Bayern

Sie sorgen sich um ihren Kaufhof

In wenigen Tagen könnte das Ende des Kaufhauses am Rotkreuzplatz beschlossen werden. Über ein Viertel, in dem in diesen Tagen viele bangen - um ihr Neuhauser Zentrum, Laufkundschaft auch für die kleinen Händler. Und um die eigenen Jobs.


Bezirksausschussvorsitzende Anna Hanusch.

Bezirksausschussvorsitzende Anna Hanusch.

Von Helena Ott

Von außen sieht man dem Koloss aus roten Ziegeln die Unruhe nicht an. Seit Monaten wird spekuliert und gebangt, was mit dem Kaufhaus geschieht. Neben dem Schwesternhochhaus ist es das markanteste Gebäude am Rotkreuzplatz. Für die Neuhauser gehört der Kaufhof hierher.

Doch nun könnte die angekündigte Schließungs-Welle auch ihre Filiale treffen. Vor den gläsernen Eingangstüren breiten sich an diesem Donnerstag die bunten, gut besuchten Wochenmarktstände aus. Da ist auch auf den vier Geschossen des Kaufhauses mehr los, als die Tage zuvor. Wie ein Pendel schwingen die Türen auf und zu.

Aber über allem schwebt die Frage, was der Mega-Konzern Galeria Karstadt Kaufhof Anfang März verkünden wird. Bleibt die Filiale am Rotkreuzplatz; oder nicht? Und ereilt sie dann das gleiche Schicksal, wie jene am Stachus vor fünf Monaten? Obwohl Kaufhäuser in der gesellschaftlichen Debatte längst zum Auslaufmodell erklärt wurden, hängen die Neuhauser an ihrem. Das sagen einem dort viele, von der BA-Vorsitzenden, über die Standlverkäufer bis zu den Jungen. Denn das Kaufhaus erfüllt hier gleich mehrere Funktionen.

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Seit 23 Jahren fährt Rolf Bidermann (70) einmal in der Woche aus Baden-Württemberg zum Rotkreuzplatz.

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Hinter Regina Stumbecks (59) Käsestand bildet sich oft eine kleine Schlange. Manche Neuhauser kennt sie noch als kleine Kinder.

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Seit 1979 hat der Rotkreuzplatz einen Kaufhof, doch bald sollen erneut um die 80 Filialen schließen. Welche ist unklar.

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Ursula Neuger in ihrem "Wollkorb" hat teils Produkte, die es auch im Kaufhof gibt - und sorgt sich doch, was passiert, sollte das Kaufhaus schließen.

"Das würde das ganze Viertel verändern", sagt Ursula Neuger vom "Wollkorb". Sie verkauft seit 35 Jahren Wollknäuel und Strickzubehör in einer sternförmig vom Rotkreuzplatz abzweigenden Straße. Interessant, gerade eine Fachhändlerin, deren Produkte es im Kaufhaus in Teilen auch gibt, fürchtet einen "großen Verlust", wenn das große Neuhauser Warenhaus schließen würde.

Kürzlich war bekanntgeworden, dass der Konzern statt im Januar erst Anfang März verkünden will, welche der 131 Filialen sie deutschlandweit schließen werden. Zwischenzeitlich war von 90, dann von 60 und wieder von 80 Filialen die Rede, also rund die Hälfte der Kaufhäuser in Fußgängerzonen, an Bahnhöfen und in belebten Stadtvierteln - wie eben in Neuhausen. Wie berichtet, sehen Branchenkenner die Filialen am Rotkreuzplatz und die im Olympia-Einkaufszentrum auf der Kippe.

Ursula Neuger ist mulmig, sagt sie, manche Sachen bekäme man im Viertel nur noch dort; Küchensachen, Glühbirnen, Koffer, zählt sie auf. "Ich schicke da auch meine Kunden hin, wenn sie Reißverschlüsse und andere Kurzwaren brauchen", sagt die Laden-Besitzerin. Das Kaufhaus sei ein Publikumsmagnet, von dem die kleinen inhabergeführten Läden auch profitieren.

Die bunten Wochenmarktstände, mit ihren blauen, gestreiften und gelben Planen sehen von der obersten Etage des Kaufhofs aus wie hingewürfelt. Der Markt ist einer der beliebtesten in ganz München. Und er verkörpert genau das Gegenteil von dem, was das Kaufhaus noch ausstrahlt. Unten riecht es nach Gewürzen, das Demeter-Gemüse liegt lose vor einem, manche Händler sprechen ihre Kunden mit Vornamen an, auffällig viele sprechen hier noch Bairisch. Immer wieder bilden sich kleine Grüppchen zwischen den Ständen zum Plaudern.

Er hat das, was viele moderne Kaufhauskonzepte, wie das Eataly als "Zukunftskonzept" verkaufen: Einkaufen als Erlebnis, Freizeitgestaltung und sozialer Treffpunkt. Der Wochenmarkt am Rotkreuzplatz hat das seit über 70 Jahren. Aber ohne dudelige Pop-Musik, trockene Klimaanlagenluft und charakterlose Regalreihen.

