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Steampunk: Mit Dampf in die Andersartigkeit


Foto: Uwe Braunschweig/Kunst- und Handwerkermarkt E. Flederwisch

Foto: Uwe Braunschweig/Kunst- und Handwerkermarkt E. Flederwisch

Von Kerstin Weinzierl

Steampunk. Mein erster Tipp: ein neuer Musikstil, verzerrt, aggressiv, schnell, sehr schnell, zum Dampf ablassen. Schrilles Outfit, bunte Haare, Sicherheitsnadeln. Falsch getippt. Dampf ist allerdings gar nicht so daneben. Mit "Steam", dem englischen Begriff für Dampf, und "Punk" als Synonym für die Andersartigkeit, definiert sich eine Bewegung, die momentan in Deutschland populär ist und auch die Jugend in ihren Bann zieht. Schweißerbrillen aus dem Baumarkt im Retro-Look des 19. Jahrhunderts mit Kupfer, Messing und Leder, dazu eine Kette aus einer alten Radioröhre - Accessoires, die auf der Disco-Tanzfläche ins Auge stechen. Selbst gemacht, versteht sich. Steampunk. Andersartig.

Neue Technik in altem Design

Die Steampunk-Szene wurzelt in der Viktorianischen Zeit (benannt nach der englischen Königin Victoria, 1819-1901), der Zeit der Industrialisierung, der Zeit der Dampfkraft und verbindet sie mit Hightech der Gegenwart. Anhänger der Szene sind von dem Wunsch getragen, Dinge selbst herzustellen. Sie entwerfen ihre eigene Mode in viktorianischem Schnitt, aber mit teils absurden Accessoires. Ein bisschen Science-Fiction, ein bisschen viktorianisches England. Sie bauen sich ihren eigenen Computer und trimmen ihn auf alt: Wie hätte ein Laptop ausgesehen, wenn es ihn im 19. Jahrhundert schon gegeben hätte? Wie lässt sich ein USB-Stick in einen "Dampf-Daten-Generator" umbauen oder aber ein Kugelschreiber in ein "Dampf-Schreibgerät"? Es sind kreative Bastler, die mit viel Liebe zum Detail modernen Geräten des 21. Jahrhunderts ein historisches Aussehen geben. Die pure Faszination der Mechanik steht im Mittelpunkt. Ich setze mich an meinen Laptop, schlicht, silber-grau, kalt, kein Messing, kein Kupfer, eben Hightech der Gegenwart, und forsche nach. Steampunks tauschen sich in erster Linie im Internet aus und so stoße ich auf das Online-Magazin Clockworker, in dem sich die Szene seit 2008 trifft. Schnell wird klar, Steampunk hat viele Ecken und Facetten: Musik, Film, Literatur, Mode, Kunst... An dieser Stelle alle zu beleuchten, würde den Rahmen sprengen. Aber ich möchte euch neugierig machen. Neugierig auf Steampunk. Neugierig auf die Andersartigkeit.

Vom Steampunk-Virus infiziert

Viele Foren und Clubs schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden, täglich kommen neue Mitglieder hinzu, darunter viele Jugendliche. Einer, der schon seit Jahren mit dem Steampunk-Virus infi ziert ist, ist Rolf Schüler aus Furth im Wald im Landkreis Cham. Er ist prädestiniert für diese Szene, steht doch in seiner Erlebniswelt "Flederwisch" in Furth im Wald (www.flederwisch.de) die größte Dampfmaschine Bayerns, wenn nicht gar Deutschlands. Bei seinen Führungen durch den "Flederwisch" macht er Geschichte erlebbar, macht Steampunk erlebbar. Als Mr. Flederwisch, wie er sich als Steampunk nennt, trägt Rolf Zylinder, Goggles (Brille) und Zeiteisen (Armbanduhr). Selbstverständlich selbst gebastelt - aus der Glühkerze eines Lastwagens, aus alten Radioröhren, Zahnrädern, Vergrößerungsglas, mechanischem Uhrwerk, Leitungen, Hebeln, Absperrhähnen... Und hin und wieder trifft man im "Flederwisch" auch auf Rolfs Mitarbeiter, einen werten Herrn aus längst vergangenen Zeiten mit einer Zeitmaschine auf dem Rücken. Andersartig. Auch heute, als ich mich mit Rolf zu einem Interview treffe, trägt er sein Zeiteisen, ein echter Hingucker. Und schon sind wir mitten im Gespräch. Für Rolf ist Steampunk in erster Linie Basteln und Tüfteln und genau diese Richtung des Steampunk möchte er in unserer Gegend vorantreiben und vor allem Jugendliche dafür begeistern.

USB-Stick in altem Design

Schon einfache Alltagsgegenstände des 21. Jahrhunderts lassen sich mit ein paar Handgriffen in ein Steampunk-Kunstwerk verwandeln. Rolf spricht den Erfindergeist der Jugend an, ihren Willen, sich von der breiten Masse abzuheben, ihrer Individualität eine eigene Note zu geben. Beispielsweise mit einer Schweißerbrille auf der Tanzfläche, einem außergewöhnlichen Schmuckstück um den Hals oder einem USB-Stick im Retro-Design in der Hosentasche.

Rost, Messing, Kupfer

Doch Vorsicht! Steampunks sind zwar sehr offen und tolerant, gewisse Kriterien aber sind einzuhalten. Steampunk ist Rost, Messing, Kupfer und Metall. "Man muss herausfinden, wie man welches Material behandeln muss, damit es den Steampunk-Effekt bekommt", so Rolf. Sein über Jahre zusammengetragenes Wissen möchte er in einem Workshop an Jugendliche weitergeben. Gebastelt wird inmitten seines Steampunk-Cafés im "Flederwisch". Inspirationen gibt es hier genug. Rolfs Kunstwerke hängen an Wänden, stehen in Regalen, zieren die Fensterbänke - Zeitmaschinen, Fotocollagen, Kerzenständer, Lampen. Und mit ein bisschen viktorianischer Höflichkeit lässt sich der werte Herr Flederwisch mit Sicherheit erweichen, den jungen Herrschaften einen Blick auf seine atemberaubende Dampfmaschine zu gewähren.

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Wer Steampunk liebt, liebt das Café im "Flederwisch" und Rolfs Kunstwerke an den Wänden. (Foto: Erlebniswelt "Flederwisch")

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Die Dampfmaschine(Foto: Erlebniswelt "Flederwisch")

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Goggles (Foto: Kerstin Weinzierl)

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Schmuck (Foto: Kerstin Weinzierl)

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Dampf-Schreibmaschine(Foto: Titus Timeless)"Titus Timeless", Tüftler und Steampunk aus Rheinland-Pfalz, hat auf www.clockworker.dea

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Dampf-Daten-Generator (Foto: Titus Timeless)

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Zeiteisen (Foto: Kerstin Weinzierl)

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Zeitmaschine (Foto: Erlebniswelt "Flederwisch")

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Rolf Schüler aus Furth im Wald hat schon Steampunk-Kunstwerke geschaffen, als er noch gar nicht wusste, dass es Steampunk gibt. (Foto: Kerstin Weinzierl)