Straubing

Ein Volksfest mit Zaun und Stacheldraht


Eingang in das Volksfest 1951 oder 1953 (Privatbesitz)

Eingang in das Volksfest 1951 oder 1953 (Privatbesitz)

Von Redaktion idowa

Ein eingezäunter Festplatz, für dessen Betreten man Eintritt zahlen muss? Schier unvorstellbar - und doch gab es das in der zweihundertjährigen Geschichte des Volksfestes mehrfach - 1927 ergriffen die Volksfestorganisatoren diese Maßnahme zum ersten Mal.

"Die Abhaltung eines Volksfestes für 1927 wird abgelehnt." Einstimmig traf der Straubinger Stadtrat im September 1926 diesen Beschluss. Die Stadtväter hatten sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Grund für die Absage war die schlechte Finanzlage der Stadt: Die Stadtkasse hatte ein hohes Defizit, die Steuereinnahmen gingen zurück, Kredite in Millionenhöhe standen an, um zum Beispiel die marode Gasversorgung zu modernisieren. Zudem hatten die Landwirte des Gäubodens in diesem Jahr enorme Hochwasserschäden und Ernteeinbußen erlitten, so dass der Stadtrat an deren sonst üblichen tatkräftigen Unterstützung eines Volksfestes zweifelte.

1922 hatte man noch mehr Mut: Nach dem Ersten Weltkrieg, der Hunger, Not und Leid sowie das Ende der monarchischen Staatsform gebracht hatte und eine rasch fortschreitende Inflation nach sich zog, hielt man "allen Miesmachern, allen Kritisierern und Ängstlichen zum Trotz" wieder ein Volksfest ab: "Frohsinn, Humor und Lebenslust sollen auf der Hagenwiese wieder einmal so recht zur Geltung kommen." Drei Jahre später knüpfte man, auch dank einer besseren Wirtschaftslage, an die "glänzenden Tage der früheren Feste" wieder an.

Das Volksfest von 1925 blieb nicht nur wegen der sensationellen Vorführungen des ehemaligen Jagdfliegers Ernst Udet in Erinnerung, sondern auch wegen der eindrucksvollen Gewerbeausstellung in der neuen Gewerbehalle auf dem Hagen. Zwei Jahre später waren in Straubing die "goldenen Zwanziger Jahren" offenbar schon wieder vorbei, man spürte das "Ab der Wirtschaft", deren Krise in Deutschland nicht erst mit dem berühmten Börsenkrach in New York 1929 einsetzte.

Empörte Reaktionen

Der Beschluss des Stadtrats löste aber empörte Reaktionen in der Bevölkerung aus. In öffentlichen Versammlungen erörterte man das Für und Wider eines Volksfestes 1927, zum Beispiel auf einer Veranstaltung der Vereinigten Wirtschaftsverbände. Dabei wurde das Volksfest nicht nur als wichtige Einnahmequelle für die Bevölkerung gesehen und pragmatisch argumentiert: "Die Leute gehen zum Volksfest und wenn sie ihr Geld bei uns nicht anbringen können, dann fahren sie fort und verbrauchen es dort." Sondern man betonte immer wieder die ideelle Bedeutung: Was das Oktoberfest für München und die Landshuter Hochzeit für Landshut sei, das sei das Volksfest für Straubing - es habe eine "Volkstümlichkeit erhalten und es ist Pflicht des Stadtrates, diese Volkstümlichkeit der Stadt Straubing zu erhalten".

Erneut befasste sich der Stadtrat unter der Leitung des Bürgermeisters Josef Maily mit dem Thema und beschloss nun: Das Volksfest sollte 1927 stattfinden, aber nur mit Erhebung von Eintrittsgeld, um angesichts der gegenwärtigen "traurigen Finanzlage der Stadt" die Kosten decken zu können. Neuerliche Proteste waren die Folge, die den Stadtrat sogar zu einem offenen Brief an die Bürger mit dem Titel "Aufklärung!" veranlasste, "dass den Leuten, die nur (zu) schimpfen wissen und in hetzerischer Absicht das Fest schädigen, das Handwerk gelegt wird". Die kommunistischen Stadträte Johann Vogt und Heinrich Schindler beantragten, "daß die geplante Umzäunung der Festwiese unterbleibt, da diese Maßnahme direkt provozierend auf die untere Bevölkerung wirkt". Auch die Schlossbrauerei Moos und die Brauerei Röhrl, an die für je 3 000 Mark Platzmiete die beiden Bierzelte vergeben worden waren, erhoben Einspruch. Vergeblich: Die Firma Otto Plank, Sieb- und Drahtwaren, erhielt den Auftrag, den Festplatz für 2357 Mark in einem Umfang von tausend Metern mit einem zwei Meter hohen "verzinktem Drahtgeflecht" zu umgeben, ihn zudem oben mit einem "Stachelspanndraht" zu versehen und fünf Einlasstore einzubauen.

