Straubing

Darmkrebs: Interview mit Prof. Dr. Robert Obermaier

Krankheit trifft immer mehr junge Menschen


Prof. Dr. Norbert Weigert (links) und Prof. Dr. Robert Obermaier, die beiden Leiter des Darmkrebszentrums am Klinikum St. Elisabeth.

Prof. Dr. Norbert Weigert (links) und Prof. Dr. Robert Obermaier, die beiden Leiter des Darmkrebszentrums am Klinikum St. Elisabeth.

Von Marion Bremm

Laut einer aktuellen Studie der US-amerikanischen Krebsgesellschaft ist in vielen Ländern Darmkrebs auch bei jüngeren Menschen keine Seltenheit mehr. Die Untersuchung erfasst erstmals 20- bis 49-Jährige. Früher ging man davon aus, dass erst ab 50 Jahren das Erkrankungsrisiko steigt.

Gäuboden aktuell hat mit Prof. Dr. Robert Obermaier, einem Experten auf dem Gebiet im Klinikum St. Elisabeth in Straubing, über diese Entwicklung gesprochen und nachgefragt, welche Vorbeuge- und Vorsorgemaßnahmen es gibt.

Gäuboden aktuell: Prof. Dr. Robert Obermaier, warum erkranken immer mehr junge Menschen an Darmkrebs?

Prof. Dr. Robert Obermaier: Eine Kombination aus ungesunder Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel schon in der Kindheit scheinen Darmkrebs vor allem in jungen Jahren zu begünstigen.

Kann man pauschal sagen, dass es Menschen mit erhöhtem Darmkrebsrisiko gibt?

Prof. Obermaier: Pauschale Aussagen sind immer schwierig. Die oben erwähnten Risikofaktoren haben aber sicherlich einen Einfluss. Des Weiteren gibt es einen erblichen Darmkrebs, der familiär gehäuft auftritt. Das "HNPCC" (Hereditäres nicht-Polyposis-assoziiertes kolorektales Karzinom), die häufigste Form der erblichen Dickdarm-Krebserkrankungen und der "FAP" (Familiäre adenomatöse Polyposis), bei der es zu einem massenhaften Befall des Dickdarms mit Polypen kommt, sind hier zu nennen.

Gleichzeitig wird in der Studie berichtet, dass in neun von 19 Ländern, darunter Deutschland, weniger Ältere erkranken. Woran liegt das?

Prof. Obermaier: Wahrscheinlich ist das nicht nur auf eine gesündere Lebensweise dieser Generation zurückzuführen, sondern liegt vor allem daran, dass Vorsorgeuntersuchungen (Darmspiegelungen) häufiger und früher wahrgenommen werden. Bei einer Vorsorge-Darmspiegelung können Vorstufen des Darmkrebses bei der Darmspiegelung entfernt und damit die Entstehung von Darmkrebs verhindert werden. Hier liegen die Heilungschancen bei fast 100 Prozent. Ansonsten hängt eine Heilung immer ab vom Stadium bei der Diagnosestellung.

Gibt es Vorbeugemaßnahmen, die man auch in jüngeren Jahren treffen kann?

Prof. Obermaier: Eine gesunde, ausgewogene und ballaststoffreiche Ernährung ist immer wichtig. Zusätzlich ist es ratsam, viel zu trinken, für einen gesunden Erwachsenen gelten mindestens 1,5 Liter. Der Rest wird über feste Nahrung aufgenommen. Viel Bewegung ist außerdem zu empfehlen.

Und eine Darmspiegelung?

