Unfallprävention

P.A.R.T.Y.-Projekt im Klinikum: Sekunden, die ein Leben verändern


Von Sandra Bauer/Sophia Häns

Nie mehr Sport treiben, dauerhafte Schmerzen, sich vom Traumberuf verabschieden oder Schlimmeres - ein Autounfall kann schwerwiegende Folgen haben, nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere. Darüber klärt das P.A.R.T.Y.-Projekt auf. Wir waren dabei.

Fröhlich plappernd sind drei junge Frauen im Auto unterwegs. Musik läuft, sie lachen. Die Fahrerin tippt eine Nachricht in ihr Handy, als ihr Wagen plötzlich auf die Gegenfahrbahn gerät. Hupen. Grelle Schreie. Crash. Ihr Auto kracht frontal in ein anderes. Mit voller Wucht werden die Körper der drei nach vorne und dann nach hinten geschleudert. Scheiben zerbersten. Fahrzeugteile fliegen umher. Blut strömt über ihre Gesichter.

Es sind Szenen aus einem YouTube-Video, die aber viel zu oft traurige Realität werden. Deshalb gibt es das Präventionsprojekt P.A.R.T.Y.. Heute sind am Straubinger Klinikum Zehntklässler der Jakob-Sandtner-Realschule zu Gast. Beklommenes Schweigen herrscht unter den 21 Jungs, nachdem Dr. Markus Vogt den Film gezeigt hat.

"Alkohol und Ablenkung durch Handys sind die häufigsten Ursachen bei vermeidbaren Unfällen", erklärt der Unfallchirurg. Das stellt Polizist Frank Heindl anhand von praktischen Tests eindrucksvoll unter Beweis. Er hat Brillen im Gepäck, die einen Alkoholwert von 1,3 Promille simulieren und ein PC-Spiel, das eine Autofahrt nachstellt.

Dann beginnt der Rundgang. Erste Station: der Rettungswagen. "Wir stabilisieren Atmung und Kreislauf, bevor wir den Patienten in die Klinik fahren", erklärt Jürgen Köhl, BRK-Rettungsdienstleiter in Straubing. Von 1988 bis 2012 war er aktiv im Einsatz. "Ich kann mich an jedes tote Kind erinnern", sagt er und schluckt. Ein beklemmendes Gefühl überkommt die Gruppe, während alle auf die Trage in der Mitte des Fahrzeugs starren. "Als Sanitäter muss man lernen, damit umzugehen."

Zweite Station: der Schockraum. Hier landen vor allem Unfallopfer. Bis dahin können bereits 40 Minuten vergangen sein. Ein ganzes Team steht bereit. "Jeder Handgriff muss sitzen und jede Minute zählt", erklärt Dr. Vogt. "Denn eine Stunde nach dem Unfall sollte der Patient versorgt sein, danach wird die Gefahr immer größer, dass er stirbt." Einige Schüler wollen sich den Schlauch, den Patienten notfalls direkt in die Luftröhre eingeführt bekommen, lieber nicht anschauen und geben ihn gleich an den nächsten weiter.

"Dieser Patient würde ohne die Maschinen nicht mehr leben"

Nächste Station: die Intensivstation. Hierher kommen Schwerverletzte nach der OP. "Dieser Patient würde ohne die Maschinen nicht mehr leben", erklärt. Dr. Constantin Schmid. Betroffene Gesichter blicken auf den Mann, aus dessen Hals, Armen und Beinen Schläuche ragen. Zwei Schüler können den Anblick nicht ertragen und müssen raus.

"Stellt euch einmal vor, wie ihr euch fühlen würdet, wenn ihr euch nicht selbst waschen und nicht alleine auf die Toilette gehen könntet", sagt Lisa Fischer. Sie ist Krankenschwester auf der Station der Unfallchirurgie, der letzten Station des Rundgangs.

Lisa Fischer erzählt den Schülern von den Einschränkungen, mit denen ihre Patienten zu kämpfen haben. Manchmal vorübergehend, aber häufig auch dauerhaft, wenn sie für immer im Rollstuhl sitzen. Die junge Frau nimmt kein Blatt vor den Mund und zeigt den Jugendlichen auch Fotos von schweren Verletzungen, die für blasse Gesichter und betroffene Stille sorgen. "Schaltet euer Hirn ein im Straßenverkehr", gibt sie den Schülern mit auf dem Weg.