Tages- und Dauerkarten


Als Eintrittsgeld wurden Tageskarten für 50 Pfennige und Dauerkarten für zwei Mark festgelegt: "Die Dauerkarte berechtigt zum beliebigen Eintritt des Festplatzes, sowie zu sämtlichen Veranstaltungen, Ausstellungen und Schauen mit Ausnahme der Gewerbeschau und den Volkstümlichen Rennen. Sie ist nicht übertragbar. Kinder bis zu 15 Jahren sind frei." Familienkarten oder "Vorzugskarten für Arme und Minderbemittelte" gab es nicht, dafür konnte der Festplatz ab 20 Uhr (Sperrstunde war um 23.30 Uhr) und am Freitag kostenlos betreten werden. Das Straubinger Tagblatt kommentierte süffisant: "Eine Gattung von Menschen wird heuer am Volksfestplatz besonders stark vertreten sein, nämlich die der Zaungäste."

Trotzdem: Festtrubel

Nach soviel Aufregung im Vorfeld war der Volksfestausschuss unter Leitung des Rechtsrates Dr. Otto Höchtl sicher froh, als das Fest am Freitag, den 13. August, abends mit der Bierprobe endlich seinen Anfang nahm - und zwar einen sehr erfolgreichen, mit Tausenden von Besuchern. Obwohl das Fest "unter schweren Opfern der Ungunst der Zeiten abgerungen" war, wie der Volksfestausschuss im Geleitwort des Festkatalogs betonte, konnte man sich rühmen: "Der Festplatz selbst ist heuer mit Ausstellungsbauten, Schau- und Vergnügungsgeschäften, Ständen mit Lebens- und Genussmitteln usw. in einer Weise besetzt, wie noch nie zuvor" und biete abends "einen feenhaften Anblick" durch die vielen "Glühlämpchen". Die Besucher würden für ihr Eintrittsgeld "überreich entschädigt". Begleitveranstaltungen wie der (Kinder-)Festzug, das Preisschießen, die Turnvorführungen, die Pferderennen, die Autosternfahrt mit Blumenkorso, die Geschicklichkeitsprüfung für Motorräder, der erste öffentliche Boxkampf auf dem Festplatz, das "hier noch nie gezeigte japanische Tages-Feuerwerk" oder das Prunkfeuerwerk zum Abschluss würden das Straubinger Fest zudem "weit über den Rahmen eines gewöhnlichen Volksfestrummels" emporheben.

"Fabelhaft billige Preise"

Bei den Diskussionen um die Abhaltung eines Volksfestes 1927 war immer wieder der Nutzen einer derartigen Veranstaltung für die Straubinger Geschäftsleute betont worden. Insbesondere die größeren Mode- und Textiliengeschäfte warben an den Festtagen mit Preisnachlässen oder besonderen Aktionen, zum Beispiel die Fa. Schwarzhaupt mit "Großer Volksfest-Verkauf zu fabelhaft billigen Preisen" oder die Fa. Färber mit "Luftballontagen zum Straubinger Volksfest"; das Autohaus Josef Lichtinger bot "kostenlose Probefahrten". Und wenn das "Straubinger Tagblatt" über den letzten Sonntag, den 21. August, von einem "Ameisenhaufen", einem "Bombenbesuch", einem "Menschenwald" auf dem Festplatz berichtete, dann profitierte auch die Geschäftswelt davon, die an diesem Tage verkaufsoffen hatte.

Der "überaus gelungene Verlauf" des Volksfestes, trotz Erhebung von Eintrittsgeld, schlug sich schließlich auch in der Schlussabrechnung des Volksfestes nieder: Den Einnahmen an Platzgeldern in Höhe von 16 158 Mark, an Eintrittsgeldern in Höhe von 28 298 Mark, an den Losen des ausverkauften Glückshafen in Höhe von 26 742 Mark, an Sonstigem in Höhe von 3 005 Mark standen Ausgaben von 16 223 Mark für die Gestaltung und Ausschmückung des Festplatzes, von 23 898 Mark für die Gewinne sowie den Auf- und Abbau des Glückshafens, von 3 752 Mark für Werbung, von 12 728 Mark für besondere Veranstaltungen wie die Ausstellungen oder die Pferderennen, von 6 697 Mark für Zuschüsse an einzelne Vereine, von 2 121 Mark für Vergütungen und Steuern und von 13 285 Mark für die Ehrenpreise gegenüber. Der Zuschuss, den die Stadt für das Fest leisten musste, belief sich somit auf 5 890 Mark und lag damit unter den veranschlagten und bereitgestellten 10 000 Mark.

