Landshut

1000 Einwohner auf 20 Hektar – oder doch nicht?

Ochsenau: Bebauung steht plötzlich in Frage – OB will „Flächen nicht kampflos preisgeben“


In der Ochsenau leben viele geschützte Tier- und Pflanzenarten.

In der Ochsenau leben viele geschützte Tier- und Pflanzenarten.

Es geht um ein Vorhaben von großer Bedeutung für die Stadtentwicklung, das seit über zwei Jahrzehnten eigentlich in trockenen Tüchern schien. Doch die geplante Bebauung der Ochsenau im Landshuter Osten, wo sich auf 20 Hektar rund 1000 Menschen ansiedeln sollen, kommt jetzt überraschend noch einmal auf den Prüfstand.

Der Naturwissenschaftliche Verein Landshut stellte am Freitag in einer gemeinsamen Sitzung von Bau- und Umweltsenat "neue wissenschaftliche Erkenntnisse" vor, mit denen die Existenz diverser sensibler Pilz- und Insektenarten dokumentiert und aus denen eine "bisher nicht berücksichtigte Einmaligkeit der Ochsenau" abgeleitet wurde. Gut zwei Stunden lang diskutierten die Stadträte ebenso sachlich wie kontrovers über das Thema und schickten es schließlich in die zweite Lesung. Nach den Eindrücken der Sitzung ist völlig offen, ob das Baugebiet in der geplanten Form anno 2018 politisch mehrheitsfähig ist.

Dabei hatten sich in den 1990er-Jahren die damaligen Verantwortlichen große Mühe gegeben, nach dem Abzug der Bundeswehr die Flächen des freigewordenen Standortübungsplatzes mittels einer umfangreichen Interessensabwägung gut in die Zukunft zu überführen. Es gelang OB Josef Deimer und Bund-Naturschutz-Chef Paul Riederer, die widerstrebenden Begehrlichkeiten 1996 in einem Kompromiss zu bündeln. Das Resultat: 20 Hektar sollten für die Siedlungsentwicklung bereitgestellt, die restlichen 280 Hektar als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden. Mit der städtebaulichen Nutzung sollte, gerechnet ab Ende 1997, frühestens nach Ablauf von 20 Jahren begonnen werden.

Ende 2017 wurde die Sache also wieder aktuell - und durchaus noch heißer angesichts des erheblichen Siedlungsdrucks in der Boom-Stadt Landshut, die mittlerweile über 71000 Einwohner zählt, Tendenz weiter steigend. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich nicht ohne Brisanz, wenn ein fest eingeplantes Neubaugebiet von erklecklicher Größe in Gefahr gerät - sei es von der Dimension und/oder vom zeitlichen Fahrplan her.

Dementsprechend prägnant fielen die Kommentare in der Sitzung aus. OB Alexander Putz ließ keinen Zweifel an seiner Position: Es handle sich um eines der wichtigsten Entwicklungsareale im Osten, da werde er "energisch voranschreiten" für die Bebauung und "die Flächen nicht kampflos preisgeben". Begeisterte Zustimmung bekam der OB von SPD-Stadtrat Gerd Steinberger, der unkte: "Wahrscheinlich finden wir beim Neubaugebiet am Bahnhof noch das Skelett einer Wildkatze - und was machen wir dann?" Für Steinberger ist klar: "Wir brauchen Wohnungen, und zwar zügig." Auch Tilman von Kuepach (LM), Klaus Pauli (FW) und Bernd Friedrich (BfL) sprachen sich dafür aus, an der Bebauung in der beabsichtigten Form festzuhalten.

Doch es gab auch andere Stimmen. Grünen-Bürgermeister Dr. Thomas Keyßner sagte, "noch vor kurzer Zeit" sei er klar zu dem Ochsenau-Kompromiss von 1996 gestanden, "aber die heutige Sitzung rüttelt an dieser Gewissheit". Man könne jetzt nicht einfach weiterplanen, sondern müsse "ergebnisoffen über Maß und Umfang der Bebauung" reden. Ähnlich äußerte sich ÖDP-Stadträtin Elke März-Granda. Sie forderte als Folge der neuen Erkenntnisse eine "vollumfängliche Kartierung" - und erst dann eine Entscheidung über die Bebauung. CSU-Fraktionschef Rudolf Schnur stellte fest, wichtige "fachliche und rechtliche" Argumente des Naturwissenschaftlichen Vereins seien "nicht entkräftet".

