Jahr im Ausland
Emily Spanner aus Mitterfels hat ein Jahr in Chile verbracht

Emily Spanner
Letzte Momente in Chile: Emily in Valparaíso (links), den Dünen von Concón (Mitte) und mit dem chilenischen Musik-Duo „Los Vasquez“ (rechts). Mittlerweile ist die Schülerin wieder in ihrer Heimat Mitterfels.
4. Juli 2025: So sehen uns die Chilenen
Zum Ende meines Jahres in Puerto Natales wollte ich herausfinden, was dort über uns Deutsche eigentlich gedacht wird. Im Gespräch mit meinen Klassenkameraden, Lehrern und meiner Gastfamilie wurde schnell klar, dass die Chilenen vor allem das Bild des pünktlichen und verlässlichen Deutschen im Kopf haben. Die deutsche Technik und deutsche Produkte haben hier einen guten Ruf und generell denkt man, dass Deutschland in vielen Bereichen sehr fortschrittlich ist.
Da meine Gaststadt Puerto Natales relativ touristisch ist, haben die Natalinos immer wieder Kontakt zu deutschen Besuchern. Meine Klassenkameraden haben mir erzählt, dass sie die deutschen Touristen immer als etwas einschüchternd und kalt empfinden. Ich habe das Klischee bestätigt, denn auch mir wurde oft gesagt, dass ich als relativ zurückhaltend empfunden wurde.
Die Chilenen halten weniger Distanz ein – auch in Gesprächen
Diese Vorstellung mag einen wahren Kern haben. Doch, dass wir als gefühlsmäßig kalt empfunden werden, lässt sich auf kulturelle Unterschiede zurückführen. Einer der größten, den ich während meines Auslandsjahres selbst erfahren habe, ist, dass weniger Distanz zwischen Personen eingehalten wird. In Chile grüßt man sich beispielsweise mit einem Kuss auf die Wange. Auch im übertragenen Sinn hält man in Chile weniger Distanz. Chilenen werden in Gesprächen viel schneller persönlich und es fällt ihnen meiner Erfahrung nach leichter, fremde Personen anzusprechen.
Ich finde es wichtig, Menschen unvoreingenommen zu begegnen. In meinem Fall haben mir viele gesagt, dass sie mich jetzt, nachdem ich einige Zeit in Chile verbracht habe und besser Spanisch spreche, gar nicht mehr so kalt und zurückhaltend finden.
Vor ein paar Wochen hatte ich noch die Möglichkeit, die Stadt Viña del Mar kennenzulernen. Ich habe dort meine Gastoma und -cousine besucht, die dort studiert. In den zehn Tagen haben wir uns das Zentrum und den Strand angesehen. Dazu haben wir Ausflüge in die Nachbarstadt Valparaíso und zu den Dünen von Concón gemacht.
Ende Juni bin ich wieder heim nach Deutschland geflogen. Davor habe ich aber in Chile noch zwei interessante Erfahrungen gemacht: In dem Land gibt es allgemein viele Erdbeben. In der Region, in der ich gewohnt habe, ist das jedoch sehr unüblich. Doch vor einigen Wochen schaukelte plötzlich das Haus meiner Gastfamilie leicht von einer Seite zur anderen.
Die Häuser hier werden nämlich mit Spanplatten kombiniert mit Metallstreben gebaut und bewegen sich deshalb beim Beben mit. Ich bin zu dem Zeitpunkt lesend in meinem Bett gesessen und der erste Gedanke, der mir kam, war lustigerweise, dass mein Gastvater wohl irgendwas am Haus arbeitet. Später hat sich dann herausgestellt, dass es ein Beben der Stärke 5,3 auf der Richterskala war.
Foto mit einem bekannten chilenischen Musik-Duo
Als ich mit Klassenkameraden unterwegs war, haben wir in einem Restaurant zufällig die „Los Vasquez“ gesehen. Das sind zwei in Chile bekannte Sänger, die wegen eines Konzertes hier waren. Wir haben gewartet, bis sie aus dem Restaurant gegangen sind und natürlich Fotos mit ihnen gemacht. Vor allem für meine Freunde war es etwas Besonderes, da sie mit der Musik von „Los Vasquez“ aufgewachsen sind.
Zwölf Monate war ich nun in Chile und als Fazit kann ich nur sagen, dass mir mein Auslandsjahr sehr gut gefallen hat. Ich hatte das Glück, bei einer tollen Gastfamilie zu leben, habe viele Freundschaften geschlossen und Land und Leute wirklich lieb gewonnen.