Prof. Obermaier: Diese sollte auch bei fehlenden Symptomen wahrgenommen werden. Jeder Krankenversicherte ab dem 50. Lebensjahr hat Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen zur Früherkennung von Darmkrebs. Dies bedeutet für die gesetzliche Darmkrebsfrüherkennung ab 50 ein Beratungsgespräch sowie einen jährlichen Stuhltest auf okkultes, das heißt nicht sichtbares Blut im Stuhl und eine Darmspiegelung ab dem 55. Lebensjahr, sofern keine familiäre Belastung vorliegt. Aktuell wird geprüft, ob die Vorsorgedarmspiegelung schon ab 50 Jahren empfohlen wird. Bei entsprechenden Beschwerden oder Symptomen sollte die Darmspiegelung natürlich auch viel früher durchgeführt werden.

Können Sonderfälle auftreten?

Prof. Obermaier: Natürlich. Zum Beispiel Folgender: In einer Familie wird gehäuft Darmkrebs festgestellt, aber eine klare genetische Ursache fehlt. Was also tun, wenn das geschieht? Direkt mit dem Hausarzt Kontakt aufnehmen! Dieser entscheidet, ob und wann welche Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll sind.

Wie entsteht Darmkrebs eigentlich?

Prof. Obermaier: Darmkrebs entsteht sehr häufig aus Darmpolypen, die sich in der Darmschleimhaut entwickeln. Sie wachsen pilzähnlich in den Darm hinein. In den allermeisten Fällen handelt es sich bei diesen Polypen um sogenannte gutartige Adenome (eine Geschwulst aus Schleimhaut oder Drüsengewebe), manchmal kann sich daraus Krebs entwickeln.

An welchen Symptomen kann man Darmkrebs erkennen?

Prof. Obermaier: Ein wichtiger Punkt sind Veränderungen in der Stuhlgangsgewohnheit. Wer jahrelang normalen Stuhlgang hatte und dann plötzlich eine Veränderung wahrnimmt (wie Durchfall oder Verstopfung), sollte sich mit dem Hausarzt über die weiteren Untersuchungen beraten. Wenn man Blut auf dem Stuhlgang bemerkt, könnte das ebenfalls ein Hinweis auf Darmkrebs sein. In so einem Fall wäre es wichtig, zeitnah eine Darmspiegelung durchzuführen.

Gibt es unterschiedliche Formen von Darmkrebs?

Prof. Obermaier: Unter Darmkrebs verstehen wir bösartige Tumoren im Bereich des Dickdarmes. Bösartige Tumoren im Dünndarm sind eher selten und machen nur ein bis zwei Prozent der Erkrankungen aus. Darmkrebs des Dickdarms unterscheidet man vor allem hinsichtlich der Lokalisation: Hier gibt es das sogenannte Kolonkarzinom und das Rektumkarzinom. Als Rektumkarzinom bezeichnet man bösartige Veränderungen im Bereich des Mastdarmes 16 Zentimeter vor dem Schließmuskel. Damit unterscheidet sich die Behandlung etwas von den anderen.

Je eher Krebs erkannt wird, desto besser. Wie hoch sind die Heilungschancen bei Darmkrebs?

Prof. Obermaier: Je früher der Krebs erkannt wird, umso geringer ist die Gefahr, dass er an seinem Entstehungsort weiteren Schaden anrichtet oder bereits gestreut hat.

Sollte der Krebs gestreut haben - wie groß ist die Chancen, diese Metastasen zu heilen?

Prof. Obermaier: Früher galt man dann meistens als unheilbar, aber heutzutage gibt es trotzdem Heilungschancen. Dazu muss die Möglichkeit bestehen, die Metastasen mit einer Operation zu entfernen (meistens in der Leber oder Lunge), eventuell in einer Kombination mit medikamentöser Tumortherapie oder Bestrahlung.

Was geschieht, wenn keine Chance auf Heilung besteht?

Prof. Obermaier: Oft kann man dem Patienten mit verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten Zeit in guter Lebensqualität schenken.

Apropos Angst: Vielen graut vor einem künstlichen Ausgang.

Prof. Obermaier: Das stimmt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man diesen heutzutage anlegen muss, ist durch neuere Operationsmethoden deutlich geringer geworden als früher.

Angenommen, bei mir wurde Darmkrebs festgestellt. Wie geht es nun weiter?

