Smarte Textilien

Regensburger forschen an Kleidung, die Leben rettet

Mit einem Wisch über den Ärmel ans Handy gehen oder mit dem Sportshirt die Leistung messen: Smarte Textilien können immer mehr. Regensburger Forscher arbeiten an weiteren Verbesserungen


Mit einer Strickmaschine werden Textilantennen in Kleidung integriert.  Foto: Westböhmische Universität in Pilsen

Mit einer Strickmaschine werden Textilantennen in Kleidung integriert.

Von Manuel Krüger und mit Material der dpa

Eine Jacke, mit der man Anrufe annehmen kann. Schuhe, die sich selbst binden. Die Anwendungsfelder für intelligente Textilien scheinen unermesslich. Forscher in Ostbayern, Tschechien oder Thüringen optimieren sie immer weiter. Viele Produkte wurden schon vor Jahren erstmals auf den Markt geworfen, Experten prognostizierten schwindelerregende Wachstumsraten. Und doch bleibt der große Durchbruch auf dem Massenmarkt bislang aus. Auf der Berliner Fashion Week, die am Montag, 5. Februar, startet, ist das Thema laut einer Sprecherin eher eine Randnotiz.

Für die breite Anwendung bei den Verbrauchern ist der Geschäftsführer des Handelsverbands Textil, Schuhe und Lederwaren, Axel Augustin, derzeit noch skeptisch: "Im Moment ist das definitiv exotisch." Er verweist darauf, dass Funktionen wie etwa die Überwachung von Leistungsdaten auch schon in Fitnessarmbändern enthalten seien. "Das muss ein klarer Vorteil gegenüber den Devices und billiger sein. Und das sehe ich im Moment eher nicht."

Feuerwehrler werden mit Sensoren überwacht

Seit Juni 2023 beschäftigen sich auch Wissenschaftler der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg mit dem Thema. Antennen in E-Textilien waren bislang eher sperrig. Im Rahmen des auf drei Jahre angelegten, grenzüberschreitenden Forschungsprojekts E-Tex untersuchen die Beteiligten nun, wie sich Antennen in Textilien integrieren lassen. Dazu verwenden sie hybride Fäden - Plastik mit Metallfäden ummantelt - die in das Gewebe gestickt oder gestrickt werden. Diese Technik sei laut Projektleiterin Susanne Hipp von der Fakultät Elektro- und Informationstechnik nicht nur spannend für Unternehmen, sondern sie könne auch Leben retten. Ziel ist es, innovative E-Textilien für den praktischen Einsatz im Bereich der Telemedizin zu entwickeln und die Sicherheit der Mitglieder des Rettungssystems zu erhöhen.

Die Projektpartner an der Westböhmischen Universität Pilsen arbeiten dabei unter anderem mit der Feuerwehr zusammen. In die Feuerwehrkleidung sind verschiedene Sensoren integriert. Die Textilantennen sorgen dafür, dass zum Beispiel Temperaturwerte drahtlos an die Leitstelle übertragen werden. Zusätzlich können solche Antennen auch als elastische Sensoren fungieren, wo sie die Überwachung der Atemfrequenz von Rettungskräften oder Apnoe-Patienten oder die langfristige Überwachung von Ödemen während des Tages sicherstellen. Das sei laut Hipp bisher noch nicht umsetzbar gewesen. "Das ermöglicht eine wirksamere und gezieltere Behandlung." An der Universität in Pilsen werden die textilen Antennen entwickelt, die Forscher in Regensburg sind für die Analyse der Ergebnisse und Ableitung von Designregeln zuständig.

Experten prognostizieren enorme Wachstumsraten

Mit smarten Textilien haben sich in der Vergangenheit auch bereits einige Schwergewichte der Modebranche beschäftigt. Levi's etwa hatte schon 2017 zusammen mit Google eine Jacke auf den Markt gebracht, die sich dank eingewebter Metallfäden mit dem Smartphone koppeln lässt. Nike führte 2016 einen Schuh ein, der sich automatisch an die Form des Fußes anpasst. Und auch Apple arbeitet an intelligenten Textilien. Im Herbst 2023 wurde bekannt, dass die Kalifornier hierzu ein neues Patent angemeldet haben.

Für 2023 werde das weltweite Marktvolumen für intelligente Textilien auf bis zu 3,2 Milliarden Euro geschätzt, heißt es vom Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie. Bis 2026 solle sich der Markt etwa verdoppeln, 2031 könne er 16,1 Milliarden Euro erreichen. Da international aber nicht klar definiert sei, was ein intelligentes Textil ist, seien solche Studien immer mit Vorsicht zu genießen. Und dennoch: Die Wachstumsraten scheinen enorm. Doch woher soll dieses Wachstum kommen, wenn nicht vom Modemarkt?

Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Ausflug ins hügelige Grenzgebiet von Thüringen und Sachsen. In der Kleinstadt Greiz tüftelt das Textilforschungsinstitut Thüringen Vogtland seit über 25 Jahren an der Verbindung von Textilien und Elektronik. Das Institut gilt dabei als einer der Vorreiter. Hier werden unter anderem leitfähige Fäden entwickelt. "Mode ist selten ein Thema", sagt der Gruppenleiter für smarte Textilien, Kay Ullrich. "Das gehört dazu, aber da herrscht ein anderer Preisdruck."

Bundeswehrkleidung soll selbständig Blut erkennen

Treiber sei derzeit eher die Medizin, wo es etwa um Schmerztherapie über die Behandlung mit Reizstrom gehe, oder um Bettauflagen, die erkennen, ob ein Patient herausgefallen ist. Auch in der Autoindustrie gebe es Interesse: das gehe von leuchtenden Dach-Himmeln über Touch-Anwendungen in der Mittelkonsole bis hin zu Neuerungen bei der Sitzheizung, so Ulrich. Für die Bundeswehr werde mit Textilien experimentiert, die etwa Schweiß von Blut unterscheiden könnten. Und auch auf dem Bau gebe es Anwendungen.

Johannes Diebel, Leiter beim Forschungskuratorium Textil des Gesamtverbands der Textil- und Modeindustrie, sagt aber auch: "Trotz des wachsenden Interesses bildet die Käufergruppe für intelligente Textilien immer noch einen spezialisierten Markt." Er gehe aber davon aus, dass es mit der Weiterentwicklung der Technologie auch verstärkt in den Massenmarkt gehe. Allerdings hänge das vom Preis, dem Vorteil für den Verbraucher und der Recyclingfähigkeit ab.

Ein großes Thema sei auch die Waschbarkeit, sagt Ulrich vom Institut in Greiz. "Das Waschen ist mit die höchste Belastung für diese Textilien." Derzeit lasse sich etwa eine beheizbare Unterhose je nach Waschgang und Waschmittel 50 bis 100 Mal waschen. Dann seien die leitenden Fäden so sehr beansprucht, dass der elektronische Widerstand doppelt so groß wie zu Beginn sei und die Funktion leide.