Sabine Barten und ihre Freundin kommen gerade aus dem Café. Sie sehen den Kaufhof viel positiver. "Der Galeria ist hier verwurzelt und wird angenommen", sagt Barten. Gerade im Winter würden sie dort gerne auch mal zwischendurch bummeln. Und auch Schulsachen für die Kinder, wie etwa Tintenkiller, kaufe sie dort, sagt Sabine Barten. Die Grüne Bezirksausschussvorsitzende, Anna Hanusch will auch, dass das Kaufhaus bleibt. "Es wäre ein totaler Verlust für den Platz", sagt sie, das Angebot passe auch einfach gut zu der Mischung, die sich hier gebildet habe. "Aber noch einmal darf es nicht mit Steuergeldern gerettet werden", sagt die Architektin. Das sei schon das letzte Mal "grenzwertig" gewesen.

Obwohl Neuvermietungen in Neuhausen für Normalverdiener kaum noch zu bezahlen sind, ist die Mischung von Menschen auf dem Wochenmarkt erstaunlich bunt. Über das abschüssige Pflaster flanieren Seniorinnen neben stylisch gekleideten Vätern mit dickem Anorak und Kinderwagen. Zu Mittag holen sich eine Reihe Bauarbeiter ein halbes Hendl am Grillstand.

Gegenüber, nah am Holz-eingekasteten Brunnen, steht ein kleiner Käsestand mit langer Warteschlange dahinter. Standlfrau Regina Stumbeck aus Miesbach schätzt das Persönliche hier: "Manche kenne ich schon, als sie noch im Bauch waren." Es sei eine intime Atmosphäre. Es sei schon vorgekommen, dass sie zum Drücken vor den Stand kommen musste, weil jemand beim Erzählen in Tränen ausgebrochen sei. Neben der Käsefrau sagen viele der anderen Händler auch, dass sie sich den Platz nicht ohne Kaufhof vorstellen könnten. Stumbeck sagt, sie gehe manchmal selbst "zum Durchschlendern" rein. Und umgekehrt sieht sie Galeria-Mitarbeiter, die auf dem Markt einkaufen. "Man sieht es an den Namensschildern."

Es gibt sie noch. Doch von 550 Mitarbeitern in den ersten Jahren seien nur noch 90 Leute übrig, sagt Alfred Birkenmayer. Und er muss es wissen, schließlich hat er den Kaufhof am Rotkreuzplatz 1979 mit eröffnet. Vor 25 Jahren wurde er das erste Mal in den Betriebsrat gewählt und ist dort immer noch. Viele der verbliebenen Angestellten arbeiteten 20 Jahre und länger in der Filiale am Rotkreuzplatz. Das Miteinander war immer gut, aber jetzt scheint es zu kippen.

Der Frust im Inneren des Ziegel-Kolosses ist riesig. An der Kasse fragt ein Mann mit schwarzer Ledercappy die große, freundliche Frau hinter der Kasse, was denn nun aus dem Kaufhaus wird. Die zieht die Schultern hoch und pustet laut aus. "Wir wissen genauso viel wie Sie." Nein, schön sei das nicht.

Am schlimmsten sei die Unsicherheit und das Hin- und Her seit zwei Jahren. Der Konzern-Eigentümer René Benko hat mit seiner Signa Gruppe schon Mitte 2020 das erste Insolvenzverfahren gestartet, das zweite folgte 2022.

Eine Kundenberaterin im Obergeschoss sieht es wie ihre Kollegin an der Kasse. Das ewige Hin und Her sei quälend, sagen beide. "Ein Drittel der Belegschaft hat schon gekündigt." Betriebsrat Alfred Birkenmayer sagt, sie wollten einer Schließung zuvorkommen. Manche hätten sich Jobs in Arztpraxen oder in der Verwaltung gesucht. Einige seien, wie er selbst, aber schon 60 und hätten Angst, sich für die letzten Jahre noch mal einen Job suchen zu müssen.

Nicht weit von seinem Büro, draußen, stehen vier Jugendliche, essen Döner. Ein Publikum, das mit dem Onlinehandel aufgewachsen ist. Was interessiert sie das angestaubte Sortiment im Kaufhaus? Ein Irrtum. Das Kaufhaus gehört auch für die Schüler zu Neuhausen. Sie kaufen dort Schulsachen oder Spiele. "Und voll wichtig, dass es da noch einen Schuhmacher gibt", sagt der große 17-Jährige. Aber auch sonst, wollten die vier den Kaufhof dort gerne behalten. "Ich geh da auch mal zwischendurch bummeln", sagt die 18-jährige Marissa Zips.

Hier in Neuhausen hat die Institution Kaufhaus noch ein dankbares Publikum. Die Leute wollen nicht nur Onlineshoppen und große Malls mit Einzelgeschäften. Aber das lastet Alfred Birkenmeyer dem Management an: "Man hätte es halt modernisieren müssen." Die Mitarbeiter hätten in "unzähligen Runden" Vorschläge gemacht, wie die Kaufhäuser für die Kunden attraktiver würden.