Kurzgeschichte

„Bitte leiser zwitschern“


Sie können beste Freunde sein, aber den Alltag auch erschweren: die Nachbarn.

Sie können beste Freunde sein, aber den Alltag auch erschweren: die Nachbarn.

Von Kati Auerswald

Es ist ein ruhiger Sonntagnachmittag. Draußen singen die Vögel, in unserer WG hört man seliges Tee- und Kaffeeschlürfen.

Ich sitze mit meinen Mitbewohnerinnen Hannah und Karine im Wohnzimmer und genieße die Ruhe. Da hören wir es. Zuerst wackelt der stämmige Eichentisch neben uns. Die filigranen Tassen, die auf ihm thronen, beginnen glockenhell zu klirren. In regelmäßigen Abständen, wie bei einem Erdbeben. Dann die Frauenschreie, die den Anschein erwecken, im Stockwerk unter uns ginge gerade ein wirklich grausamer Mord vonstatten. Eindringlich starren wir uns an und scheinen alle dasselbe zu denken: Nicht. Schon. Wieder.

Ich taste nach meinem Handy, um verstohlen einen Blick auf Datum und Uhrzeit zu erhaschen. Ja, Sonntag war schon richtig, kurz nach 15 Uhr. Natürlich kennen wir unsere Nachbarn, denen wir die ungezügelten Geräusche zuordnen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir unfreiwillig Teilnahme an ihrem turbulenten Liebesleben haben. Doch wir müssen uns schon eingestehen, dass Sonntagnachmittag eine ungewöhnliche Uhrzeit dafür ist. Wenn das ganze Haus still und die Ohren der Wände besonders empfänglich sind.

Nachdem uns diese "Sache" anfänglich noch belustigt hat, begann sie uns nach einigen Wochen zu nerven. Die ungehaltenen, kreischenden Geräusche waren leider auch nicht mit Ohropax zu ignorieren. Sie hinderten uns am Einschlafen, brachten uns mitten in der Nacht um den Schlaf, oder wir wachten mit ihnen in den frühen Morgenstunden auf - quasi als Wecker-Ersatz.

Ich erinnere mich noch gut an das erste Mal der lauten Liebeskundgebungen. Ich saß gerade im Sessel meines WG-Zimmers, als wie aus dem Nichts meine Zimmertür aufflog und Hannahs kreidebleiches Gesicht samt schreckgeweiteter Augen vor mir auftauchten. Ihre Nasenflügel flatterten leicht, als sie mir verkündete: "Ich ruf die Polizei!" Völlig verdutzt fragte ich nach dem Grund, da deutete sie mir an, ihr zu folgen. Im Wohnzimmer verstand ich, doch legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Die bringen sich nicht um, die lieben sich nur besonders arg." Ich hatte damals ja noch keine Ahnung, dass diese "argen Liebeskundschaften" noch Wochen anhalten würden ...

Wie nun also das Problem der Ruhestörung lösen? Einfach beim Nachbarn klingeln und höflich, aber bestimmt um Zügelung bitten? Vielleicht doch nicht. Hannah schlug vor, den Namen unseres WLANs in "BitteLeiserZwitschern" zu ändern. Karines Vorschlag, regelmäßig eine Schale Pomelo-Obst oder einen Kuchen mit Macca-Pulver vor deren Tür zu stellen, war ja nett gemeint, wäre jedoch auf Dauer unnötig ins Geld gegangen - obwohl sich beides stimulierend auf Hormonhaushalt und Hormonspiegel auswirken soll. Nach langem Hin und Her klebte Hannah schließlich einen Zettel an Nachbars Tür, mit der Aufschrift "Bitte leiser vögeln". Wieso sind wir darauf nicht gleich gekommen? Einfach und wirkungsvoll.

Seitdem sind wir nicht mehr - zumindest nicht in diesem Ausmaß - unfreiwillige Opfer der Liebeslaute unserer lieben Nachbarn geworden. Hurra.

Hinweis: Dieser Text stammt aus der Freistunde, der Kinder-, Jugend- und Schulredaktion der Mediengruppe Attenkofer. Für die Freistunde schreiben auch LeserInnen, die Freischreiben-AutorInnen. Mehr zur Freistunde unter freistunde.de.