Interview

EVP-Fraktionschef Manfred Weber glaubt weiter an Quotenverteilung von Flüchtlingen in Europa


Manfred Weber erwartet von der EU Handlungsfähigkeit. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Manfred Weber erwartet von der EU Handlungsfähigkeit. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Von Dr. Gerald Schneider

Trotz aller bisher vergeblicher Bemühungen glaubt Manfred Weber weiter an eine Quote für die Verteilung von Flüchtlingen in Europa, wie der der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament (CSU) im Interview mit unserer Zeitung sagt. Europa ist aus Webers Sicht "mehr denn je notwendig", um Themen wie die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise oder die Ukrainekrise lösen zu können.

Herr Weber, die EU-Innenminister haben sich darauf verständigt, gerade einmal 160.000 Flüchtlinge unter den 28 Mitgliedstaaten zu verteilen. Von einer Quote ist dagegen keine Rede. Wie enttäuscht sind Sie von Europa?
Weber: Die Ergebnisse des EU-Innenministerrates sind ein Anfang, aber insgesamt angesichts der aktuellen Situation mit riesigen Flüchtlingsströmen enttäuschend. Weitere Treffen müssen deshalb folgen. Wir brauchen mehr Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Es kommt aber Bewegung in die Debatte. Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Es dämmert mehr und mehr Ländern, dass die Flüchtlingskrise auf Dauer nur gemeinsam gelöst werden kann. Deshalb bin ich optimistisch, dass wir zu einer Quotenlösung kommen werden. Und was mir wichtig ist: Nicht Europa, also "Brüssel", kann hier nicht liefern. Sowohl in der EU-Kommission wie auch im Europäischen Parlament gibt es große Mehrheiten für einen Quotenmechanismus. Es sind die Mitgliedstaaten, die sich gegenseitig blockieren. Wir werden so lange weiter werben, bis wir zu einer besseren Lösung kommen. Ich appelliere an alle, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Sie sagen immer wieder, Schuld sei nicht Brüssel, sondern die nationalen Egoismen der Mitgliedstaaten. Was soll das Ganze aber dann, wenn man keine Kraft hat, in Krisensituationen Solidarität einzufordern? Verkommt die EU nicht zur reinen Schönwetterveranstaltung?
Weber: Die Quote liegt auf dem Tisch und beweist das Gegenteil. Die EU ist keine Schönwetterveranstaltung. So war sie auch nie gedacht. Europa ist mehr denn je notwendig, damit diese Themen, wie die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise oder auch die Ukrainekrise, gelöst werden können. Das Wort Krise dominiert derzeit leider. Nur eine enge europäische Zusammenarbeit gibt uns die Chance, überhaupt noch handeln zu können. Jetzt muss die EU zeigen, dass sie dazu auch in der Lage ist.

Wie lassen sich dann Länder wie Polen, Dänemark oder die baltischen Staaten dazu bewegen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen?
Weber: In allen mittel- und osteuropäischen Staaten hat eine Debatte darüber begonnen, welche Auswirkungen die Flüchtlingsströme langfristig haben können. Es kann ja auch einmal eine andere Situation eintreten, dass die meisten Flüchtlinge nicht aus Syrien oder Afrika kommen, sondern zum Beispiel aus der Ukraine. Ich erlebe viel Nachdenklichkeit in meinen Gesprächen, weil jedes EU-Land damit rechnen muss, selbst einmal die Solidarität der anderen zu benötigen.

Die EU war sehr stolz auf den Wegfall von Grenzkontrollen im Schengen-Raum. Nun hat man diesen Wegfall zumindest vorübergehend ausgesetzt. Ist damit ein angeblich großes Integrationsprojekt nicht gescheitert?
Weber: Die offenen Grenzen sind ein Riesengewinn von Europa. Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an einzelnen Grenzen hat mit der Situation zu tun. Es ist nicht hinnehmbar, wenn Zehntausende Flüchtlinge quer durch Europa unterwegs sind und keiner weiß, wer sie sind oder wo sie sich aufhalten. Diese chaotische und unkontrollierte Situation, die ja auch ein großes Sicherheitsrisiko ist, musste beendet werden. Und deshalb war die Entscheidung, Grenzkontrollen zeitweise wiedereinzuführen, richtig. Dieser Fall ist in den Schengen-Regeln ja auch ausdrücklich vorgesehen.

Sie waren zu Besuch in Ungarn beim viel gescholtenen Viktor Orban. Mit Zäunen versucht das Land Flüchtlinge fern zu halten. Wieviel Verständnis haben Sie für das Verhalten Ungarns?
Weber: Wir haben uns in der EU gemeinsame Regeln gegeben, um für die Menschen einen Mehrwert zu erreichen. Dazu zählt das Schengen-Abkommen, das Reisefreiheit in Europa garantiert. Aber das Abkommen hat auch eine zweite Seite: Die EU-Außengrenzen müssen gesichert werden. Und daran mangelt es im Moment enorm. Keiner will neue Zäune. Aber Ungarn versucht, seine Aufgabe zu erledigen und zu kontrollieren, wer den Schengen-Raum betreten will. Zudem registriert es die Flüchtlinge. Auch das ist seine Aufgabe. Beides müsste eigentlich schon in Griechenland passieren. Wir stehen für den Schutz von Verfolgten. Es kann aber nicht sein, dass jeder wie er gerade will, nach Europa kommen kann. Deshalb brauchen wir einen viel besseren Außengrenzenschutz. Um die Flüchtlingsströme zu steuern, sind gerade wir Deutschen auf die Kooperation mit Ungarn angewiesen. Deshalb müssen wir im Gespräch bleiben. Ich habe Viktor Orbán aber auch gesagt, dass wir erwarten, dass die humanitären Standards eingehalten werden, die Polizei vernünftig mit der Situation umgeht und die Flüchtlinge gut behandelt werden. Darauf werden wir achten.

Ihre Partei, die CSU, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihre Flüchtlingspolitik ungewöhnlich hart kritisiert. Wie sehr lag die Regierungschefin daneben, als Sie zur Flüchtlingskrise nur sagte "wir schaffen das"?
Weber: Da wird ein Gegensatz konstruiert, den es so nicht gibt. Wir alle sind stolz darauf, wie großartig die Menschen in Deutschland in den vergangenen Wochen mit viel Herzlichkeit Flüchtlinge aufgenommen haben. Das ist eine sehr schöne Erfahrung und prägt das Bild Deutschlands in der ganzen Welt. Allerdings war auch immer klar, dass das völlige Öffnen der Grenzen für Bürgerkriegsflüchtlinge nur für eine begrenzte Zeit gilt. Als die Situation unkontrollierbar geworden ist, musste Deutschland reagieren. Das ist im Einvernehmen geschehen. Und jetzt müssen alle einen Zahn zulegen, dass die Probleme gelöst werden. Das gilt für alle politischen Ebenen.