Muslimischer CSU-Bürgermeisterkandidat

Ozan Iyibas: „Der Mensch steht im Vordergrund, nicht die Herkunft“


Ozan Iyibas, der Bürgermeister der CSU in Neufahrn.

Ozan Iyibas, der Bürgermeister der CSU in Neufahrn.

Kann ein Muslim Bürgermeisterkandidat der CSU werden? Über diese Frage ist Anfang Januar im schwäbischen Wallerstein eine hitzige Diskussion entbrannt. Am Ende zog der Unternehmer Sener Sahin seine Kandidatur zurück. Im oberbayerischen Neufahrn (Landkreis Freising) war der Glaube von Ozan Iyibas dagegen kein großes Thema. Der 37-Jährige hat 20 Jahre als Bankkaufmann bei der Sparkasse gearbeitet, ist mittlerweile selbstständiger Unternehmensberater und wurde nun von der CSU-Fraktion in Neufahrn einstimmig zum Bürgermeisterkandidaten gewählt. Damit ist er der erste muslimische Kandidat innerhalb der Partei. Das hat ihn in den vergangenen Tagen bundesweit in die Schlagzeilen gebracht. Im Interview mit idowa spricht Iyibas über den unerwarteten Medienrummel, engstirnige Zeitgenossen innerhalb und außerhalb der Partei und die Ziele für seine Heimatgemeinde.

Herr Iyibas, Sie sind am 17. Januar mit dem bestmöglichen Ergebnis - 32 von 32 Stimmen - zum Bürgermeisterkandidat der CSU in Neufahrn gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet dieses Ergebnis Ihnen persönlich?

Ozan Iyibas: Es bedeutet mir sehr viel - vor allem nach den Geschehnissen in Wallerstein. Ich wusste zwar schon zuvor, dass es bei uns in Neufahrn keine solchen Vorbehalte gibt, trotzdem ist das Ergebnis für mich natürlich ein guter Wegbereiter für den Wahlkampf.

In Wallerstein hat ein muslimischer Bürgermeisterkandidat seine Kandidatur nach Kritik aus der Partei zurückgezogen. Dadurch ist Ihre Kür bundesweit in den Fokus von Politik und Medien geraten. Wie haben Sie die vergangenen Tage erlebt?

Ozan Iyibas: Es war für mich eine sehr heftige und ermüdende Zeit, das muss ich ehrlich sagen. Ich habe unzählige Interviews geführt und musste mich ständig rechtfertigen, wer ich bin, woher ich komme und warum ausgerechnet ich als Muslim kandidiere. Meine Antwort war immer gleich: Der Mensch steht im Vordergrund, nicht die Herkunft. Trotzdem waren die Fragen oft nur auf meinen Glauben beschränkt. Ich habe eigentlich gedacht, dass wir als Gesellschaft und auch die Medien schon weiter sind. Dass man aus einem muslimischen Kandidaten ein derartiges Politikum macht, war für mich nicht verständlich. Ich habe dann schlussendlich zwei Möglichkeiten gesehen: Mich zurückzuziehen wie der Kandidat in Wallerstein oder die Herausforderung anzunehmen. Ich habe mich für Zweiteres entschieden. Ich möchte den Menschen, die vielleicht noch nicht von mir überzeugt sind, zeigen, dass es eben nicht um die Herkunft geht. Dass ich genau wie sie Teil dieser Gesellschaft bin - trotz meines etwas anderen Namens.

Sie gehören - wie Ihre Eltern - den Aleviten an. Die Konfession wird oft, aber nicht immer dem Islam zugeordnet. Können Sie die Unterschiede erläutern?

Ozan Iyibas: Kurz und knapp: Sogar Theologen streiten darüber, ob das Alevitentum nun zum Islam gehört oder nicht. Auch bei den Aleviten selbst herrscht darüber keine Einigkeit. Sowohl das Alevitentum als auch das Christentum und der Islam sind abrahamitische Religionen, haben also sehr viele Gemeinsamkeiten. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre Auslegungen und Interpretationen. Es gibt ja zum Beispiel auch im Islam viele unterschiedliche Strömungen - darunter auch sehr extreme, die ich entschieden ablehne. Doch um die Frage zu beantworten: Das Alevitentum ist ein säkularer und liberaler Glaube. Ob nun innerhalb oder außerhalb des Islams, das sollen Theologen entscheiden. Was mir persönlich wichtig ist: Die Werte und das Menschenbild sind dem Christentum sehr nah. Peter Scholl-Latour (deutsch-französischer Journalist und Publizist, Anm. d. Red.) hat einmal gesagt: "Das Alevitentum ist das Christentum des nahen Ostens". Das trifft es, denke ich, ganz gut.

