Bayern

Die Studentenstadt wird 60: Geburtstag in der Geisterstadt

Die Studentenstadt feiert 60-jähriges Bestehen - aber eigentlich gibt es keinen Grund zum Feiern: Über 1000 Wohnungen stehen seit zwei Jahren leer. Zwei Bewohner erzählen vom Leben in einem ganz besonderen Dorf mitten im teuren München


Sie kennen sich beide bestens in der Studentenstadt aus: Der ehemalige Bewohner Matthias Merklin und Jennifer Kannler. Sie wird bald in das blaue Haus einziehen, vor dem sie steht. Die umliegenden Häuser sind wegen Brandschutzproblemen im Moment nicht nutzbar.

Sie kennen sich beide bestens in der Studentenstadt aus: Der ehemalige Bewohner Matthias Merklin und Jennifer Kannler. Sie wird bald in das blaue Haus einziehen, vor dem sie steht. Die umliegenden Häuser sind wegen Brandschutzproblemen im Moment nicht nutzbar.

Von Julia Wohlgeschaffen

Freimann - Die große gelbe Paketstation vor dem verrußten, mehrstöckigen Gebäude ist der einzige freundliche Farbtupfer in der grauen, menschenleeren Geisterstadt. "Die Packstation ist der charakteristische Treffpunkt für alle", sagt Matthias Merklin, der selbst bis 2015 hier gewohnt hat. Und alle, das sind eigentlich die 2500 Studierenden, die normalerweise in der Studentenstadt (StuSta) in Freimann leben. Doch normal ist hier schon länger nichts mehr.

Wer durch das Fenster hinein in eines der Zimmer des verrußten Gebäudes schaut, blickt auf kahle Wände und Müll am Boden - hier wohnt definitiv keiner mehr. Doch es ist nur eines der 1482 Zimmer der Studentenstadt, die im Moment nicht bewohnt sind, insgesamt stehen drei Hochhäuser der StuSta leer und das aus gutem Grund.

sized

So sieht ein Stockwerk-Wohnzimmer für etwa 30 Studenten aus. Die Sofas haben sie sich selbst organisiert.

sized

Nach dem Brand: Ein Feuerwehrmann steht im völlig verrußten Treppenhaus des "Roten Hauses".

sized

Nach dem Feuer 2021 nicht mehr bewohnbar: Das "Rote Haus", das normalerweise 180 Studierende beherbergt.

sized

Im bunten Café der Studentenstadt: AZ-Reporterin Julia Wohlgeschaffen (l.) im Gespräch mit Jennifer Kannler und Matthias Merklin.

"Das Rote Haus hat am 16. Februar 2021 gebrannt", erklärt Matthias Merklin vom Verein Studentenstadt München. Durch den Brand kam eine Studentin ums Leben. "Auch weil die Leitungen im Haus so stark beschädigt wurden, musste es binnen zwei oder drei Tagen vollständig geräumt werden", so der ehemalige Bewohner. In der Folge wurden alle Gebäude der StuSta brandschutztechnisch geprüft - was schließlich zur Räumung der Hochhäuser im neueren Teil der Anlage aus den 70er Jahren führte, die den Brandschutzvorschriften nicht genügten.

Doch das war vor zwei Jahren, die Gebäude stehen immer noch leer. "Der Zustand im Moment ist nicht akzeptabel", kritisiert Merklin. Ein Grund dafür, dass bei der Sanierung im Moment nichts vorangehen mag, sind die hohen Kosten. Über 100 Millionen Euro, schätzt Merklin. Damit in Freimann endlich was voran geht, beschloss der Landtag im September ein neues Konzept: "Die Bayernheim GmbH soll 1000 Wohnungen in der Studentenstadt Freimann übernehmen und wir fördern die Sanierung mit über 70 Millionen Euro", so Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) damals.

Aber so trist und leblos wie heute war es in Freimann nicht immer. Merklin kennt sich gut mit der Geschichte der Anlage aus, er hat sich anlässlich des diesjährigen 60. Geburtstages der StuSta ausführlich damit beschäftigt und auf der Jubiläumsfeier im April einen Vortrag gehalten. "Früher, gerade so in den 70er und 80er Jahren war die Studentenstadt sehr politisiert. Man hat sich auf Mietstreiks eingelassen und protestiert, zum Beispiel hat man gemeinschaftlich die Miete nicht überwiesen", so Merklin. Heute seien die Studierenden nicht mehr so sehr auf Krawall gebürstet wie in den Zeiten nach der 68er-Bewegung, so seine Einschätzung.

"Ganz am Anfang, in den 60er Jahren, gab es noch eine Geschlechtertrennung. In den unteren Stockwerken lebten die Männer, in den oberen die Frauen", erzählt Merklin. Das sei bis Ende der 60er Jahre so beibehalten worden, bis diese Regelung durch Proteste der Studierenden nach juristischer Prüfung abgeschafft wurde.

Es gab außerdem nächtliche Besuchszeitbeschränkungen, die von den Heimleitern überwacht wurden. Sie lebten am Anfang des Flures und schauten, dass niemand mehr nach 22 Uhr zu Gast war, insbesondere keine Frauen bei den Männern und umgekehrt.

Inzwischen hat sich viel geändert. Die rund 30 Bewohner, die in einem Stockwerk zusammen wohnen, sind junge Männer und Frauen im Alter von 18 bis 28. Studentin Jennifer Kannler aus Rosenheim lebt in einer der Wohnungen, die im Moment bewohnt werden dürfen, im hinteren Teil der Anlage. Sie studiert Wirtschaftsinformatik im Master und wohnt seit drei Jahren in der StuSta. Eigentlich müsste sie jetzt ausziehen.

"Die Wohnzeit ist generell auf drei Jahre beschränkt", erklärt die Studentin. "Aber wenn man sich für die StuSta engagiert, kann man seine Wohnzeit verlängern." Und dieses Angebot nutzt Kannler: Sie wird Haussprecherin des "Blauen Hauses", das zum ersten Mai bezogen werden kann. Es wurde dreieinhalb Jahre lang renoviert, unabhängig vom Brand stand fest, dass es hier Sanierungsbedarf gab. Und so wird bald wieder Leben einziehen, in den vorderen Teil der Stadt. Im Blauen Haus gibt es 246 Wohnplätze.

"Seine Nachbarn auf dem Flur kennt man eigentlich meistens", erklärt die Studentin. "Es gibt verschiedene Hausveranstaltungen, zum Beispiel Stockwerkpartys. Wenn man zu sowas regelmäßig geht, dann kennt man auch die anderen Studierenden im Haus und darüber hinaus", so Kannler. In jedem Stockwerk gibt es ein Gemeinschaftswohnzimmer und eine dazugehörige Küche. Möbel wie Sofas, die nicht zur Standardeinrichtung gehören, schaffen die Studenten selber an. Für das Leben in der StuSta zahlt sie 330 Euro Miete - sehr wenig für Münchner Verhältnisse. Für ein WG-Zimmer zahlen andere Studenten in der Regel das Doppelte.

Mit dem Bezug des Blauen Hauses kommt also wieder Leben in die verwaisten Räume in Freimann. Und deshalb ist den beiden StuSta-Experten Merklin und Kannler auch trotz all der Probleme am 60. Geburtstag der StuSta nach Feiern zumute: "Gerade wird optimistisch in die Zukunft geschaut, auch weil es beim Studierendenwerk eine neue Spitze gibt, auf die wir große Hoffnungen setzen", sagt die Studentin. An der gelben Packstation vor den Toren der Studentenstadt dürften sich dann bald wieder mehr junge Leute treffen.