Profi von Atalanta Bergamo im Interview

Lennart Czyborra: Leben im Corona-Epizentrum


Lennart Czyborra wechselte im Januar zu Atalanta Bergamo.

Lennart Czyborra wechselte im Januar zu Atalanta Bergamo.

Der gebürtige Berliner Lennart Czyborra lebt derzeit in Bergamo, im italienischen Epizentrum der Coronakrise. Er ist Fußballprofi beim Erstliga-Club und Champions-League-Teilnehmer Atalanta Bergamo. Über die Krise, seinen Alltag und den Wunsch, daheim zu sein, spricht der 20-Jährige im Interview mit idowa.

Herr Czyborra, was sehen Sie aktuell, wenn Sie aus dem Fenster Ihrer Wohnung schauen?
Lennart Czyborra: Die Stadt ist menschenleer. Wenn man mal Menschen sieht, dann tragen sie Handschuhe und Atemschutzmasken. Viele hier haben große Angst vor dem Virus.

Haben Sie Angst?
Czyborra: Angst nicht, aber natürlich einen gewissen Respekt.

Wie sieht der Alltag bei Ihnen derzeit aus?
Czyborra: Ich bin jeden Tag zu Hause. Man darf die Wohnung nur zum Einkaufen verlassen. Wir dürfen nicht spazieren gehen oder joggen, dürfen auch nur zum nächstgelegenen Supermarkt. Bei Verstößen gibt es hohe Geldstrafen.

Haben Sie die Möglichkeit, sich fitzuhalten?
Czyborra: Alle Spieler haben vom Verein ein Laufband geliefert bekommen, um sich zuhause fithalten zu können. Ich trainiere circa eine Stunde am Tag. Aber es ist einfach etwas anderes, der Ball fehlt.

Was machen Sie, wenn Sie nicht trainieren?
Czyborra: Dann geht's auf die Couch, ich gucke meine Serien und spiele an der Konsole FIFA und Fortnite. Mehr kann ich aktuell nicht machen. Die Situation ist einerseits langweilig und andererseits einfach nur traurig.

Wie nehmen Sie die Krise selbst wahr?
Czyborra: Da wir die Wohnung nicht verlassen dürfen, bekommt man direkt nicht so viel mit. Natürlich sehe ich aber die Bilder und Berichte in den Medien und weiß, dass ich in der Stadt lebe, wo die Krise am schlimmsten ist, im Epizentrum, wo jeden Tag viele Menschen sterben. Das ist einfach nur extrem traurig.

Sie sind alleine in Bergamo. Wie ist Ihr Kontakt nach Hause?
Czyborra: Ich habe über Facetime täglich Kontakt mit meiner Familie, meiner Freundin und Freunden.

Wären Sie jetzt gerne zu Hause?
Czyborra: Ja, unbedingt.

Mit Robin Gosens spielt ein weiterer Deutscher in Ihrem Team. Wie wichtig ist er für Sie?
Czyborra: Robin wohnt im gleichen Haus, nur eine Etage über mir. Er ist wirklich extrem wichtig für mich und hilft mir sehr. Viele Leute hier sprechen nicht Englisch und ich hatte noch nicht die Zeit, um Italienisch zu lernen. Deshalb ist er als Bezugsperson sehr wichtig.

Noch am 19. Februar hat Ihr Team im San Siro in Mailand vor knapp 45.000 Zuschauern die Champions-League-Partie gegen den FC Valencia bestritten und 4:1 gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Czyborra: Damals war das Coronavirus noch kein wirkliches Thema, es war in der leichten Anfangsphase. Es waren noch viele Leute im Stadion. Es war für mich eine tolle Erfahrung, ich war zum ersten Mal in einem Champions-League-Kader, habe die Hymne gehört und hatte Gänsehaut...

... und jetzt erleben Sie diese schlimme Situation. Zwei Extreme binnen weniger Wochen.
Czyborra: Auf jeden Fall, so kann man das sagen. Erst dieser große Erfolg und dann die Wendung um 180 Grad.

Wie geht es im Verein weiter. Ist an Training überhaupt zu denken?
Czyborra: Der aktuelle Stand ist, dass wir Mitte April wieder anfangen wollen zu trainieren. Ob wir den Termin einhalten können, weiß ich allerdings nicht.

Denken Sie, dass die Saison in der Serie A zu Ende gespielt werden kann?
Czyborra: Das ist schwierig zu sagen. Wenn gespielt wird, dann werden die Partien als Geisterspiele stattfinden, denke ich. Wenn nicht mehr gespielt wird, kann es sein, dass viele Vereine pleite gehen. Ich denke, dass es relativ schnell einen Entschluss geben wird.

Kann man aktuell überhaupt an Fußball denken?
Czyborra: Wir sind hier im Epizentrum der Krise und die Menschen denken gerade ganz sicher nicht an Fußball. Es wäre antizyklisch, wenn Privatunternehmen pleite gehen und der Fußball spielt wieder, um sich zu retten. Andererseits wäre es eine schöne Abwechslung, wenn der Ball wieder rollen könnte.