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"Ich will nur raus aus diesem Bus!"

Cristina Starke (16)

Cristina Starke (16)

Von Cristina Starke

Tag für Tag mit dem Bus zur Schule zu fahren, kann ganz schön an den Nerven kratzen. Wenn es dann noch regnet und der Busausweis verschwunden scheint, wünscht sich Cristina Starke (16) nur noch eines: Endlich an der Schule anzukommen.


Es regnet, schon wieder. An die zwanzig Schüler von elf bis siebzehn drängeln sich an der Haltestelle und versuchen,
möglichst viele ihrer Körperteile in das winzige Bushäuschens zu quetschen. Regenschirmspitzen in allen Formen und Farben werden den Nachbarn ins Auge gestochen, doch keiner ist wach genug, um sich zu beschweren. Ich auch nicht. Außerdem gehört der Schirm in meinem Gesicht dem Schlägertypen aus der Parallelklasse, und was ist schon eine Spitze im Auge im Gegensatz zu einer Faust auf der Nase? Manchmal muss man eben seine Prioritäten setzten.


7.25 Uhr:
Der Bus kommt, endlich!
"Ausweiskontrolle!" Mist. Allgemeines Stöhnen. Blöder Busfahrer. Warum muss der auch immer kontrollieren, wenn es regnet? Umständliches Gewurstel mit Schirmen, Taschen und Jacken. Jeder steigt dem anderen auf die Füße. Einige Glückliche können triumphierend in den trockenen Bus steigen, um dort mindesten zehn Plätze für Freunde und die Freunde der Freunde zu besetzen. Ich finde meinen Ausweis nicht. Auch nicht, nachdem ich meine Schultasche zum dritten Mal panisch von innen nach außen gekehrt habe. Der Fahrer trommelt demonstrativ auf seinem Lenkrad herum. Also schön, muss ich mir eine Fahrkarte kaufen. Mit mindestens fünf Tonnen Zent-Cent-Münzen zahle ich. Der Busfahrer meckert. Ob ich keine normale Kohle habe? Nein, sage ich, Geld ist schließlich Geld. Er grummelt, gibt mir aber eine Fahrkarte.


7.30 Uhr:
Die nächste Haltestelle
Noch mehr Fahrgäste. Wer keinen Sitzplatz hat oder taktisch schlecht steht, für den wird es langsam eng. Hier hat nur eine Chance, wer mit der Statur und Kraft eines Rugbyspielers gesegnet ist. Ebenfalls im Vorteil sind Mädchen mit hohen Absätzen. Leider habe ich weder Muskeln wie Arnold Schwarzenegger noch meterhohe Stilettos. Ich kann nur hoffen, meine Schultasche und den Regenschirm nicht zu verlieren und neben jemandem zu stehen, der ein wenig Wert auf saubere Klamotten und ein anständiges Deo legt.


7.35 Uhr:
Na endlich, Umsteigestelle.
Die Massen verlassen den Bus wie die Ratten das sinkende Schiff. Ich renne. Jetzt heißt es, schnell sein und wenn möglich auf keiner Eisplatte ausrutschen. Nur dann bekomme ich vielleicht noch einen Sitzplatz. Ja! Ich schubse einen kleinen Jungen zur Seite und schiebe mich flink in die Bank. Nun muss ich nur noch auf einen bösen Gesichtsausdruck achten, damit es ja keiner wagt, sich neben mich zu setzte.


7.40 Uhr:
Allgemeines Schweigen.
Jeder hat mindestens ein Heft ausgepackt und lernt noch schnell den Stoff der ersten Stunde. Überall werden Hausaufgaben ausgetauscht. Mathe gegen Latein. Deutsch gegen Bio. Ich hocke konzentriert über meinen Arbeitsblättern und versuche, gleichzeitig Englisch und Chemie zu lernen. Klappt aber irgendwie nicht. Von wegen, Frauen wären multitaskingfähig! Was bitte ist eine Redoxgleichung? Und warum kann ich mir nicht merken, was "to delay" heißt?

