Bayern

Halbzeit für Grün-Rot: So sozial ist München

Eine Weihnachtsbeihilfe für Senioren, mehr Unterkünfte für Wohnungslose und mehr Frauenhäuser - diese Versprechen machten Grüne und SPD.


Ein Obdachloser sucht Schutz im Kälteraum an der Bayernkaserne. Diesen Standort muss die Stadt aufgeben.

Ein Obdachloser sucht Schutz im Kälteraum an der Bayernkaserne. Diesen Standort muss die Stadt aufgeben.

Von Christina Hertel

München - Wenn man mit Sozialdemokraten über die Errungenschaften der SPD in München spricht, kommt meist diese Antwort: das dichte soziale Netz, die vielen Angebote für arme Menschen. Gleichzeitig ist etwa jeder sechste Münchner von Armut bedroht - so viele wie nie. In ihrem Koalitionsvertrag machen Grüne und SPD Versprechen. Was ist daraus geworden?

7500 Menschen in München haben keine Wohnung. Diese Zahl war früher sogar noch etwas höher. Allerdings: Von dem Ziel, schnell Wohnraum zu vermitteln, ist die Stadt weit entfernt. Während 2017 nur 19 Prozent der Wohnungslosen länger als drei Jahre in einer Unterkunft lebten, waren es 2022 bereits 29 Prozent. 65 Prozent der Wohnungslosen verbringen aktuell länger als ein Jahr in einer Unterkunft. Und die Zahl der Kinder in den Wohnungslosenunterkünften ist sogar leicht - auf 1727 - gestiegen.

Umgesetzt - und dann wieder eingestellt, zumindest zum Teil. Während Corona konnten obdachlose Menschen auch tagsüber in den Räumen des Übernachtungsschutzes an der Bayernkaserne unterkommen. Im September 2021 hat die Stadt in einem Stockwerk mehrere Schlafräume in einen dauerhaften Tagestreff umgewandelt. Dort gibt es ein Beratungsangebot, es werden Getränke ausgegeben. Frauen können sich in einen eigenen Raum zurückziehen. Allerdings müssen die Bewohner unter der Woche tagsüber ihre Zimmer verlassen, nur an Wochenenden und Feiertagen ist ein ganztägiger Aufenthalt im Zimmer möglich.

Die Stadt muss die Räumlichkeiten an der ehemaligen Bayernkaserne, wo bislang der Übernachtungsschutz mit zirka 850 Plätzen untergebracht ist, aufgeben. Denn dort entsteht das neue Wohnquartier Neufreimann. Ganz in der Nähe an der Lotte-Branz-Straße soll 2024 ein Neubau stehen.

Dort wird sich laut Sozialreferat der Standard verbessern. Zum Beispiel gibt es dort Vierbett- statt Zehn- bis Zwölfbett-Zimmer.

Auch Gruppen mit besonderem Schutzbedarf bekommen eigene Räume. Ausgebaut wird der Übernachtungsschutz allerdings nicht. Denn dort gibt es nur noch 769 Plätze, also fast 100 weniger.

Das Sozialreferat nennt neun neue Einrichtungen für wohnungslose Menschen, die seit der Kommunalwahl eröffnet wurden.

Darunter sind zum Beispiel zwei Flexi-Heime an der Boschetsrieder Straße mit insgesamt fast 200 Plätzen. In Flexiheimen leben die Bewohner zu zweit oder alleine in einem Zimmer. Außerdem unterstützen sie Sozialpädagogen bei der Wohnungssuche.

Auch zwei Wohnprojekte für junge wohnungslose Erwachsene zwischen 18 und 27 Jahren schuf die Stadt neu. Ebenfalls neu ist ein Wohnprojekt für erwerbstätige wohnungslose Alleinstehende und Paare am Hohenzollernplatz mit 148 Plätzen. Allerdings schildert das Sozialreferat auch, dass Plätze in Pensionen weggefallen sind und dass diese durch die neuen Projekte kompensiert wurden. Im großen Stil neue Plätze scheinen also nicht hinzugekommen zu sein.

Bis 2025 plant die Stadt sechs neue Flexi-Heime zu eröffnen. Noch heuer werden voraussichtlich drei Einrichtungen fertig: An der Ständlerstraße im Stadtteil Ramersdorf-Perlach sollen 102 wohnungslose Alleinstehende und Paare unterkommen. An der Grete-Weill-Straße in Freiham werden 100 Plätze fertig. Spätestens nächstes Jahr soll an der Radlkoferstraße eine Einrichtung für wohnungslose Familien mit zirka 200 Plätzen eröffnen.

Das Sozialreferat plant auch weitere Einrichtungen für besondere Bedarfe: etwa für Wohnungslose mit einer Arbeitsstelle oder für Frauen mit Hund.

Noch in diesem Halbjahr soll der Umbau des Sozialbürgerhauses am Orleansplatz beginnen. Laut Sozialreferat soll der Eingangsbereich einladender und bürgerfreundlicherer werden. Außerdem arbeitet das Sozialreferat an einem Konzept, wie man die Bekanntheit der Sozialbürgerhäuser verbessern kann. Vorschläge will das Sozialreferat dem Stadtrat im Laufe des Jahres vorstellen.

Wie sich diese Quote seit der Kommunalwahl entwickelt hat, kann das Sozialreferat nicht so genau sagen. Im Herbst 2021 fand das Referat durch eine Studie heraus, dass im Alter fast ein Viertel keine Grundsicherung in Anspruch nimmt - trotz Anspruch.

Das Sozialreferat geht davon aus, dass sich die Quote aufgrund von Inflation und hohen Energiekosten eher verschlechtert hat.

Gescheitert - zumindest vorerst. Es ist juristisch nicht möglich, dass die Stadt Senioren, die Grundsicherung im Alter beziehen, eine Beihilfe zahlt. Das Sozialreferat prüft nun, ob es Senioren, die nicht hilfebedürftig sind, aber nur über ein Einkommen von unter 1540 Euro verfügen, extra unterstützen kann. Im Herbst 2023 soll das im Stadtrat behandelt werden.

In München finden nicht alle Frauen, die von Gewalt bedroht sind, Schutz in einem Frauenhaus. Insgesamt gibt es in München zur Zeit 78 Plätze. Doch die reichen bei Weitem nicht: Laut der Istanbuler Konvention, eine Verpflichtung, die die EU-Staaten unterzeichnet haben, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern, müsste es 156 Plätze geben. Also doppelt so viele. Doch es soll besser werden.

Der Stadtrat hat 2021 beschlossen, die Plätze auszubauen. Gerade baut die Stadt eine Immobilie um, die etwa 20 neue Plätze für Frauen und ihre Kinder bieten soll. 2024 soll alles fertig sein. Gerade sucht die Stadt noch nach einem weiteren Standort. Doch in einer räumlich so engen Stadt mit angespanntem Mietmarkt wie München sei das eine Herausforderung, so das Sozialreferat.