5. März 2025: Mein Besuch im Norden Chiles
Vom einen Extrem ins andere: So lässt sich meine Reise vom Süden Chiles in den Norden zusammenfassen. Als ich am Flughafen in Iquique ankam, fielen mir sofort zwei Dinge auf: Zum einen ist es hier im Sommer viel wärmer und es regnet kaum, zum anderen unterscheiden sich die Landschaften stark. Während mein Heimatort Puerto Natales im Süden für Fjorde, Gletscher und den Nationalpark Torres del Paine bekannt ist, liegt Iquique vor einer Bergkette direkt am Meer und hinter der Stadt mit ihren vielen Hochhäusern erstreckt sich eine riesige Sanddüne. Diese habe ich übrigens an meinem letzten Tag selbst bestiegen.
Bunte Kostüme, trockene Wüste
In den elf Tagen, die ich in Iquique verbracht habe, standen viele Aktivitäten auf dem Programm. So haben wir der Parade des „carnaval de la integración“ zugeschaut, in der sich Tänzer in beeindruckenden Kostümen durch die Stadt bewegten. Außerdem haben wir zwei Ausflüge in die nahe gelegene Atacama-Wüste unternommen.
Auch das Stadtzentrum von Iquique haben wir erkundet. Ein persönliches Highlight war für mich, dass wir durch Nachfragen tatsächlich in den eigentlich geschlossenen Palacio Astoreca gelassen wurden und dieses historische Gebäude aus dem Jahr 1901 ganz für uns alleine zum Besichtigen hatten. Außerdem ging es noch zu einer Replika des berühmten chilenischen Schiffes Esmeralda, das in einer Seeschlacht in der Bucht von Iquique versank. In einem Boot fuhren wir zu genau dieser Stelle, an der die Esmeralda unterging. Dabei konnten wir auch Seelöwen betrachten.
Puerto Natales und Iquique sind wirklich sehr unterschiedlich. Im Süden bin ich an die relativ ruhige Kleinstadt gewöhnt, was dazu führt, dass ich tagsüber alleine unterwegs sein kann, ohne mir irgendwelche Sorgen zu machen. In Iquique mit über 200 000 Einwohnern ist das hingegen nicht möglich. Was mir aber gut gefallen hat, ist, dass man hier mehr unternehmen kann. Es gibt zum Beispiel zwei Einkaufszentren, Sandstrand und viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten, an denen es in Puerto Natales meiner Meinung nach ein bisschen fehlt.
Hochhaus am Strand statt Einfamilienhaus im Wohngebiet
Auch meine Unterkunft war ein Kontrast: In Iquique verbrachte ich meine Zeit bei einer Gastfamilie, die in einem Hochhaus direkt neben dem Strand auf einer Halbinsel wohnt, während ich in Puerto Natales in einem Einfamilienhaus in einem Wohngebiet lebe.
Es war ein tolles Erlebnis, eine ganz andere Region Chiles kennenzulernen und mir hat es im Norden sehr gut gefallen. Allerdings freue ich mich, nun wieder zurück im Süden zu sein. Gerade wegen der Landschaft.

Emily Spanner
Emily Spanner in der typischen Schuluniform mit ihrer Gastfamilie und vor dem Serrano-Gletscher nahe Puerto Natales.
20. Dezember 2024: Der Alltag in Chile
Mein Wecker klingelt unter der Woche um sieben Uhr. Dann ziehe ich mir meine Schuluniform an, mache mich fertig und frühstücke etwas, bevor mein Gastvater meinen Gastbruder und mich zur Schule fährt. Dort versammeln sich um 8 Uhr in der Turnhalle alle Schüler der Enseñanza Media, die der neunten bis zwölften Klasse in Deutschland entspricht. Oft sind auch jüngere Jahrgänge dabei. Wir starten mit einem „Buenos Dias“, dieser besteht aus einer Lesung aus der Bibel, Gebeten und Organisatorischem.
Schulende am späten Nachmittag, dann Sporttraining und Musikprobe
Danach gehen wir klassenweise zu unseren Zimmern. An diesem Tag habe ich in der ersten Stunde Biologie. Schulstunden dauern in der Regel 90 Minuten, dazwischen haben wir 15 Minuten Pause. Auch „Orientación“ steht auf dem Stundenplan. Das ist eine Klassleiterstunde, in der wir uns Themen wie der Klassengemeinschaft widmen.
Mittags bringt uns mein Gastvater Essen und ich esse mit Klassenkameraden im Flur vor dem Klassenzimmer. Nachmittags haben wir an diesem Tag Kunst, da können wir relativ frei entscheiden, was wir machen. Ich habe zuletzt angefangen, etwas zu sticken. Davor habe ich etwas gemalt, andere Mitschülern bauen Modellhäuser. Als letzte Stunde folgt „Taller habilidades superiores“, das entspricht Spanischunterricht.
