplantation als etwas komplett Positives sehe“, betont sie. „Ich bin auf dem Weg dorthin“.
Später will Lizzi noch eine Freundin treffen. Vielleicht sagt sie ab. Sie fühlt sich kraftlos. „Es ist oft anstrengend für mich. Ich kann nicht immer mit den anderen mithalten“, sagt sie. Lizzi will ihr Leben ausleben, nicht nur für sich, sondern auch in Gedenken an ihren Spender. „Ich bin gerade hier und ich lebe“ – dieser Gedanke hilft ihr dabei, innezuhalten. Sie möchte so viel erleben wie sie kann. Denn: „Wer weiß, wann es wieder vorbei ist?“.