Hobby-Archäologin
Aniko Reintke enthüllt die steinzeitliche Geschichte Ahams

Marcel Huse
Aniko Reintke vor einem der Felder in Unterwinden – durch ihre Funde wurde es zu einem Bodendenkmal erklärt.
Mehrere Tausend bunte Tonscherben, an die Hundert steinzeitliche Werkzeuge und mindestens genauso viele glitzernde Silices, also historische Hornsteine. Die Äcker der Familie Reintke in Unterwinden sind eine wahre Goldgrube für die 63-jährige Aniko. Seit 20 Jahren unterrichtet sie ethische Themen am Kompetenzzentrum für Gesundheitsberufe in Vilsbiburg. 2019 brauchte sie eine Pause von ihrem Beruf und nahm sich deshalb ein Jahr Zeit für sich. In dieser Lebensphase hat sie sich besonders der äußeren Gestaltung des Bauernhofs gewidmet. Trotzdem blieb ein Großteil ihrer Freizeit ungenutzt – es musste also ein neues Hobby her.
Lange überlegt hat die fünffache Mutter dafür aber nicht: „Suchen und was finden, das habe ich schon immer gerne gemacht“. Darum ging sie eines Tages die umliegenden Felder des Hofs ab und fand bereits beim ersten Suchgang kleine Schneidemesser aus Stein an der Oberfläche. Voller Euphorie machte sie sich mit den Funden auf den Heimweg und zeigte der Familie die Relikte. Die Reaktionen auf das neue Hobby waren anfangs aber eher skeptisch – eine richtige Begeisterung kam ihr nicht entgegen. Man konnte ja nicht ahnen, dass im sonst so beschaulichen Unterwinden wahre Schätze unter dem Boden schlummern.
Das Leben in Aham vor 7.000 Jahren
Spätestens jedoch mit der Einschätzung vom Landshuter Kreisarchäologen Dr. Thomas Richter, wurden alle Zweifel bereinigt. Er bestimmte das Alter der Werkzeuge auf rund 7.000 Jahre – sie stammen aus dem „Neolithikum“. Das Neolithikum, oder auch Jungsteinzeit genannt, erstreckte sich in Bayern von ungefähr 5400 bis 3300 vor Christus. In dieser Zeit wurden die Menschen erstmals sesshaft – sie züchteten Vieh, pflanzten Getreide an und bauten Siedlungen. Eine derartige Siedlung war damals dort, wo heutzutage die Felder der Familie Reintke sind. Deshalb befindet sich auf ihnen noch immer eine Menge jungsteinzeitliches Werkzeug.
Dazu zählen unter anderem Pfeilspitzen und Beile aus Stein, die vor Tausenden von Jahren noch an Holzschäften und Griffen befestigt waren. Für einen stabilen Halt brauchte es einen Klebstoff, weshalb die Neolithiker „Birkenpech“ entwickelten. Sie erhitzten die Rinde von Birkenbäumen und bekamen dadurch eine klebrige Masse. Mit diesem Kleber konnten Werkzeugteile miteinander verbunden werden. Beim Abkühlen wurde der Klebstoff wieder fest und damit das Werkzeug funktionsfähig. Neben dem Birkenpech ist die Hobby-Archäologin besonders auf ein entdecktes Schmuckstück stolz. Bereits in der Jungsteinzeit trugen die Frauen Ketten mit selbst verziertem Schmuck. Obwohl die steinzeitliche Lebensart oft unvorstellbar klingt, gibt es also durchaus Überschneidungen mit der Gegenwart.
Von schwarzen Schafen und dem „Schatzregal“
Die Verbindung zwischen dem damaligen und jetzigen Leben ist für Aniko Reintke ein zentrales Thema. Sie selbst identifiziert sich besonders mit der Einwanderungsgeschichte der Menschen aus dem Neolithikum. Die gebürtige Donau-Schwäbin kommt aus der Nähe des ungarischen Tieflands – genau jenem Tiefland, durch das die Neolithiker vor langer Zeit hergewandert sind. Ein paar beschlossen in Unterwinden ihre Siedlung aufzuschlagen, ebenda, wo Reintke viele Jahre später auch sesshaft wurde. Umso wichtiger ist ihr die Erhaltung der Relikte aus dieser Zeit.
Leider denkt nicht jeder Sammler wie die Ahamerin – viele behalten die Fundstücke für sich selbst und wollen aus der Geschichte Profit schlagen. Das erkannte auch die bayerische Staatsregierung und führte deshalb im Jahr 2023 ein „Schatzregal“ ein. Dadurch wird jedes gefundene Artefakt ab dem Moment der Entdeckung zu Eigentum des Freistaats Bayern.
Gleichzeitig gibt es ein Verbot für das Sondengehen auf Bodendenkmälern. Ernst Kiunke aus Englmannsberg ist durch diese Einschränkung stark betroffen. Seit nahezu 40 Jahren lebt er seine Begeisterung für die Historie auf den Äckern in der Region aus. Mit der Metallsonde findet er in erster Linie Schätze aus Bronze, Kupfer und Messing – neolithische Werkzeuge aus Stein spürt eine Sonde nicht auf.
Früher ging er Bodendenkmäler mit der Sonde ab und informierte bei einem Signal die Kreisarchäologie. Diese konnten die Stelle dann unter ordentlichen archäologischen Maßnahmen untersuchen. Zurzeit ist dies nicht mehr möglich – sehr zum Leiden von Ernst. Er wünscht sich eine engere Zusammenarbeit zwischen den vertrauenswürdigen Sondengehern und den Experten. Dadurch könnten vielleicht mehr Relikte gefunden werden und auf diesem Weg die Gesellschaft bereichern. Genauso wie es durch Reintkes Funde geschieht: Mitte September dieses Jahres eröffnet im alten Raiffeisen-Gebäude in Aham ein steinzeitliches Museum mit den gefundenen Bodenschätzen. Aniko Reintke hat für die Ausstellung nur einen Wunsch: „Das Bewusstsein, dass wir hier auf geschichtlichem Boden sind, soll wachsen – und ich glaube, das passiert hier im Museum automatisch“.
Über das steinzeitliche Museum
Das steinzeitliche Museum wird von Aniko Reintke und dem Verein Treffpunkt e.V. Aham gemeinsam aufgebaut. Aktuell wird es ausschließlich mit nachhaltigen Möbeln und Vitrinen ausgestattet. Reintke bezahlt alles mit ihrem eigenen Geld – mit der Eröffnung bekommt sie von der Gemeinde einen Zuschuss in Höhe von 10.000 Euro. Das Museum soll nicht nur die Artefakte präsentieren, sondern durch regelmäßige Veranstaltungen lebendig sein. Sei es eine Lesung oder ein Musikabend – inmitten der Schätze wird etwas passieren. Diese Ausstellungsgegenstände werden zukünftig in den Besitz der Gemeinde übergeführt, damit sie der Öffentlichkeit für immer zugänglich sind. Am 12. September wird das Museum erstmals seine Pforten öffnen.










