Fleischindustrie
Ein Aktivist macht in Regensburg auf Tierleid aufmerksam
„Schau weg!“, sagt die Mutter, als ihr Kind auf den Bildschirm starrt. Der kleine blonde Junge bleibt immer wieder stehen, lässt sich schließlich mitziehen. Daniel schaut nicht weg. Er steht vor dem schwarzen Pavillon, den er kurz zuvor mitten auf dem Neupfarrplatz aufgebaut hat. Auf dem Bildschirm vor ihm: ein Kalb, das seiner Mutter entrissen wird. Um ihn herum: der Trubel der sommerlichen Stadt.
Daniel ist 27, braune Haare, trägt dunkle Hosen und ein T-Shirt mit dem Logo seiner Tierrechtsgruppe. Eine weiße Maske hängt an seinem Unterarm. Seine Augen wirken ruhig, aber aufmerksam. Nach der Schule machte Daniel eine Ausbildung beim Finanzamt, heute arbeitet er in der IT-Verwaltung. Seit eineinhalb Jahren organisiert er die lokale Ortsgruppe der „Activists for the Victims“. Der Verein macht auf Grausamkeit in der Tierindustrie aufmerksam, steht für Tierrechte ein. Eine Dokumentation habe ihn damals wachgerüttelt, heute zeigt er solche Bilder selbst auf der Straße.
„Warum zeigt's ihr denn sowas?“
Daniel begrüßt und umarmt eine Aktivistin, die dazukommt, lacht. Mittlerweile sind sie zu fünft. Zwei von ihnen stehen maskiert Rücken an Rücken vor dem Reichsstadtbrunnen. Der Fokus soll nicht auf ihnen liegen, sondern auf dem, was sie zeigen. Die traurigen Klänge des Klaviers aus dem Lautsprecher mischen sich mit Popmusik. Ein Maskottchen tanzt vor der Kirche für eine Gruppe Passanten. Viele Menschen werfen nur einen flüchtigen Blick auf den Bildschirm. Zwei junge Mädchen verziehen das Gesicht. „Warum zeigt's ihr denn sowas?“, ruft eine Frau mittleren Alters Daniel zu. Als auf dem Bildschirm eine Kuh nach dem Bolzenschuss zu Boden geht, imitiert ein Mann lachend ihr Muhen.
Daniel spricht mit einer schwangeren Frau, unterwegs mit drei kleinen Kindern. „Warum werden die Tiere getötet?“, hatte einer der Jungen gefragt. Nach ein paar Minuten kippt die Stimmung. Die Frau meint, Fleisch essen sei natürlich. Veganismus lehne sie ab. Daniel bleibt ruhig, aber direkt. Er versucht zu verstehen, auf ihre Punkte einzugehen. „Leider unterstützen Sie so weiter Gewalt“, sagt er schließlich. Die Frau schnaubt, verlässt den Schauplatz energisch, den Kinderwagen schiebend.
Ereignisse wie diese lassen Daniel nicht kalt. Auch im Alltag kommt es zu Konflikten und Situationen, die ihn belasten. Manchmal fühle es sich schon so an, als gäbe es zwei Fronten. Aber er könne auch verstehen, könne sich in Menschen hineinversetzen.
Nicht nur Passanten reagieren skeptisch. Josef Wittmann ist Leiter der Geschäftsstelle Regensburg des Bayerischen Bauernverbands. In einer Stellungnahme betont er eine historische sowie aktuelle Wichtigkeit der tierischen Landwirtschaft und meint, der Mensch sei Teil natürlicher Kreisläufe. Tierrechtler würden einseitig argumentieren und mit Unterstellungen arbeiten. „Landwirte sind als Tierhalter darauf angewiesen, dass es ihren Tieren gut geht. Nur Tiere, die gut versorgt und gehalten werden, können auch eine entsprechende Leistung erbringen“, meint er. Eine rein moralische Betrachtung werde dem Thema nicht gerecht.
„Ich habe nichts gegen Menschen!“
Daniel meint, es gehe ihm gerade darum: Tiere nicht als Leistungsträger sehen, sondern als Individuen. Er ist in einem Ort im Bayerischen Wald aufgewachsen, seine Familie hatte dort einen kleinen Bauernhof. Er war bei Schlachtungen dabei – vor allem von Hühnern, aber auch an ein Schwein erinnert er sich. Damals fand er das normal. Politisch war er früh interessiert, wählte zunächst die Bayernpartei, später die CSU. Mit dem Umzug kam der Wandel: Seine damalige Freundin lebte vegan, Daniel wurde erst Vegetarier und bald überzeugter Aktivist. Zwischenzeitlich war er auch Direktkandidat für die V-Partei.
„Ich habe grundsätzlich überhaupt nichts gegen Menschen“, sagt er. Er wolle nicht einfach provozieren, sondern ein Gespräch auf Augenhöhe. Den Bauernhof haben seine Eltern heute nicht mehr. Das Verhältnis ist gut, auch wenn sie sich bei einigen Themen nicht einig sind. Auch mit seinen alten Freunden aus dem Dorf versteht er sich noch. Unterstützung für seinen Aktivismus bekommt er kaum, Ablehnung aber auch nicht.
Aktivismus ist nicht alles im Leben
Es bimmelt auf dem Platz. Die Stadtbahn „Emma“ fährt am Pavillon vorbei. Es ist etwas ruhiger geworden. Daniel überprüft, ob es den Aktivistinnen gut geht. Heute hat er auch positive Gespräche. Ein Kind fragt interessiert nach, wirkt nachdenklich. Daniel freut sich über solche Begegnungen.
Nach dreieinhalb Stunden packen die Aktivisten zusammen. Im Anschluss stärken sie sich im veganen Café, sprechen über ihre Erlebnisse – aber auch über Arbeit und Privates. Aktivismus sei ihm wichtig, aber nicht alles im Leben: In seiner Freizeit fährt Daniel gerne Fahrrad, spielt Tennis oder Schach. Er hat sich in Regensburg eingelebt, hat Menschen, die ihm wichtig sind.
Nächste Woche wird Daniel wieder auf dem Platz stehen, das 41. Mal in Folge. Bezahlt wird er nicht, er ist überzeugt davon, das Richtige zu tun. Insgesamt blickt er hoffnungsvoll in die Zukunft. Und auch, wenn ihm weitere Konflikte sicher sind, meint er: „Mein Aktivismus geht nicht gegen die Menschen, sondern für die Tiere.“
Zum Verein:
Der Verein „Activists for the Victims“ hat aktuell etwa 14 Ortsgruppen in Deutschland, drei davon in Niederbayern. Tierrechte sind aus Sicht der Bewegung eine Erweiterung der fundamentalen Menschenrechte, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Die Ausnutzung von Tieren wird grundsätzlich abgelehnt. Veganismus ist in den letzten Jahren gewachsen: Nach aktuellen Umfragen bezeichnen sich etwa zwei bis drei Prozent der Deutschen als vegan. Ein kleiner Teil davon betätigt sich aktivistisch.