Schon wieder neue Fahrgäste. Eine alte Frau schielt auf den freien Sitzplatz neben mir. Eilig stelle ich meine Schultasche auf die freie Bank und bin plötzlich so müde, dass ich mich unbedingt auf meinen Ranzen lehnen muss, um im Sitzen nicht umzufallen. Das Lächeln der Frau verwandelt sich in eine mürrische Grimasse. Sie schlurft weiter, um einen freundlicheren Schüler zu finden. Wird sie aber nicht. Nächstenliebe? Pah, ein Fremdwort für jeden Fahrgast.

7.45 Uhr:
Noch ein Schwung Fahrgäste
Gezischel und Gemurre wird hörbar. Ach nee, flüstern die bereits Anwesenden, nicht schon wieder diese blöden Idioten! Ach nee, flüstern die Neuankömmlinge, nicht schon wieder diese arroganten Streber! Beide Seiten beäugen sich feindselig, die Luft ist dicker als Tomatensauce. Irgendwo fängt ein Handy an zu scheppern: laute, blecherne Techno-Musik. Ein anderes Mobiltelefon antwortet: Hip-Hop diesmal, nicht minder blechern. Sofort entsteht ein wortloser Wettstreit, in dem beide Kontrahenten ihre Handys so weit wie möglich aufdrehen. Ich hätte ganz gerne noch den Rest der Englisch-Vokabeln gelernt, aber irgendwie kann ich mich bei "you mother******, keep your hands of my sister and **** yourself" nicht recht konzentrieren. Also gebe ich es auf und wünsche mir stattdessen, auf der Stelle taub zu werden.

In dem Moment geht ein Typ an meinem Sitz vorbei und reißt mit seiner Jacke meine offene Schultasche schwungvoll zu Boden. Es kracht, Hefte und Stifte rutschen über den Boden - obendrauf: Der vermisste Busausweis. Fluchend sammle ich meinen Kram Stück für Stück vom nassen Boden auf und bemühe mich dabei, die gereizten Blicke meiner Mitfahrer zu ignorieren - es ist besser, man sieht niemandem in die Augen, schließlich könnte ein entschuldigender Blick von manchen auch mit einer Herausforderung zu einem Ringkampf verwechselt werden. Verdammter Mist, wo ist mein Füller? Und von meinem Chemiearbeitsblatt ist auch nur noch ein verdreckter Fetzen geblieben. Man, das wird Ärger geben - mit meinem Chemielehrer ist nicht zu spaßen. Wahrscheinlich werde ich aus Rache gleich ausgefragt, und ich stehe sowieso schon auf einer Vier!


7.50 Uhr :
Gott sei Dank, die Schule ist in Sicht.
Sämtliche Hefte und Handys werden verstaut. Die Glücklichen, die der Hölle nun entkommen können, boxen sich ihren Weg zu den Türen durch, während die anderen sich wie die Geier auf die freigewordenen Plätze stürzen. Ich schaffe es mit Mühe und Not mich zwischen einem Kinderwagen und einem Mann von dem Leibesumfang einer Litfaßsäule hinaus in den Regen zu quetschen. Freiheit! Schadenfroh sehe ich dem davonzuckelnden Bus nach und fürchte mich insgeheim schon von der mittäglichen Heimfahrt.

Doch bei allem Gedrängel, Geschubse und Gepöbel hat das Busfahren auch eine gute Eigenschaft. Ein Phänomen, dass nur selten zu finden ist. Während der ganzen Fahrt wünschen sich sämtliche Schüler nur ein einziges Ereignis herbei, ein Ereignis, dass sie sonst hassen wie die Pest: Das Auftauchen der Schule hinter den Bäumen.

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Welche Erlebnisse hattet ihr schon im Schulbus? Diskutiert mit - einfach über das Kommentarformular unter diesem Artikel!

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