Debüt-Roman über ein Coming-out in den 80ern

Torsten Widua: "Die Zeit war eine andere als heute"


In den 80ern waren Alf, TKKG, Knight Rider und Co Kult. Viele reale Einflüsse haben es auch in Torsten Widuas Buch geschafft.

In den 80ern waren Alf, TKKG, Knight Rider und Co Kult. Viele reale Einflüsse haben es auch in Torsten Widuas Buch geschafft.

Oberbayern in den 1980ern: Facebook und TikTok sind noch weit weg, statt Emails oder SMS schreibt man Briefe und die Bravo ist das Jugendmagazin Nummer eins. In dieser Zeit wachsen Tim und Lukas gemeinsam in ihrem Heimatdorf Baching auf. Die beiden erleben zusammen alle Höhen und Tiefen des Teenager-Alltags - und stellen schließlich fest, dass sie mehr als nur beste Freunde sind... Das ist (grob zusammengefasst) die Handlung von Torsten Widuas Debüt-Roman "Friede, Freude, Coming-Out".

Der gebürtige Straubinger (Jahrgang 1978) hat in seinem Erstlingswerk auch Erfahrungen und Erlebnisse aus seiner eigenen Jugend verarbeitet. Knapp eineinhalb Jahre, nachdem er das Buch als Selfpublisher herausgebracht hat, ist nun auch ein professioneller Verlag darauf aufmerksam geworden. Seit Ende Juli ist der Roman im Buchhandel erhältlich. Im Interview mit idowa spricht Torsten Widua über den langen Weg zum fertigen Buch, das besondere Lebensgefühl der 80er und warum Bayern heute wesentlich offener ist als noch vor 30 Jahren.

Herr Widua, Sie haben mit "Friede, Freude, Coming-Out" einen eigenen Roman veröffentlicht. Erst als Selfpublisher, nun in einem professionellen Verlag. Was ist das für ein Gefühl?

Torsten Widua: Ein tolles! Als ich letzte Woche in Straubing war und mein Buch bei Bücher Pustet sah, war das ein echter Gänsehaut-Moment. Als Selfpublisher sind einem halt einfach die Hände gebunden. Du kannst niemals diese Reichweite erzielen, wie es ein Verlag schafft. Klar, du kannst das Buch immer wieder auf Facebook, Instagram & Co. posten und bewerben, aber auch nicht in Heavy Rotation, da du ja immer die gleichen Leute erreichst - und das sind allenfalls ein paar Hundert. Ein Verlag hat da ganz andere Möglichkeiten. Und mit dem Kampenwand Verlag habe ich den optimalen Partner gefunden, der an das Buch glaubt, es in vielen Medien bewirbt, Annoncen schaltet und Belegexemplare an Kritiker und Blogger schickt. Das Buch bei einem Verlag zu signen, ist quasi wie ein Sechser im Lotto für einen Autor. Denn der Büchermarkt ist ähnlich wie die Musikszene: Wenn du da als No-Name-Band ein Demotape zum Label schickst, landet es mit großer Sicherheit im Mülleimer. Und solltest du Glück haben, und deine Aufnahmen hört jemand an und pusht dein Werk, ist das: Jackpot!

Können Sie unseren Lesern kurz schildern, worum es in Ihrem Buch geht?

Widua: Der Untertitel sagt eigentlich alles aus: "Eine Kindheit in den 80ern. Eine Jugend in den 90ern. Und ein Coming-Out." Die Quintessenz ist: Es geht um Tim und Lukas, beide sind beste Freunde, elf Jahre alt, und wohnen im fiktiven oberbayerischen Ort Baching, nahe Starnberg. Die zwei wachsen (natürlich!) ohne Smartphone, mp3 und 4K-Fernseher auf. Meine Intention war, den Leser in eine "Zeitmaschine" zu setzen, und ihn all diese wunderbaren Erfahrungen erleben zu lassen, die wir alle kennen, die 35+ sind. Wie präsent diese beiden Jahrzehnte sind, sieht man in den Medien: Es gibt unzählige 80er-/90er-Shows im Fernsehen, Retro-Sendungen im Radio, und auch die Gruppen in den sozialen Netzwerken haben Hunderttausende Follower. Da werden tagtäglich Fotos von Knight Rider, VHS-Kassetten, Michael Schanzes "Flitterabend" und diversen Modesünden (wie Schulterpolster, neonfarbene Leggings etc.) gepostet. Und diese Zeit durchleben Tim und Lukas - die im Laufe der Jahre natürlich älter werden. Der Haupthandlungsstrang spielt zwischen 1987 und 1994. Aus den Kindern werden Jungs, aus den Jungs werden junge Erwachsene, die den Führerschein machen, das Partyleben der Großstadt München erkunden - und merken, dass sie mehr als nur beste Freunde sind. Mehr über den Inhalt findet man auf meiner Website www.torstenwidua.de, und natürlich auch als Klappentext auf der Buchrückseite.

