Straubing

Der Burnout-Boulevard


Stundenlang sitzt Natalie L. oft vor ihrem Laptop und starrt auf den leeren Bildschirm, der sich einfach nicht mit Worten füllen will. Sie fühlt sich schwach und manchmal bekommt sie sogar Magenkrämpfe. "Wenn ich das alles nicht schaffe,dann ist alles zu Ende", denkt sie.

Stundenlang sitzt Natalie L. oft vor ihrem Laptop und starrt auf den leeren Bildschirm, der sich einfach nicht mit Worten füllen will. Sie fühlt sich schwach und manchmal bekommt sie sogar Magenkrämpfe. "Wenn ich das alles nicht schaffe,dann ist alles zu Ende", denkt sie.

"Arbeit, Uni, Heimkommen - und ich war tot." Natalie L. (Name von der Redaktion geändert)erzählt, wie die Diagnose Burnout ihr Leben zum Stillstand brachte - und wie sie sich es jetzt wieder zurückkämpft.

Natalie hat eine neue Frisur. Kürzer und mit haselnussbraunen Strähnen, die im Sonnenlicht glänzen. "Mal was Neues", meint die 25-Jährige mit einem Zwinkern ihrer braunen Augen. Es ist 10 Uhr, als sie die graue Tür ihres Elternhauses fast lautlos öffnet. Es steht in einer ruhigen Wohngegend am Stadtrand von Straubing. Neben dem Gezwitscher der Vögel hört man nur noch das gleichmäßige Rauschen des Stadtverkehrs aus der Ferne.

"Komm rein", sagt Natalie und macht die Tür noch ein paar Zentimeter weiter auf, während ein Lächeln über ihr Gesicht huscht. Wenn sie lacht, klingt es wie ein gläsernes Windspiel. Nur sanfter. Natalie leidet an Burnout.

Immer 110 Prozent

"Ich war schon während der Schulzeit immer leicht stressbar", erzählt Natalie, während sie in die Küche geht und Tee kocht. Aber nicht mit dem Wasserkocher, der immer so schnell verkalkt. Sondern mit der Kaffeemaschine. Mit der geht es besser. Vor einiger Zeit hat sie sich extra eine große Schachtel aus Holz für ihre Teesammlung gekauft. In den schmalen Fächern liegen ordentlich sortiert ihre verschiedenen Teesorten. Kamille, Rooibos, Chai Tee. Mit einem schwarzen Stift hat sie das Wort "Tee" auf das Kästchen geschrieben. "Im Laden gibt es so was nur mit englischer Aufschrift", sagt sie, als das Wasser in der Maschine anfängt zu zischen. Dann zieht sie vorsichtig zwei Teebeutel aus der Schachtel, schließt sie und stellt sie zurück in den Schrank - ganz behutsam, ganz ordentlich.

Nach dem Abitur ist Natalie aus Straubing weggezogen. Sie beginnt, an einer kleinen Universität in Baden-Württemberg Sprachwissenschaft und BWL zu studieren. Über einen Zeitraum von sechs Jahren kommt sie dann nur noch selten nach Hause. Neben der Uni fehlt ihr oft die Zeit, die Eltern zu besuchen. Sie muss viel lernen, um ihren eigenen Ansprüchen zu genügen. Oft vergleicht sie sich mit ihren Mitstudenten. Das verunsichert sie. "Ich dachte immer, ich muss 110 Prozent geben, um mit den anderen mithalten zu können", sagt sie. Das klappt eine Weile ganz gut, weil sie sich kaum Erholung gönnt. Nebenher nimmt sie einen Job an der Uni an, obwohl sie jetzt schon kaum Zeit für sich hat. Gute Noten allein reichen ihr nicht. "Ich hatte einfach das Gefühl, wenn ich vor dem Einstieg ins Berufsleben keinen Job hatte, finde ich später keinen mehr."

Heulkrampf bei Brownies

Natalie arbeitet drei Tage in der Woche. Zweimal halbtags, mittwochs sogar den ganzen Tag. Dazu muss sie noch mehrere Seminare besuchen und eigentlich sollte sie für die Masterarbeit recherchieren. Oft kommt sie nicht dazu. Das belastet sie. "Irgendwann wurde ich von meinen eigenen Erwartungen erdrückt." Sie zieht sich immer mehr in sich zurück, malt sich Horrorszenarien aus. Was ist, wenn sie das Studium nicht schafft? Dann ist alles zu Ende, denkt sie.

