Cham

Lucas schläft wieder in seinem eigenen Bett


Mit seinem Fahrrad fetzt der Fünfjährige am späten Samstagnachmittag durch die Anwohnerstraße in Waffenbrunn. Seine Eltern freuen sich, dass es ihm wieder so gut geht.

Mit seinem Fahrrad fetzt der Fünfjährige am späten Samstagnachmittag durch die Anwohnerstraße in Waffenbrunn. Seine Eltern freuen sich, dass es ihm wieder so gut geht.

Von tf

Der kleine Bub fetzt mit seinem grünen Fahrrad die Anliegerstraße hinunter, dreht um, rast zurück, streckt beide Beine in die Luft und balanciert, bremst und grinst übers ganze Gesicht. "Schau, Mama, ich zeig Dir was", ruft er der blonden zierlichen Frau am Straßenrand zu, und schon tritt er wieder in die Pedale. Lucas ist am Samstag nach fast fünf Wochen in der Kinderklinik in Regensburg nach Hause gekommen. Wir durften exklusiv eine Weile dabei sein und sehen, wie sehr sich der Fünfjährige freute, endlich wieder daheim zu sein.

Wäre der Glatzkopf nicht, man merkte dem kleinen Mann nicht an, was er gerade durchgestanden hat. "Wir sind sowas von stolz auf unseren kleinen Kämpfer", sagen auch seine Eltern, die ihn wochenlang in Regensburg begleitet hatten und in dieser Zeit im Elternhaus der Kuno-Kinderklinik untergebracht waren. Fünf große Reisetaschen im Flur zeugen noch vom Leben aus dem Koffer, das die kleine Familie in der letzten Zeit geführt hat. Im Wohnzimmer warten am Samstagnachmittag Oma und Opa, Tante und Onkel und die neun Wochen alte Cousine Milla auf Lucas, um ihn zu begrüßen. Um halb vier haben die Schmaderers von den Ärzten grünes Licht für die Heimkehr bekommen.

"Lucas hat als erstes den Fernseher eingeschaltet und dann Lego gebaut", erzählt Stefan Schmaderer. Überall im Zimemr stehen große und kleine zusammengebastelte Gebilde aus Lego: ein grün-weißes Rennauto, ein gelbes Drehleiterfahrzeug, ein roter Lastwagen. "Das meiste davon hat Lucas fast alleine gebaut, ich habe da nicht viel geholfen", grinst der stolze Papa. Lucas hat für den Besuch von der Zeitung eine Clownnase angezogen - er mag gerade nciht gern fotografioert werden. Dann turnt er wieder auf seinem Vater herum, rennt zur Couch und springt über die Lehne in sein versteck. "Das ist meine Höhle", lacht er spitzbübisch und streckt kurz den Kopf aus seinem Versteck. "Ich darf Klettern, hat der Doktor gesagt", erklärt er seinen Verwandten noch einmal. "Und Radlfahren", nennt er selber das Stichwort. Das steht natürlich auch noch auf dem Plan - Lucas will an diesem späten Samstagnachmittag am liebsten alles auf einmal machen.

"Die letzten beiden Tage hat er auf den Klinikfluren Radlwetttrennen gemacht", erzählt sein Papa. Die Krankenschwestern haben eine Art Zieltor gebildet, und Lucas trat gegen seine Mama an. "Nicht mit richtigen Rädern, statt zu treten, musste man da mit dem ganzen Körper schlängeln,m um vorwärtszukommen", beschreibt Stefan Schamderer. Aber jetzt endlich darf Lucas wieder mit seinem eigenen Fahrrad herumdüsen, während seineMutter einkaufen gefahren ist. Lucas will an seinem ersten Tag daheim unbedingt grillen. Dafür braucht es abgepacktes Fleisch. "Offenes Fleisch wäre zu gefährlich", sagt Stefan Schamderer.
Überhaupt - die Familie muss auf ziemlich viele Dinge achten die nächste Zeit. Vor allem die nächsten 120 Tage sind noch eine hochsensible Phase, haben die Ärzte den Schmaderers eindringlich mit auf den Weg gegeben. Lucas' neues Immunsystem muss erst langsam die Arbeit aufnehmen und ist noch zu schwach, um mit bestimmten Keimen fertig zu werden.