Nach der Pause sind die Bilder eines völlig zerbeulten Autos an die Wand projiziert. "Ich hatte nur einen Gedanken: Ich will nicht sterben", erzählt Cassandra Große. Die Bilder zeigen ihr Auto. Vor zweieinhalb Jahren ist die 23-Jährige von der Straße abgekommen und mit 100 Stundenkilometer gegen einen Baum gekracht. "Die Feuerwehr musste mich rausschneiden."

"Meine größte Angst war, nie wieder laufen zu können"

Beide Beine waren gebrochen, insgesamt 21 Mal. "Meine größte Angst war, nie wieder laufen zu können." Cassandra kann wieder laufen, aber mit Einschränkungen. Die Folgen des Unfalls spürt sie bis heute: "Mein Leben hat sich seither völlig verändert. Ich habe meinen Partner verloren und viele Freunde haben mich im Stich gelassen. Ich kann kaum mehr Sport treiben und habe immer noch Schmerzen", erzählt sie. Und sie betont: "Ich fahre jetzt viel vorsichtiger und vorausschauender als früher."

P.A.R.T.Y. - Was ist das?

Unter dem Motto "Don't risk your fun!" klären beim bundesweiten Projekt "P.A.R.T.Y" Ärzte, Klinikmitarbeiter und Polizisten Schüler über Unfallrisiken und -folgen auf. Die Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren sollen die Auswirkungen des eigenen Handelns abschätzen lernen. Im Krankenhaus durchlaufen sie die Stationen eines Schwerverletzten: vom Krankenwagen, über den Schockraum und der Intensivstation bis hin zur Krankenstation.

Online unter www.party4school.de gibt es weitere Informationen. Die nächsten P.A.R.T.Y.-Termine stehen noch nicht fest. Per E-Mail an gesundheitsregionplus@straubing.de und per Telefon unter 09421/94460174 sind Vormerkungen möglich.

Umfrage: "Manche Unfallopfer sind nicht mal selbst schuld. Schlimm."

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Einblicke in das Projekt P.A.R.T.Y.: Die Brillen simulieren einen Wert von 1,3 Promille - da ist das Ballzuwerfen selbst aus kurzer Entfernung schwierig.

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Einblicke in das Projekt P.A.R.T.Y.: Erste Station ist der Rettungswagen.

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Einblicke in das Projekt P.A.R.T.Y.: Im Schockraum zeigen zwei Ärzte einen Schlauch, der notfalls in die Luftröhre eingeführt werden muss, um die Atmung zu gewährleisten.

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Die Abkürzung P.A.R.T.Y. steht für Prävention von Alkohol und Risiko bedingten Traumen bei Jugendlichen.

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Halskrause, Korsett, Beinschiene und Krücken - Unfallpatienten haben oft einen schweren Weg bis zur Genesung.

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Cassandra Große blickt auf die Leinwand, auf der ihre schwerverletzten Beine zu sehen sind.

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Jakob Nagel, 16, aus Salching: "Es war interessant zu erfahren, wodurch Verkehrsunfälle entstehen und wie es den Betroffenen danach geht. Ich fand das Handy-Experiment, bei dem man Auto fahren, Blitze zählen und auf eine WhatsApp-Nachricht antworten musste, am heftigsten. Ich hätte nicht gedacht, dass man durch das Antworten so unkonzentriert wird und ich vier statt zwanzig Blitze gezählt habe."

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Johannes Haider, 16, aus Leiblfing: "Erschreckt haben mich die Fotos der Krankenschwester. Für sie sind schwere Verletzungen alltäglich. Manchmal sind die Unfallopfer nicht einmal selber schuld. Das finde ich noch schlimmer. Der Beruf eines Krankenpflegers wäre gar nichts für mich. Wenn dann würde ich lieber Arzt werden wollen, weil ich dann direkt im Moment helfen kann. Ich habe sehr großen Respekt vor allen, die im Krankenhaus arbeiten."

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Julian Altmann, 16, aus Aiterhofen: "Am heftigsten fand ich den verkabelten Patienten auf der Intensivstation. Es muss schlimm sein, keine Kontrolle über seinen Körper zu haben. Die Patienten können nichts tun, auch nicht auf die Toilette gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, im Krankenhaus zu arbeiten. Ich hätte zu viele Berührungsängste. Ich war überrascht, dass es manchmal 40 Minuten dauert, bis ein Verletzter im Schockraum ankommt."

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