Eintritt in der Nachkriegszeit

Die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit eines Eintrittsgeldes wurde übrigens weiter verschieden gesehen. Aufrecht erhalten wurde es in den beiden folgenden Festen 1929 und 1931, während man es dann 1934, beim ersten Volksfest in nationalsozialistischer Zeit, aufgab: Das Eintrittsgeld habe bei der Landbevölkerung "stärksten Unwillen" ausgelöst, die Stadtbewohner seien bevorzugt gewesen, da sie nach 20 Uhr kostenlos auf den Festplatz gehen konnten. Dafür wurde nun aber wieder für die einzelnen Schauen Eintritt verlangt. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte man das Eintrittsgeld zur Finanzierung des Festes wieder ein, obwohl nun das Schaustellergewerbe in der "derzeitigen wirtschaftlichen Notlage" heftig dagegen protestierte. 1949 begründete der Stadtrat den Eintrittspreis von täglich 50 Pfennigen mit dem Ziel, "das traditionelle Straubinger Volksfest im großen Rahmen wie früher abzuhalten". Die Schausteller, die wegen des Eintrittsgeldes ihre Teilnahme am Straubinger Fest absagten, wie der Betreiber der "Todeswand", täuschten sich: Das Volksfest wurde mit "nicht zu hoch gegriffenen" 150 000 Besuchern ein "voller Erfolg" - und die Einstellung von 65 arbeitslosen Straubingern als Kassierer und Kontrolleure ein erfreulicher, sozialer Nebeneffekt, wie Oberbürgermeister Dr. Otto Höchtl betonte. Die Tätigkeit des Kontrollpersonals war übrigens nicht ganz ungefährlich, wie ein Bericht vom Fest 1953 beweist: "Mehrere Wachmänner wurden in Ausübung des Wach- bzw. Kontrolldienstes an den Eingängen tätlich angegriffen und sogar mit dem Messer bedroht."

Eintritt erhob man also auch bei den Festen von 1951 und 1953 (damals fand das Volksfest nur alle zwei Jahre statt); er brachte jeweils rund 30 000 DM Reingewinn, mit dem vor allem die Ausstellungen sowie die kulturellen und sportlichen Veranstaltungen finanziert wurden. Da die meisten Fahr- und Schaugeschäftsinhaber sowie die Brauereien immer wieder gegen das Eintrittsgeld protestierten, "namhafte und zugkräftige Schaustellungen" zunehmend ausblieben, zudem "keine Stadt in Bayern von der Größe Straubings" Eintrittsgeld erhob, beschloss der Stadtrat schließlich, beim Volksfest 1955 das Eintrittsgeld abzuschaffen, "um den breiten Schichten der Bevölkerung einen ungehinderten Zutritt zum Volksfest zu ermöglichen". Dafür wurden aber die Platzgebühren um dreißig Prozent erhöht.

Während das 1927 aus der wirtschaftlichen Not der Zeit geborene Eintrittsgeld verschwand, hielt sich eine damals ebenfalls eingeführte Neuerung bis heute: Um das Volksfest "wetterfester" zu machen und damit einen höheren Besuch zu erreichen, aber auch um nicht zu nahe an die Straubinger Herbstdult und das Münchner Oktoberfest heranzukommen, legte man es von September auf Mitte August vor.

"Was's Volksfest z'Straubing is? - A Trumm vom Paradies!"


So dichtete der Heimatschriftsteller Max Peinkofer für die Festzeitung 1927. Er schuf damit - unwissentlich - nicht nur den heutigen Werbeslogan des Gäubodenvolksfestes, sondern traf durchaus das Empfinden der Bevölkerung. Die starke Identifikation der Straubinger Bürgerschaft mit "ihrem" Fest, auf Besucherseite wie auf Organisationsebene, die auch durch die zeitweise Erhebung von Eintrittsgeld nicht getrübt wurde, zieht sich übrigens wie ein roter Faden durch die Geschichte des Volksfestes: "Bei dem Namen ,Volksfest' schlägt jedes Straubinger Herz höher "