Nach dem Schulende um 17.15 Uhr mache ich mich montags zu Fuß auf den Weg ins Zentrum, da ich dort von 18 bis 19 Uhr Volleyball-Training habe. Die Zeit davor nutze ich meist noch für Einkäufe. Nach dem Training gehe ich in der Regel zur Autowerkstatt meines Gastvaters und wir fahren nach Hause. An den anderen Nachmittagen habe ich zwei weitere Male pro Woche Volleyball-Training, außerdem einmal Orchesterprobe. Sonst mache ich oft etwas mit Freunden aus. Am Abend spiele ich manchmal mit meiner kleinen Gastschwester oder schaue mit meiner Gastfamilie Fernsehen. Bevor ich ins Bett gehe, schreibe ich Tagebuch.
Derzeit habe ich schon Sommerferien. Die dauern in Chile von Dezember bis in den März hinein.
Reise nach Argentinien und von Gletschern umgeben
Klar, der größte Teil meines Auslandsjahres ist einfach Alltag. Dennoch sehe ich viel Neues und unternehme auch Ausflüge. Vor ein paar Wochen war ich mit meiner Gastfamilie in El Calafate in Argentinien. Dort haben wir Verwandte meines Gastvaters besucht und uns den Gletscher Perito Moreno angesehen.
In der Nähe meiner Heimatstadt Puerto Natales gibt es auch Gletscher. Diese sind mit einer rund zweistündigen Bootsfahrt zu erreichen, die ich mit einer anderen Austauschschülerin gemacht habe. Auch der Serrano- und der Balmaceda-Gletscher sind definitiv sehenswert.
8. November 2024: Feiern in Chile
Zu einem Auslandsjahr gehört es, die Kultur vor Ort kennenzulernen. Umso passender, dass hier in letzter Zeit verschiedene Feste stattgefunden haben. So konnte ich in den rund drei Monaten, die ich nun schon in Chile bin, vieles mitfeiern. Zum Beispiel die Semana Salesiana meiner Schule.
Dafür werden die Klassen in vier Alianzas (Allianzen) aufgeteilt. Ziel ist es dann, in Spielen möglichst viele Punkte zu sammeln. Vorher gab es jedoch viel zu tun: zum Beispiel das Klassenzimmer putzen und dekorieren, das wird nämlich auch bewertet, ein Musikvideo drehen und verschiedene Proben.
Nach der offiziellen Eröffnung am Montagmorgen konnten wir in unterschiedlichen Spielen Punkte sammeln. Am Abend gab es noch eine Art Faschingsumzug durch die Stadt. In den nächsten Tagen hat jede Alianza einen Buenos Dias am Morgen gestaltet. Das ist eine Versammlung, die wir auch sonst jeden Tag haben und die aus Gebeten, einer Lesung und Organisatorischem besteht. Außerdem stand jeder Tag unter einem Motto, wie zum Beispiel „Verrückte Frisur“ oder „Kostüm“. Zusätzlich gab es unter anderem einen Sport- und Tanzwettbewerb, eine Parade und eine Talentshow. Am darauffolgenden Montag wurde das Ergebnis verkündet, wir sind auf dem dritten Platz gelandet.
Mir hat die Semana Salesiana viel Spaß gemacht und ich finde es gut, dass man auch mal außerhalb des Unterrichts gemeinsam etwas als Klasse gemacht hat.
Der 18. September ist Chiles Nationalfeiertag. Im Jahr 1810 begann da der Unabhängigkeitsprozess des Landes. Noch heute werden rund um das Datum die Fiestas Patrias gefeiert. Typischerweise gibt es Empanadas (gefüllte Teigtaschen), Terremoto (besteht in der alkoholfreien Version aus Zitronenlimo, Sirup und Ananas-Eis) und Mote con huesillo (ein sehr süßes Getränk mit Dosenpfirsichen und Weizenkörnern).
Während der Feiertage besucht man Familie und Freunde zum Essen oder lädt ein. Dann grillt man zum Beispiel auch Anticuchos (ähnlich wie Schaschlikspieße). Außerdem wurde an meiner Schule eine sogenannte Kermesse veranstaltet, bei der jede Klasse einen Stand hatte. Meine hat beispielsweise verschiedene Spiele angeboten. Ich bin mit meiner Gastfamilie auch ein paar Mal ins Zentrum gefahren, wo es jede Menge verschiedener Stände mit Essen und Spielen gab. Zu den Fiestas Patrias gehören übrigens auch traditionelle Tänze dazu, wie insbesondere der Nationaltanz Cueca. Auch die Fiestas Patrias haben mir gut gefallen und ich freue mich schon auf die nächsten Feste.

Emily Spanner
Links: Emily Spanner mit ihrer Gastfamilie. Rechts: Ein Blick in eine Straße von Puerto Natales. Die Stadt hat knapp 20.000 Einwohner und liegt ganz im Süden von Chile.
