Interview

Depressiv durch Castingshows

Medienwissenschaftlerin Maya Götz ist Mitautorin der Studie 'Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme'.

Medienwissenschaftlerin Maya Götz ist Mitautorin der Studie "Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme".

Von Vivian Yurdakul (dpa)

Den Namen Beatrice Egli haben vermutlich viele schon einmal gehört. Sie ist die Gewinnerin der aktuellen Staffel von "Deutschland sucht den Superstar". Die anderen Kandidaten sind hingegen leer ausgegangen. Castingshows kennen eben mehr Verlierer als Gewinner. Was aus den Kandidaten von früher geworden ist, wurde in der Studie "Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme" untersucht. Die Medienwissenschaftlerin Maya Götz ist Mitautorin der Studie und erklärt im Interview, warum Castingshows für viele Teilnehmer schädlich sind.

Frau Götz, Ihre Studie zeigt, dass manche Kandidaten noch Jahre nach der Teilnahme an einer Castingshow depressiv sind. Wie ist es zu erklären, dass durch eine Fernsehsendung ein solcher Schaden entsteht?

Maya Götz: Die meisten Kandidaten, die an einer Castingshow teilnehmen, sind keine Fernsehprofis. Sie sind es nicht gewohnt, ständig Kameras um sich herum zu haben. Wer vor einem Millionenpublikum lächerlich gemacht wurde, wird dieses Image nicht mehr los. Wenn man die Namen dieser Kandidaten im Internet sucht, findet man die entsprechenden Videos noch Jahre später.

Welche Folgen kann das für die Jugendlichen haben?

Maya Götz: Wer als Jugendlicher bei einer solchen Sendung lächerlich gemacht wurde, findet womöglich keinen Ausbildungsplatz, denn viele Chefs googeln erst einmal den Namen eines Bewerbers, bevor sie ihn einstellen. Es gab auch Fälle, in denen sich die Familie eines Kandidaten so sehr geschämt hat, dass sie sich wochenlang fast vollkommen zurückgezogen hat, nur noch auf die Straße gegangen ist, wenn es unbedingt nötig war. Wir konnten insgesamt mit 59 Teilnehmern von Castingshows im Alter zwischen 16 und 41 Jahren sprechen. Aber einige konnten wir auch nicht davon überzeugen, an unserer Studie teilzunehmen, da ihre Scham zu groß war.

Aber Sie haben nicht nur diejenigen befragt, die lächerlich gemacht oder von Jury und Publikum abgestraft wurden.


Maya Götz: Wir haben versucht, aus allen Phasen eines jeden Castings je zwei Teilnehmer zu befragen. Aber auch diejenigen, die es relativ weit geschafft haben, hatten nicht unbedingt nur gute Erfahrungen. Das Problem ist, dass Castingshows davon leben, dass alle über die Kandidaten urteilen dürfen. Wenn diese dann nach Hause kommen, glaubt dort jeder im Freundes- und Bekanntenkreis, ihnen die Meinung sagen zu müssen. Ein weiteres Problem ist das Tempo der Sendungen: Die Kandidaten werden in wenigen Wochen berühmt, aber sobald sie wieder nach Hause müssen, bekommen sie diese Anerkennung nicht mehr.

Welche Konsequenzen sollten die Fernsehsender Ihrer Meinung nach aus der Studie ziehen?

Maya Götz: Es wäre wichtig, dass am Set von Castingshows ein Psychologe ist, der die Kandidaten betreut. Sie sind nicht in der Medienbranche und brauchen Unterstützung in dieser sehr außergewöhnlichen Situation. Bei "The Voice of Germany" gibt es das bereits. Auch nachdem die Castingshow abgedreht ist, sollten die Sender dafür sorgen, dass die Teilnehmer psychologisch betreut werden.

Wenn so viele Kandidaten negative Erfahrungen machen, warum bewerben sich dann jedes Jahr aufs Neue so viele?


Maya Götz: Warum spielen so viele Menschen Lotto, obwohl die Chancen nur sehr minimal sind? Es ist die Hoffnung, die viele treibt, dass sie durch die Sendung den Einstieg ins Musikbusiness bekommen und anderen zeigen können, was in ihnen steckt. Die Möglichkeit, dass sie negativ dargestellt werden könnten, erkennen die meisten nicht. Als Zuschauer haben sie das Gefühl, als Freaks würden nur diejenigen gezeigt werden, die es auch wirklich verdient haben. Sie übersehen hierbei, wie viel durch Kameraaufnahmen, Schnitt und Tonveränderung gemacht wird.

Welche Rechte haben die Teilnehmer an Castingshows?

Maya Götz: Durch die Abgabe der Rechte kann die Produktionsfirma mit den Aufnahmen machen, was sie will. Das ist den meisten Jugendlichen nicht bewusst. Wenn es darum geht, ob und wie man mit Kindern im Fernsehen arbeiten darf, sind die Gesetze sehr streng. Aber sobald man 16 ist, fällt dieser Schutzraum vollkommen weg. In anderen Bereichen gibt es ihn aber noch. Einige der Teilnehmer, die in diesem Alter einen Vertrag mit dem Sender einer Castingshow geschlossen haben, wären aus psychologischer Sicht zum Beispiel nicht strafmündig gewesen. Auch hier müsste das Gesetz Jugendliche stärker schützen.

Ganz allgemein: Würden Sie von der Teilnahme an Castingshows generell abraten?

Maya Götz: Ich glaube, es gibt bessere Wege, zu zeigen, dass man etwas gut kann und Anerkennung dafür zu bekommen. Wer zum Beispiel in der Musikschule anfängt, kann in Ruhe wachsen und sich langsam, aber sicher an ein wachsendes Publikum herantasten und muss nicht von einem auf den anderen Tag vor einem Millionenpublikum stehen.

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