Die Handlung ist im Bayern der 80er und 90er Jahre angesiedelt. Sie selbst sind 1978 geboren. Wie viele Erlebnisse aus Ihrer eigenen Kindheit und Jugend sind in das Buch mit eingeflossen?

Widua: Alle! Wobei ich konkretisieren und betonen möchte, dass das Buch eine fiktive Handlung hat und in keinster Weise meine persönliche Biografie widerspiegelt. Aber ich habe von A wie "Alf" bis Z wie "ZDF Hitparade" unzählige Elemente ins Buch einfließen lassen, die diese beiden Jahrzehnte charakterisieren. Wer erinnert sich nicht gerne an die Blütezeit der Showklassiker, wie "Herzblatt" mit Rudi Carrell oder "Wetten, dass ...?!" mit Thomas Gottschalk? Welcher Teenager kann sich heutzutage bitte vorstellen, bei 34 Grad im Schatten auf der Autobahn zu fahren, bei heruntergekurbelten Fenstern und mit einer Landkarte auf Muttis Schoß? Eben. Heute stellt man die Klimaautomatik auf angenehme 22 Grad ein, lässt sich vom Navi leiten und düst entspannt per Automatikgetriebe über den Asphalt, statt mit 5.000 Umdrehungen im vierten Gang. Genau dieses Flair einfangen und transportieren - das war meine Idee hinter dem Buchprojekt.

Torsten Widua hat mit "Friede, Freude, Coming-Out" einen eigenen Roman veröffentlicht.

Torsten Widua hat mit "Friede, Freude, Coming-Out" einen eigenen Roman veröffentlicht.

Welche Reaktionen haben Sie denn aus Ihrem Umfeld und von Lesern auf das Buch bekommen? Für manche ist ein Coming-out ja auch heute noch ein Tabuthema ...

Widua: Unterschiedliche, wenngleich 99 Prozent aller Reaktionen positiv ausfielen. Da war alles dabei, von "Wow, super geschrieben, eine tolle Reise in die Vergangenheit" über "Als ich das Buch fertig gelesen hatte, wollte ich direkt meinen Hula-Hoop-Reifen holen und zu Modern Talking tanzen" bis "Stark, mutig, so ein Buch zu veröffentlichen". Letzteres bezieht sich darauf, dass ich natürlich auch das Thema Coming-out aufgegriffen habe, und das absichtlich unverblümt - wenngleich auch erst 185 Seiten vergehen, ehe dieses Thema zum Thema wird. Ich wollte einfach den Bann brechen, dass das Thema Outing ein - wie Sie selbst erwähnten - Tabuthema ist. Alle machen "es", aber keiner redete darüber - egal ob hetero oder homo. Ergo habe ich bewusst zwei bis drei Szenen ins Buch eingebaut, in denen es um genau "das" geht. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich persönlich sehe das Coming-out-Thema nicht als Tabu an. Egal ob in der Millionenstadt Köln oder in meinem ursprünglichen Heimatdorf Aiterhofen: Ich habe keine negativen Erfahrungen gemacht. Wenn ich in einer längeren Beziehung war, kannten sowohl meine Familie als auch deren Bekannte und meine Freunde meinen Partner - und dieser wurde herzlich aufgenommen. Somit kann ich den "Betroffenen" auf dem Land nur raten: Traut euch. Es wird immer alles heißer gekocht als gegessen!