15. September 2024: Die ersten Wochen in Chile
Die chilenische Kultur kennenlernen und mein Spanisch verbessern: Deshalb hat es mich nach Chile gezogen. Mit AFS, einer der größten Austauschorganisationen, habe ich mein Auslandsjahr organisiert. Bis Juni 2025 lebe ich in der Kleinstadt Puerto Natales bei meiner Gastfamilie. Die besteht aus meinen Gasteltern, meinem Gastbruder, der mit mir in eine Klasse geht, meiner zweijährigen Gastschwester, vier Katzen und einem Dackel. In den ersten Wochen sind mir schnell ein paar Unterschiede zwischen Deutschland und Chile aufgefallen.
1. Fürsorge
Chilenische Eltern sind sehr besorgt um ihre Kinder. Auch als Gastschüler soll ich immer schreiben, wenn ich ein Gebäude verlasse und zu Hause ankomme. Häufig wird man mit dem Auto gefahren. Diese Fürsorge hat Gründe: Auf den Straßen ist es zum Beispiel nicht so sicher wie in Deutschland.
2. Körperkontakt
In Chile ist es üblich, mehr Körperkontakt zu seinen Mitmenschen zu haben. Das fängt schon bei der Begrüßung an, bei der man dem Gegenüber einen Kuss auf die linke Wange gibt. Für mich war das anfangs komisch – besonders bei Personen, die man nicht wirklich kennt oder bei Respektspersonen wie Lehrern. Aber mittlerweile finde ich es schön, so herzlich begrüßt zu werden.
3. Pünktlichkeit
Hier stimmt das Klischee, dass Pünktlichkeit in Südamerika entspannter gesehen wird. Ein Beispiel: Einmal bin ich mit meiner Gastfamilie fünf Minuten vor einem Treffen noch entspannt am Esstisch gesessen und meine Gasteltern meinten, sie hoffen, dass alle pünktlich sind. Dabei war klar, dass auch wir zu spät kommen werden. Sie wollten aber lediglich warten, bis genügend Leute dort sind, damit das Treffen wirklich stattfindet. So entspannt Chilenen im Alltag mit Verspätungen umgehen, gilt das natürlich nicht für wichtige Termine.
4. Schule
Auch in der Schule gibt es Unterschiede: Dort ist es beispielsweise Pflicht, eine Uniform zu tragen. Ich hatte die Möglichkeit, zwischen der regulären und der Sportuniform zu wählen. Letztere tragen die meisten, auch ich habe mich dafür entschieden. Sie besteht aus einem schwarzen Pulli und einer Jogginghose. Auch wenn sie nicht wirklich ein optisches Highlight ist, finde ich es gut, nicht jeden Morgen überlegen zu müssen, was ich anziehe. Dazu kommt das Gefühl von Verbundenheit innerhalb der Schulgemeinschaft.
Das Schulsystem in Chile ist anders als in Deutschland. Man beginnt zunächst mit zwei Jahren Vorschule, darauf folgen dann acht Jahre Grundbildung. Danach kann man sich zwischen je vier Jahren an einer naturwissenschaftlich-humanistischen oder an einer technischen Schule entscheiden. Meine Klasse ist mit 28 Schülern und – nur – 9 Schülerinnen deutlich größer als in Deutschland und entspricht ungefähr der 11. Klasse.
Der Unterricht ist um einiges lockerer als daheim. Die Lehrer sprechen wir zum Beispiel mit ihrem Vornamen an und es stört sie kaum, wenn Handys während des Unterrichts für Spiele oder Social Media genutzt werden.
5. Verkehr
Obwohl Puerto Natales eine Kleinstadt ist, finde ich den Straßenverkehr ziemlich verwirrend. Im Zentrum gibt es ein Einbahnstraßensystem, das ich bis jetzt wenig durchblickt habe und das dazu führt, dass man zum Teil einen riesigen Umweg fahren muss, um wieder an dieselbe Stelle zu kommen. Ampeln gibt es ebenfalls wenige und wenn die Vorfahrt unklar ist, fährt jeder einfach, wann er oder sie meint. Das gilt auch beim Überqueren von Straßen zu Fuß, wobei die meisten Autofahrer gegenüber Fußgängern sehr respektvoll sind.
Nach den ersten Wochen fühle ich mich sehr wohl in Chile. Die Menschen sind aufgeschlossen und freundlich, was ich in mehreren Situationen erfahren habe. Dazu hat mich meine Gastfamilie so herzlich aufgenommen und bemüht sich immer, trotz der in Südamerika typisch fleischlastigen Ernährung, für mich etwas Fleischloses zu kochen.
Die Freischreiben-Autorin Emily Spanner wird in loser Folge von ihrem Aufenthalt in Chile für die Freistunde berichten.