Sie sind seit 2007 Mitglied der CSU in Neufahrn, wurden 2014 in den Gemeinderat gewählt. Was war der Antrieb, in die Politik zu gehen?

Ozan Iyibas: Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Der erste sind meine Eltern. Als ich neun Jahre alt war, hat mich meine Mutter zum ersten Mal mit in die Kirche genommen. Ich war damals zunächst verwirrt und habe nicht verstanden, wieso. Als ich meine Mutter danach fragte, antwortete sie: "Ozan, du bist hier geboren, wächst hier auf und wirst vielleicht dein ganzes Leben hier verbringen. Deswegen solltest du die Bräuche und auch die christliche Religion kennenlernen. Dann kannst du selbst entscheiden, welcher Weg für dich der richtige ist." Dieses Denken prägt mich bis heute. Und der zweite Grund: 2007 wurde ich von CSU-Funktionären im Ort angesprochen, ob ich nicht der Partei beitreten und für den Gemeinderat kandidieren will. Ich habe dann zwei, drei Tage überlegt - und mich schließlich dafür entschieden. Ich möchte mich politisch engagieren, weil ich der Gesellschaft, die mir so viel ermöglicht hat, gerne etwas zurückgeben will. Und was die CSU angeht: Die CSU ist eben die Partei, die seit über 40 Jahren in der Regierung ist. Sie hat es mir ermöglicht, mich so zu entwickeln, wie ich heute bin. Das kann keine schlechte Partei sein.

Hat Ihr Glaube schon bei Ihrem Eintritt in die Partei eine Rolle gespielt?

Ozan Iyibas: Ganz ehrlich, am Anfang habe ich schon einige fragende Blicke bekommen. Frei nach dem Motto "Was will der jetzt hier?". Und zwar von beiden Seiten. Es gab einerseits konservative Parteimitglieder, die sagten, ein türkischstämmiger Muslim kann nicht für die CSU kandidieren. Umgekehrt haben mir aber auch manche meiner muslimischen Bekannten die Freundschaft gekündigt, weil ich einer Partei mit dem "C" im Namen beigetreten bin. Dabei ist die CSU ja keine christliche Sekte, sondern eine Partei der christlichen Werte. Wenn Muslime das nicht verstehen, dann haben sie den Islam nicht verstanden. Und wenn es Christen gibt, die gegen einen liberalen Muslim wettern und sagen, der gehört nicht zur CSU, dann haben sie das Christentum nicht verstanden. Für meinen Namen, meine Herkunft und mein Aussehen kann ich nichts. Aber für den Mensch Ozan Iyibas bin ich verantwortlich. Und auch wenn es manchmal mühsam ist, das immer wieder zu erklären, nehme ich diese Herausforderung doch an. Denn gesellschaftlichen Zusammenhalt können wir nur dann gewährleisten, wenn auf beiden Seiten Akzeptanz und Toleranz gelebt werden. Wobei es mir widerstrebt, hier von "beiden Seiten" zu reden, denn eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass es kein "wir" und "die" gibt, sondern nur "wir".

Sie haben diese Thematik vor einigen Tagen auch in einem humorvollen Video aufgegriffen. Darin spielen Sie sich selbst und gleichzeitig einen grantelnden Wirtshausbesucher.

Ozan Iyibas: Ja, das ist der Clou daran, dass ich beide Rollen selber spiele. Mit dem Video wollte ich mich selbst ein bisschen auf den Arm nehmen und die Diskussion mit etwas Humor würzen. Es steckt aber schon eine ernste Message dahinter, eben, dass es nicht wichtig ist, wo man herkommt, sondern wo man hinwill. Und diese Mischung aus Ernst und Humor kommt glaube ich ganz gut an.

Kommen wir zu Ihren konkreten Ideen für Neufahrn. Ihr Wahlprogramm steht unter dem Motto "Gutes erhalten, Neues entwickeln, Heimat bewahren". Gehen wir die drei Punkte durch. Was ist so gut an Neufahrn?