Mit zunehmender Sitzungsdauer zeichnete sich eine zweite Lesung ab, und so kam es dann auch (auf Antrag von Grünen-Stadtrat Prof. Dr. Frank Palme). In den nächsten Wochen und Monaten dürfte es also spannende Debatten rund um die Ochsenau geben. Im Inneren des Themas werden sie darum kreisen, ob der Naturwissenschaftliche Verein im Wortsinne "neue" Fakten zusammengetragen hat oder ob die hohe naturschutzfachliche Wertigkeit des Gebiets schon seit Jahrzehnten ausreichend bekannt ist - und mithin auch bei der Kompromisslösung 1996 berücksichtigt wurde. Und der große Bogen der Diskussion wird sich um einen klassischen Zielkonflikt drehen: Bauen oder Naturschutz - wo setzt die Stadt in der Ochsenau ihre Priorität?

Die neuen Erkenntnisse des Naturwissenschaftlichen VereinsDer Naturwissenschaftliche Verein (NWV) hat in den Jahren 2014 bis 2016 das Naturschutzgebiet und die Ochsenau unter anderem auf Wiesenpilze untersucht und dabei neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen, wie Zweiter Vorsitzender Dr. Stefan Müller-Kroehling und Pilzkundler Rudolf Boesmiller vom Naturwissenschaftlichen Verein sagten.

In der Ochsenau wurden dabei 50 Pilzarten nachgewiesen, von denen neun auf der Roten Liste Bayerns stehen. Eine davon - der Blaue Rötling (Entoloma bloxamii) - ist laut Boesmiller vom Aussterben bedroht.

Aus diesen neuen Erkenntnissen leitet der NWV ab, dass die Ochsenau hinsichtlich der Pilzvorkommen mindestens bayernweit, wenn nicht deutschlandweit bedeutsam ist.

Auch im Bereich der Insektenfauna verweist der NWV auf exklusive Arten in der Ochsenau, darunter den Heide-Wicht (eine Wanzenart), den Steppengrashüpfer (eine Heuschreckenart) und den Stäublingskäfer. Bei der Fauna geht der NWV von einer "gesamtstaatlichen Bedeutung" aus.

Einige Arten sind dabei an die Standortbedingungen der Ochsenau - vor allem an den Kalkmagerrasen - gebunden. Da das Isartal (mit der Ochsenau) und die Hochfläche (mit dem Naturschutzgebiet) grundverschiedene Standorte seien, sei es technisch nicht möglich, diese Lebensräume auf der Hochfläche herzustellen, so Müller-Kroehling. Würden die Lebensräume in der Ochsenau verkleinert, drohten diese Arten auszusterben.

Das Fazit: Aufgrund der nur dort vorkommenden "Alleinstellungsarten" bezeichnet der NWV die Ochsenau als einmalig - die Flächen seien deutlich wertvoller als vor 20 Jahren angenommen. Entsprechend schlägt der Verein vor, vor weiteren Planungen den naturschutzfachlichen Wert der gesamten Ochsenau wissenschaftlich zu untersuchen und keine neuen Beschlüsse zu fassen, solange nicht "zweifelsfrei festgestellt wird, dass die zur Bebauung vorgesehenen Teile naturschutzfachlich entbehrlich sind und ihr Verlust ausgleichbar ist". Der NWV plant zusammen mit der TU München, die Insektenfauna der Ochsenau zu erheben.

Rechtliches: Zudem verweisen die NWV-Vertreter auf das Bayerische Naturschutzgesetz und den Vorrang des Naturschutzes vor anderen Zielen in ökologisch besonders wertvollen Gebieten auf Grundstücken in öffentlichem Eigentum. Ihrer Meinung nach müsste vor einer Bebauung der Ochsenau zudem eine Stellungnahme der EU-Kommission eingeholt werden.

Der NWV nennt auch "Alternativen zu den bisherigen Planungen": Eine davon bezeichnet die Ochsenau als "Landshuts Nationalpark mit sanftem, gelenktem Tourismus".