Bayern hat immer noch einen eher konservativen Ruf. Was ist Ihr Eindruck: Überwiegt im Freistaat die Tradition ("Mia san mia") oder die Toleranz ("Leben und leben lassen")?

Widua: Aha - so nach dem Motto "In Bayern wählt man nur die CSU - und in Bayern leben nur Männlein mit Weiblein zusammen"? Natürlich ist es der Wunsch jeder Eltern, dass die Kinder den "üblichen" Weg gehen, sprich: Er sucht sie ... Er findet sie ... Sie ziehen zusammen ... Sie wird schwanger ... Wohnung zu klein ... Haus wird gebaut. Die schöne, heile Welt. Das gute alte "Friede, Freude, Eierkuchen"-Prinzip - ein Grund, warum ich den Titel annähernd so gewählt habe. Ich muss kurz lachen, aber: Meine Eltern haben Glück. Denn meine Schwester ist tatsächlich diesen Weg gegangen - und für sie war und ist es der richtige, und ich freue mich riesig für sie, da ich meinen kleinen Neffen wirklich liebe. Für mich wäre dieser Weg ein falscher. Aber wie heißt es so schön "Ein schwarzes Schaf gibt es in jeder Familie", wobei ich mich jetzt nicht als solches betrachten würde. Mein Weg ist gut - und ich bin gespannt, wohin er mich noch führen wird. Grundsätzlich glaube ich, dass das Bayern im Jahre 2020 ein anderes ist in Sachen Sexualität als noch vor 30 Jahren. Die Leute sind offener geworden, das Thema "Gay" ist präsenter in den Medien und - um Gottes Willen! - Schwule und Lesben dürfen sogar heiraten und die gleichen Rechte annehmen wie "normale" Ehepaare. Und spätestens seit Klaus Wowereit und Guido Westerwelle - den ich übrigens sehr bewundert habe - wissen selbst die konservativsten Bauern, was die Regenbogenfahne zu bedeuten hat. Um auf Ihre Zitate zu kommen, würde ich eher den Kaiser Franz hier erwähnen und mich an seine Devise halten "Schau'n mer mal, dann seng 'ma scho."

Ihr Buch spielt in dem fiktiven Dorf Baching in Oberbayern. Gibt es dafür ein reales Vorbild? Sie selbst sind ja in Aiterhofen aufgewachsen ...

Widua: Jein. Das Schöne als Autor ist ja, dass man sich seine Protagonisten und Orte so basteln, formen und stricken kann, wie es einem in den Sinn kommt. Und das war - ohne Übertreibung! - ein langer Prozess. Es klingt alles so nach "easy going", aber bis allein der Name Baching feststand, vergingen Wochen. Ich habe in Google Maps geschaut, dass es den von mir erfundenen Ortsnamen tatsächlich nicht gibt, oder zumindest nicht in der Nähe gibt. Dann wollte ich gerne mit Klischees spielen. Wenn ein Non-Bajuware an Bayern denkt - woran denkt er? Richtig: An Berge, Seen, Natur, Bier, Schweinebraten, Schuhplatteln, schnaxeln. So, das alles in einen Topf geworfen, kräftig umgerührt, und raus kam: Tim und Lukas wohnen in Baching. Ein reales Vorbild gab es nur bedingt. Wie ich bereits erwähnte, wuchs ich in Aiterhofen auf, wo ich 21 Jahre lebte. Großes Haus, großer Garten, tolles Familiendasein, pure Idylle. Der ein oder andere ortskundige Leser wird merken, dass der im Buch erwähnte Baggerweiher und die Tennisplätze sehr viel Ähnlichkeit mit den Vor-Ort-Gegebenheiten Aiterhofens haben. Auch die Tankstelle Specht ist der Tankstelle Fuchs in den 90er Jahren nicht unähnlich - mit der Oma an der Kasse.

Mit 21 sind Sie aus Niederbayern weggezogen, nun zieht es Sie wieder nach Straubing zurück. Warum? Was verbinden Sie mit der Gäubodenstadt?

