Loitzendorf

„Das Attentat hat die Welt verändert“


War vor 40 Jahren mit dem Bundesgrenzschutz beim Attentat während der Olympischen Spiele 1972 in München dabei: Johann Stöger aus Loitzendorf. Ein originales Olympia-Maskottchen "Wastl" und das Dankesschreiben von Ministerpräsident und Innenminister hat er immer noch aufbewahrt. (Foto: rom)

War vor 40 Jahren mit dem Bundesgrenzschutz beim Attentat während der Olympischen Spiele 1972 in München dabei: Johann Stöger aus Loitzendorf. Ein originales Olympia-Maskottchen "Wastl" und das Dankesschreiben von Ministerpräsident und Innenminister hat er immer noch aufbewahrt. (Foto: rom)

Von Redaktion idowa

(rom). 5.34 Uhr. Diese Uhrzeit hat sich bei Johann Stöger aus Loitzendorf eingeprägt. 40 Jahre ist es heute her, für ihn ist es, "als wäre es gestern gewesen". Am 5. September 1972 um 5.34 Uhr riss ihn ein Alarm aus dem Schlaf und mit ihm die restlichen 2000 Polizisten in seiner Kaserne. Der damals 25-Jährige gehörte zum Bundesgrenzschutz und war mit 8000 anderen Polizisten aus Deutschland bei den Olympischen Spielen in München. Der Alarm, das Attentat im olympischen Dorf, scharfe Munition. Alles ging ganz schnell. Noch tagelang nach dem Massaker und dem Tod von 17 Menschen schliefen sie mit Maschinenpistolen unter den Kopfkissen. Der 65-Jährige ist überzeugt: "Das Attentat hat die Welt verändert."

Sein originales Olympia-Maskottchen "Waldi" hat 40 Jahre auf dem Buckel, etwas ausgebleicht ist es an der ein oder anderen Stelle. Das brachte Stöger damals von München mit nach Hause und hält es noch immer in Ehren. Nicht mal seine Kinder durften mit dem kunterbunten Gummi-Dackel spielen, nicht dass bei dem Andenken was kaputt geht. Stöger schmunzelt. Das Maskottchen wird er immer aufheben. Denn diese Olympischen Spiele vor 40 Jahren wird er nie vergessen.

Stöger war einer von insgesamt 8000 Polizisten, die deutschlandweit für den Sicherheitseinsatz in München zusammengezogen worden waren. Dafür erhielt er im November 1972 eine eigene Dankesurkunde von Ministerpräsident Alfons Goppel und Innenminister Bruno Merk. Auch die Urkunde hat er aufbewahrt.

Große Erwartungen wurden in die Olympischen Spiele in der bayerischen Landeshauptstadt gesetzt: Ein verändertes Deutschland wollte man der Welt präsentieren - mit so wenig Polizeipräsenz wie möglich. Fröhlich, offen, gastfreundlich sollten die Spiele sein. Das waren sie auch, zunächst.

Davor war es "fantastisch"


"Vor dem Attentat war es fantastisch", erinnert sich der 65-Jährige an die Olympischen Spiele. Für ihn als jungen Bundesgrenzschutz-Polizisten - er war seit 1966 dabei - war der Einsatz "hochinteressant". Zudem er damals selbst gerne sportelte, wie er erzählt. Insgesamt war er für Olympia sechs Wochen durchgehend in München. Vor Beginn der Spiele erhielten sie eine Einweisung. Das Stadion kannte er "auswendig". Während der Wettkämpfe hatte er acht Stunden Dienst in der Stadt und abends frei - außer bei Bereitschaft. Immer fünf Polizisten des Bundesgrenzschutzes waren mit einem Münchner Polizisten unterwegs. Nach Feierabend trafen sie sich in ihrer Kaserne beim Essenszelt. Dort spielte zünftige Blasmusik. "Direkt super" war das, erzählt Stöger. Die Stimmung war fröhlich, offen, gastfreundlich. Das war bis zum 5. September gegen fünf Uhr morgens so.

Danach war alles anders

Zunächst wusste keiner von ihnen, was genau geschehen war, erinnert sich Stöger. Sie wurden durch den Alarm geweckt, erhielten scharfe Munition und sollten sich "bereithalten". Die Straßen waren verstopft von Schaulustigen und der Presse. Politiker eilten heran und alles ging durcheinander. Genscher, Strauß, Merk. Angst hatte Stöger zu keinem Zeitpunkt. "Angst habe ich nie." Der junge Polizist gelangte erst später nach der Geiselnahme ins Olympische Dorf und dort blieb er auch. Zum Flughafen in Fürstenfeldbruck musste ein anderer Teil des Bundesgrenzschutzes. Dort eskalierte die Situation in der Nacht schließlich. Alle elf israelischen Geiseln starben sowie fünf Terroristen der Organisation "Schwarzer September" und ein deutscher Polizist.

"Alles ist anders geworden", sagt Stöger. Dieses Attentat war "absolutes Neuland auf deutschem Boden". Zwei Wochen war Stöger nach dem Attentat noch vor Ort. Tagelang schliefen sie alle mit einer Maschinenpistole unter dem Kopfkissen. Im Abstand von fünf Metern positionierten sich Polizisten um das olympische Dorf. Nur einen Tag setzten die sportlichen Wettkämpfe aus. Die Blasmusik in der Polizisten-Kaserne verstummte für immer.

Wenige Tage danach sickerten zunehmend Einzelheiten zu den Polizisten durch, "dass es nicht richtig gelaufen" sei. Dass beispielsweise der israelische Geheimdienst Mossad eingreifen wollte, aber die Erlaubnis von deutscher Seite nicht gegeben wurde. Das ganze Ausmaß dieses Einsatzes sei einem erst danach bewusstgeworden, sagt Stöger. Wenn er im Bett gelegen sei, habe er zu Grübeln begonnen.

Wie es überhaupt dazu kommen konnte, das versteht Stöger bis heute nicht. Und auch die Frage "Warum haben die solche Fehler gemacht?" stellt er sich auch nach 40 Jahren noch immer. Das tue schon weh, sagt er. Denn ein Versagen beim Eingreifen gegen die Terroristen ist bis heute ein heikel diskutiertes Thema. Das Hauptproblem, glaubt Stöger, war, dass die Politik so wenig Polizisten wie möglich wollte. Hätten schon damals im Abstand von fünf bis zehn Meter Polizisten um das Olympia-Dorf gewacht, wären die Terroristen nie ungesehen dort hineingelangt, ist er sich sicher.

Ein persönliches Erlebnis


Das Attentat überschattet Stögers Eindrücke von Olympia in München. Dennoch hat er auch ein ganz persönliches Erlebnis, das ihn über dieses Erlebnis hinwegtröstet: Vom Pfarrer des Bundesgrenzschutzes hatte er sechs Freikarten zu einem Fußballspiel bekommen. Als er kurz vor knapp ins Stadion marschierte mit den Freikarten im Gepäck, traf er einen Vater mit drei Kindern. Die schauten sehr traurig drein und weinten. "Wir haben keine Karten mehr bekommen", erzählten sie dem jungen Stöger. Der packte seine aus und schenkte ihnen vier Stück. Nie wird er vergessen, wie die Kinder strahlten. Als die Familie schon längst weitergegangen war, drehten sich die Kinder immer wieder zu ihm um und winkten. Sie konnten ihr Glück nicht fassen. Stöger lacht: "Sie haben mir nachgeschaut, als wäre ich von einem anderen Stern."