Prof. Obermaier: Am besten stellt man sich in einem spezialisierten, zertifizierten Darmkrebszentrum vor. Dort wird dann von allen Spezialisten gemeinsam in der Tumorkonferenz besprochen, ob es noch weitere Untersuchungen geben muss. Wenn alle notwendigen Untersuchungen vorliegen, wird ein Behandlungsplan entsprechend der Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft erstellt und für den Patienten individuell angepasst. Davon hängt ab, was die nächsten Schritte sind.

Wie häufig sind Darmkrebsfälle generell und speziell bei Ihnen am Klinikum?

Prof. Obermaier: In Deutschland gibt es jährlich etwa 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr, dies bedeutet für die Stadt Straubing und den Landkreis Straubing-Bogen ungefähr 110 Neuerkrankungen. Das ist auch ungefähr die Zahl an Darmkrebsfällen, die wir jedes Jahr neu im Darmkrebszentrum im Klinikum Straubing behandeln. Dazu kommen viele Patienten, die über einen längeren Zeitraum wegen Darmkrebs in Behandlung sind.

Darmkrebs und Darmspiegelungen sind oft Tabuthemen. Wie könnte man das ändern?

Prof. Obermaier: Hier sind wir alle gefordert. Wir versuchen seit Jahren, durch öffentliche Veranstaltungen auf den Sinn der Vorsorgedarmspiegelung hinzuweisen. Dazu werden jährlich Patientenveranstaltungen durchgeführt. Jeder Einzelne kann dazuhelfen, vor allem, wenn er bereits eine Darmspiegelung hinter sich gebracht hat. Der Patient kann Bekannten und der Familie berichten, dass die Untersuchung, die heutzutage in einer kurzen Sonderform der Narkose durchgeführt wird, kein großes Problem war und so das Umfeld animieren, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.

Welche Ärzte befassen sich mit dem Thema Darmkrebs?

Prof. Obermaier: Erster Ansprechpartner ist immer der Hausarzt, der mit dem Patienten bespricht, welche Schritte einzuleiten sind. In Abhängigkeit vom Stadium der Erkrankung stehen im Anschluss Internisten, Gastroenterologen, Viszeralchirurgen, Onkologen, Strahlentherapeuten und weitere Experten zur Verfügung, um das optimale Behandlungskonzept festzulegen.

Das Klinikum St. Elisabeth Straubing ist ein zertifiziertes Darmkrebszentrum. Was bedeutet das?

Prof. Obermaier: Ein zertifiziertes Darmkrebszentrum ist ein Zusammenschluss von verschiedenen spezialisierten Fachdisziplinen und Fachärzten, die sich intensiv mit dem Thema Darmkrebs beschäftigen. Hier gibt es entsprechende Vorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft, die Strukturen fordern, die eine optimale Behandlung von Darmkrebspatienten ermöglichen. Außerdem werden die Ergebnisse der Behandlung regelmäßig analysiert und mit den Ergebnissen anderer Darmkrebszentren in Deutschland verglichen. Das Darmkrebszentrum Straubing wurde im Jahr 2008 gegründet und ist inzwischen mehrfach erfolgreich re-zertifiziert. Bei rund 2.000 Kliniken in Deutschland gibt es ungefähr 250 zertifizierte Darmkrebszentren. Was Komplikationen nach einer Operation betrifft, war das Darmkrebszentrum Straubing bei einer Analyse der Deutschen Krebsgesellschaft vor drei Jahren unter den besten drei. Seitdem hat sich die Komplikationsrate nicht verändert, so dass Straubing in der Bewertung auch die Jahre danach immer die volle Punktzahl der Behandlungsqualität erreicht hat. Somit können wir für die Patienten eine optimale Behandlung bei Darmkrebs anbieten. Dies wird durch die Deutsche Krebsgesellschaft engmaschig kontrolliert.

Vielen Dank für das Gespräch.