Widua: A) Warum ich weggezogen bin oder b) warum ich nun wieder zurückkomme? A) Ich hätte es mir damals (1999) nicht vorstellen können, geoutet in Straubing oder Umgebung leben zu können. Die Zeit war eine andere als heute. Heute gibt es sogar eine kleine Szene, und dank des Internets kann man sich auch recht frei und anonym dort bewegen. Ende der 90er ein Ding der Unmöglichkeit. Also machte ich einen radikalen Break und ging in eine der größten Metropolregionen Europas: ins Ruhrgebiet. Sieben Jahre war ich in Dortmund, ehe es mich dann beruflich nach Köln zog. Köln war und ist quasi "das Mekka der Gay-Community", von einer Million Einwohner sind 100.000 Menschen "andersrum". Da war es einfach, sich zu orientieren, zu experimentieren und seinen Weg zu finden. B) Als mit der Corona-Krise die Zeit des Homeoffice begann und ich nicht mehr in mein Büro in der Kölner Innenstadt fuhr, merkte ich, wie das Leben bei mir und in der ganzen Region "runtergefahren" ist. Jeder Tag fühlte sich ab Ende März an wie ein Sonntag. Und irgendwie fand ich das ganz toll, dass ich plötzlich nur noch fünf Minuten mit dem Auto zum See brauchte - statt 20. "Entschleunigung statt Rushhour", könnte man sagen. Und da ich beruflich ortsunabhängig bin, habe ich nahezu den ganzen Sommer in Bayern verbracht - in Straubing / Aiterhofen bei meinen Eltern und Freunden, und in München bei meiner Schwester und ihrer Familie. Mir wurde bewusst, dass ich halt ganz tief im Inneren immer noch der "bayerische Bua" bin und nicht der "Kölner Jeck". So kam es, dass ich auf Wohnungssuche ging und künftig wieder bei euch in der Nachbarschaft, ganz um die Ecke, sein werde. Was verbinde ich mit der Gäubodenstadt? Top-Antwort: das Volksfest. Für mich ist Straubing aber auch einfach nur ein schnuckeliges Städtchen mit wenig Anonymität, wo man sich noch kennt und grüßt. Die Natur liegt direkt vor der Haustür, man kann alles in kurzen Wegen erreichen - und dann wäre da natürlich noch der Hauptgrund für meine Rückkehr: Giggerl, Brezn, Helles.

Letzte Frage: Falco soll einmal gesagt haben: "Wer sich an die 80er erinnern kann, hat sie nicht miterlebt." Was ist Ihnen aus diesem besonderen Jahrzehnt trotzdem bis heute im Gedächtnis geblieben?

Widua: Witzig, aber ich bin froh, dass ich sie erlebt habe - und mich sogar noch daran erinnere! Und das völlig ohne Drogen. Da ich 1980 erst zwei Jahre alt war, ist mein Erinnerungsvermögen diesbezüglich begrenzt. Ich weiß halt noch, dass ich in unserem Garten durch den Rasensprenger gelaufen bin, dass es an meinem Geburtstag im Juni immer Kekskuchen gab, dass ich mit den Nachbarskindern im Planschbecken getobt habe, dass ich an Weihnachten einmal einen riesen großen Schlitten-Bob geschenkt bekam, dass wir an Ostern immer zu den Großeltern gefahren sind, dass sonntags pünktlich um 12 Uhr das Essen auf dem Tisch stand, dass wir einen weinroten Mercedes hatten - und dass wir das gemacht haben, was die Jugend von heute kaum noch kennt: mit Freunden draußen gespielt, sich das Knie aufgeschlagen, ein Baumhaus gebaut, und ohne Smartphone, Facebook und Tinder die glücklichsten Kinder auf der ganzen Welt waren.

Info:

Neugierig geworden? Mit freundlicher Unterstützung des Autors verlosen wir unter unseren Lesern drei Exemplare von "Friede, Freude, Coming-Out". Um am Gewinnspiel teilzunehmen, schicken Sie bitte eine Mail mit dem Betreff "Gewinnspiel" und Ihrem Namen, Ihrer Adresse und Telefonnummer an redaktion@idowa.de. Teilnahmeschluss ist der 31. August 2020. Die Gewinner werden von uns per E-Mail benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Teilnahmebedingungen finden Sie hier.