Vor einem Jahr wird sie dann immer dünner. An ihren Händen scheinen blaue Adern durch und ihr Haar wirkt stumpf. Auch heute fällt der Pullover locker über ihren Oberkörper. Ihr Schlüsselbein steht immer noch leicht hervor. Sie erzählt, dass sie damals vor lauter Stress keinen Hunger mehr hatte. "An guten Tagen habe ich am Morgen eine Breze gegessen und mittags ein Croissant und ein Duplo."

An schlechten Tagen isst sie nichts. Ihr Freund macht sich Sorgen. "Er musste mich oft ans Essen erinnern, damit ich es nicht vergesse. Manchmal hat er mich deswegen sogar angerufen" erzählt sie. Irgendwann kann sie nicht einmal mehr mit ganz alltäglichen Problemen umgehen. Als beim Backen einmal die Brownies nicht aufgehen, bekommt sie einen Heulkrampf. In dem Moment sei einfach alles zusammengebrochen, meint sie. "Ich dachte mir, nicht einmal das haut mehr hin. Es funktioniert nicht auf der Arbeit, es funktioniert nicht in der Uni, es funktioniert nicht in meinem Haushalt. Nicht mal das kann ich richtig machen." Sie merkt langsam, dass es so nicht weitergehen kann.

Doch wird es noch schlimmer, als ihr Freund wegen der Arbeit wegziehen muss. Plötzlich ist sie allein in der gemeinsamen Wohnung. Sie hält es nicht aus. Im Juni 2016 ruft Natalie ihre Mutter an. "Ich kann nicht mehr", bricht es aus ihr heraus. Sie kündigt ihren Job und zieht zwei Monate später wieder nach Hause. Die Masterarbeit könne sie auch daheim schreiben, denkt sie. Da habe sie endlich Zeit. Die Eltern unterstützen sie. "Wenn du dich hier einfach in Ruhe hinsetzt, wird das schon", sagen sie.

Und auch Natalie glaubt, wenn sie die Frist um einen Monat verschiebt, dann schafft sie es noch. Sie erzählt, wie die Arbeitstage so laufen, wie sie sich an den Schreibtisch setzt und sich zu konzentrieren versucht. Vor ihr flimmert der leere Bildschirm. Und irgendetwas brummelt ganz leise im Hintergrund. Es ist ihr Laptop. Er schnurrt wie eine alte Katze, wenn man ihr den Bauch krault. Sie kramt in ihren Blättern. Schlägt ein Buch auf und wieder zu. Seufzt. Dann schreibt sie den ersten Satz. Starrt ihn an und löscht ihn wieder. Sie tippt und löscht, tippt und löscht. Statt voller Seiten bekommt sie regelmäßig starke Magenkrämpfe und kann nicht mehr weitermachen. Wieder nichts geschrieben. Wieder ein Tag verloren. Es pocht in ihrem Kopf und übel ist ihr auch. "Wenn ich das alles nicht rechtzeitig schaffe, dann ist alles zu Ende", fürchtet sie. Sie packt ein Kissen, drückt es vor ihren Mund und schreit in den Bezug, bis ihr die Stimme wegbleibt.

Verrückt durch die Wohnung tanzen

Natalies Umfeld merkt lange Zeit nicht, wie schlecht es ihr geht. Sie kann es gut verstecken: "Manchmal wollte ich mir etwas antun, nur damit andere sehen, dass es mir nicht gut geht", sagt sie. Ihre Stimme zittert. Sie geht zum Neurologen, weil sie vor sich selbst erschrickt. Schwere Depression lautet die Diagnose des Arztes. Er verschreibt ihr Medikamente und eine Therapie. Mit der Masterarbeit setzt sie aus. Bei der Therapie lernt sie, wieder mehr auf sich selbst zu achten. "Was bringt eine 1.0, wenn man nach dem Studium ein psychisches Wrack ist", sagt sie heute. Sie hat verstanden, dass sie sich besser um sich selbst kümmern muss. "Wenn man nur noch funktioniert, nicht mehr zuhören kann und es einem sogar zu anstrengend ist, Freunde zu treffen, dann ist das doch nicht mehr in Ordnung."

Auch nach mehreren Monaten Therapie fällt es ihr nicht immer leicht, ihre Gesundheit im Auge zu behalten. Aber sie hat gelernt, regelmäßig zu essen und genug zu schlafen. Die dunklen Ringe unter ihren Augen verschwinden langsam, die Adern an ihren Händen sind blasser geworden und ihr Haar glänzt wieder. Es geht bergauf. Bald will sie sich auch wieder an die Masterarbeit setzen. Die Voraussetzung dafür ist eine gesunde Einstellung, die richtigen Wertigkeiten - und Freiraum im Kopf: "Man muss einfach wieder mehr das tun, was einem Spaß macht. Selbst wenn es verrückt durch die Wohnung tanzen ist."