Ozan Iyibas: Was auf jeden Fall gut ist, ist unsere Gemeinschaft. Wir sind im Landkreis die zweitgrößte Kommune, haben eine gute Infrastruktur und sind vernetzt, auch bedingt durch die Nähe zum Flughafen und dem Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München. Neufahrn ist sowohl städtisch als auch ländlich geprägt. Wir verbinden das Urbane mit dem Heimatgefühl. Und das ist ein Unikat, das wir uns erhalten müssen.

Und welche neuen Ideen schweben Ihnen für Ihre Heimatgemeinde vor?

Ozan Iyibas: Wirtschaft ist hier für mich ein ganz wichtiger Punkt. Unsere Infrastruktur ist hervorragend, aber wirtschaftlich hängen wir ein bisschen hinterher. Ich habe die Befürchtung, wenn wir hier nicht bald gegensteuern, werden wir im Vergleich zu umliegenden Gemeinden wie etwa Hallbergmoos weiter zurückfallen. Mir strebt zum Beispiel ein regelmäßiger Austausch mit den Unternehmen vor Ort vor. Das fehlt mir momentan noch. Wir müssen die bestehenden Unternehmen besser vernetzen und gleichzeitig schauen, dass wir neue Unternehmen gewinnen. Wir könnten hier von Synergien mit der TU München oder dem Flughafen profitieren. Dazu bräuchten wir auch eine bessere Imagepflege für unsere Gemeinde. Wir reden oft über Pflicht-, Kür- und Sicherheitsaufgaben, aber die werden wir nur schaffen, wenn wir eine gesunde und nachhaltige Wirtschaft vor Ort haben.

Wie passt das mit "Heimat bewahren" zusammen?

Ozan Iyibas: Wir sollten unser städtisch geprägtes Neufahrn mit den ländlich geprägten Ortsteilen beibehalten, aber uns eben stärker nach außen tragen und vermarkten. Das schafft Heimatverbundenheit. Auch die Themen Sicherheit und demografischer Wandel gehören hier dazu. 2038 werden wir laut Prognosen mehr Rentner als Beitragszahler haben. Da müssen wir jetzt schon die Weichen stellen und Wohnraum für ältere und pflegebedürftige Menschen schaffen. Mehrgenerationenhäuser und Pflegeheime zum Beispiel. Ich fände auch ein Generationencafé toll, um Jung und Alt zusammenzubringen. Das Thema "Digitalisierung" sollte auch nicht in Vergessenheit geraten. Mir schwebt hier beispielsweise eine Bürger-App vor. Wenn Sie heute im Büro arbeiten und auf dem Amt etwas erledigen wollen, müssen Sie sich dafür oft Urlaub nehmen oder Überstunden machen. Mit einer App ließe sich das bequem am Wochenende erledigen und gleichzeitig wäre auch die Gemeindeverwaltung entlastet. Sie hätte dann mehr Zeit für Aufgaben, wo sie wirklich gestalten kann. Eine Verwaltung und eine Gemeinde sind im Grunde ja auch ein Dienstleistungsunternehmen - und zwar für die Bürger. Und so sollten sie auch auftreten.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen bei der Bürgermeisterwahl ein? Sie müssen gegen den derzeitigen Amtsinhaber Franz Heilmeier von den Grünen antreten…

Ozan Iyibas: Mir ist bewusst, dass der Amtsinhaber einen Bonus hat. Aber ich trete schon an, um selbst Bürgermeister zu werden. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ich stelle meine Ziele und Kompetenzen an erste Stelle. Ich habe ja schon gesagt, dass die Wirtschaft für mich ein ganz wichtiger Punkt ist und ich glaube schon, dass hier auch meine Stärken liegen. Am Ende entscheiden dann natürlich die Bürger.

Der Lokalpolitik bleiben Sie aber so oder so erhalten?

Ozan Iyibas: Selbstverständlich. Auch wenn ich nicht Bürgermeister werde, werde ich mein Gemeinderatsmandat weiter ausführen. Mir ist wichtig, dass sich Neufahrn weiter entwickelt. Und da möchte ich weiterhin ein Baustein sein, um selbst mitgestalten zu können.