Dazu gehören auch Schimmel. Lucas darf nicht in den Keller oder de auf den Dachboden, soll Staub-belastete Plätze wie Baustellen meiden, darf nicht mit Holz handwerken, soll nicht in Kontakt mit Tieren kommen und muss beim Essen auf viele Dinge achten.
Auch größere Menschenansammlungen soll er ohne Mundschutz meiden. Selbst den Kindergarten darf Lucas vorerst noch nicht besuchen - zu groß wäre die Ansteckungsgefahr.

Zweimal in der Woche muss Lucas in den kommenden Monaten nach Regensburg zur Untersuchung. Dort wird sein Blut untersucht, und die Ärzte passen seine Medikamentendosis an. Lucas hat noch immer einen Zugang in seinem Körper, vermutlich noch bis Januar. 13 Tabletten muss Lucas immer noch täglich nehmen, erzählt sein Vater, während Lucas sein Radl aus der Garage holt.
Wenig später kommt auch Mama Nicole vom Einkauf zurück. Die Strapazen des letzten halben Jahres sind ihr wie auch ihrem Mann anzusehen. Trotzdem lacht sie glücklich, als sie ihrem Sohn zuschaut. "Nicht mehr allzu lange, nicht dass du dir was einfängst", ruft sie ihm besorgt zu. Doch die Eltern sind optimistisch: "Wir sind voller Hoffnung und Zuversicht, dass aber jetzt nur noch guteundschöne Tage für uns und vor allem für Lucas kommen."



Ende April erfährt die Familie Schmaderer, dass Lucas an Blutkrebs erkrankt ist. Chemotherapien in den folgenden Wochen bringen nicht den notwendigen Erfolg. Schon bald ist klar: Nur eine Stammzellentransplantation kann dem Fünfjährigen helfen.

Am 17. Juni gehen die Schmaderers an die Öffentlichkeit. Mit Landrat Franz Löffler als Schirmherrn kündigen sie eine große Typisierungsaktion für Lucas an und bitten die Bevölkerung um Mithilfe. Eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft setzt sich in Gang. Vereine, Verbände, Organisationen, Unternehmen, hunderte Einzelpersonen wollen helfen, spenden für die Typisierungsaktion oder organisieren Benefizveranstaltungen zugunsten des leukämiekranken Buben.

Am 12. Juli kommen 3 940 Männer und Frauen, um sich typisieren zu lassen. Sie alle hoffen, der genetische Zwilling für Lucas zu sein, der ihm das Leben retten kann. Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei DKMS hatte mit 2000 Spendern gerechnet.

30 Juli: Die Nachricht, auf die alle gewartet und die alle erhofft haben: Der genetische Zwilling von Lucas ist gefunden. Der Spender passt den Angaben zufolge zu 100-Prozent mit Lucas überein.

17. August: Lucas muss in die Kinderklinik in Regensburg. Sein Immunsystem wird heruntergefahren, sein Körper wird auf die Transplantation vorbereitet.

24. August: Lucas bekommt seine neuen Stammzellen. Sechs Stunden lang fließen 650 Milliliter der kostbaren Flüssigkeit in seinen kleinen Körper. Der kleine Mann nimmt's gelassen: Er verschläft die spätabendliche Prozedur.

9. September: Es schaut gut aus! Lucas' Vater berichtet im Gespräch mit unserer Zeitung, dass sein Sohn wohl gut auf die Behandlung anspricht. Nun warten alle noch darauf, dass bestimmte Grenzwerte erfüllt sind, so dass Lucas wieder nach Hause darf.

19. September: Lucas darf heim! Um fünf Uhr nachmittags kommt er mit Sack und Pack zu Hause in Waffenbrunn an. Die kommenden Wochen und Monate muss er noch besonders vorsichtig sein, und er ist auch weiter in Behandlung.
Aber seine Eltern und er sind zuversichtlich!