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Chaotisch, aber liebevoll: Carina Ziegler erzählt von ihrer Studenten-WG


Carina lebt mit zwei Mitbewohnerinnen in einer WG in Regensburg.

Carina lebt mit zwei Mitbewohnerinnen in einer WG in Regensburg.

Von Carina Ziegler

Ist das WG-Leben ein Fluch? Carina Ziegler ist sich sicher: Nein! Die 22-Jährige lebt mit zwei Freundinnen in einer Wohnung in Regensburg. In ihrer Geschichte schreibt sie über typische Probleme in ihrer Wohngemeinschaft - inklusive Nutella, einem verstopften Waschbecken und ganz viel Getratsche.

17 Uhr: Ich bin seit neun Stunden an der Uni, es ist Prüfungszeit und ich habe in der kommenden Woche fünf Klausuren. Zwar lerne ich gerne in der Bibliothek, aber jetzt bin ich gestresst, genervt, müde und ich habe Hunger. Deswegen fahre ich heim und esse noch kurz etwas, bevor es an die Spätschicht geht. Das ist der Plan, den ich mir in der letzten Vorlesung, kurz bevor die Uni an diesem schrecklichen Donnerstag endet, zurechtlege. Ich wohne im Regensburger Osten in einer Wohngemeinschaft mit zwei Mädels, die ich sehr lieb habe.

Als ich die Haustüre unseres Hauses aufsperre, wird mir noch vor dem Benutzen der ersten Treppenstufe klar: Mein Plan wird nicht funktionieren. Unser Haus ist sehr hellhörig und ich traue mich mein heutiges Abendessen verwetten, dass das Getratsche und Gelächter aus der Wohnung im zweiten Stock, linke Seite kommt - unserer Wohnung! Oben angekommen noch die Wohnungstüre aufsperrend kommt mir schon ein grüßendes "Jaaaaaaamei, die Zieglerin kommt heim!" entgegen. Sofort fängt mein Hirn an auszurechnen, wie lange ich jetzt mit den Mädels essen und ratschen kann, bevor ich wieder lernen muss, um die Klausur trotzdem zu bestehen. Das Ergebnis: gar nicht.

Ich gehe also in die Küche, setze mich zu meinen Mitbewohnerinnen und schließe mich dem eben noch lächerlich klingenden Getratsche und Gelächter an. Wir beschließen, dass Klausuren gar nicht so wichtig sind. Dass wir sie auch einfach nochmal schreiben können, wenn wir sie nicht bestehen. Und: Auf Lernpausen darf nicht verzichtet werden. Beim Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass meine Lernpause bereits eineinhalb Stunden dauert. Vielleicht sollte ich mir zumindest mal was Essbares suchen.

Lecker, Pfannkuchen!

Während ich mir also Pfannkuchen backe, hebt sich meine Stimmung immer mehr im Gespräch mit meinen Mädels. Die fällt rapide wieder ab, als ich mich mit meinem süßen Abendessen wieder an den Esstisch setze, gerade zu essen beginnen will und dann merke, dass mich zwei riesige Augenpaare anstarren. Halt! Sie starren die Pfannkuchen an. "Wow… schaut das lecker aus!" "Schon", antworte ich kurz angebunden. Ich weiß, was jetzt kommt. "Wenn ich dir eine Banane von mir geben würde… Meinst du, dann könnte ich so einen Pfannkuchen probieren?" Ich habe selber so viele Bananen, dass ich damit eine Party veranstalten könnte, und mir ist ein Pfannkuchen eigentlich auch lieber, aber das bringt das WG-Leben mit sich: Geh' immer davon aus, dass die anderen etwas haben wollen. Verlass' dich nie darauf, dass noch genug Milch und Klopapier da sind und geh' lieber mal davon aus, dass dein übriges Essen von gestern auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Und sei nie geizig! Wehmütig gebe ich also einen Pfannkuchen an die zwei hungrigen Augenpaare ab, was zur Folge hat, dass ich nach dem Essen immer noch hungrig bin. "Jetzt gibt's Nutella", kündigt meine Mitbewohnerin an. Die zweite grinst verstohlen in sich hinein. Ich wollte eigentlich nach dem Essen wirklich in mein Zimmer gehen und weiterlernen. Aber Nutella?! Ich protestiere nicht. Stattdessen drehe ich mich zum Kühlschrank um und hole unser WG-Nutella-Glas mit 1,8 Litern Inhalt heraus. Jeder bekommt einen Löffel und das fröhliche Essen, das wir beinahe jeden Tag veranstalten, beginnt. "Ich wollt' aber doch heute echt noch lernen", beginne ich - bis oben vollgestopft mit Schokocreme - zu jammern. "Kannst du", werde ich sofort bestätigt. "Ich schau' mir jetzt dann eh Germany's next Topmodel an." "Und ich geh' ins Bett." Danke, das motiviert mich!

Mittlerweile bin ich nicht nur von dem Geratsche, sondern auch vom Nutella und von mir selber genervt. "So, ich geh' aber jetzt!", sage ich energisch, lasse die anderen vor dem offenen Nutella-Glas sitzen und beende meine dreistündige Lernpause. Richtig konzentrieren kann ich mich aber nicht, weil ich das Gerede über die Freundin einer Freundin einer Bekannten, die vor drei Jahren beim Bachelor mitgemacht hat, im Nebenzimmer irgendwie interessanter finde als die Geschichte vom Nibelungenlied. Da hilft nur eins: Ohren zu und durch!

"Haben wir eine Spinne?"

Als ich endlich wieder bei der Sache bin und mich irgendwann gedankenverloren umdrehe, falle ich vor Schreck fast vom Stuhl und reiße mir die Ohropax aus den Ohren: Natürlich habe ich nicht gehört, wie meine Mitbewohnerin in mein Zimmer gekommen ist! Weil wir beide vor Schreck schreien, kommt die dritte angerannt: "Was ist passiert?! Haben wir eine Spinne? Einen Wasserschaden? Schimmel?" "Ich wollte eigentlich nur wissen, was ihr meint: Kann ich die Schuhe morgen an die Uni anziehen oder sind sie too much?", verteidigt sich die Schockverursacherin ohne schlechtes Gewissen. Schon mal dran gedacht, dass ich lernen muss und dass es auch in einer WG Privatsphäre gibt? Schonmal dran gedacht, dass du auch lernen solltest? Oder dass es mir ziemlich egal ist, ob du die Schuhe morgen an die Uni anziehst oder nicht?!

Der Ratsch geht weiter

Für einen kurzen Moment wünsche ich mich in meine einsame Ein-Zimmer-Wohnung zurück, in der ich die ersten drei Semester meines Studiums verbracht habe. Mein Ärger verfliegt, als sich die beiden auf meinem Bett ausbreiten und der Ratsch von vorne beginnt. Meine Motivation zu lernen nimmt er auch gleich mit. Nachdem wir das Schuhproblem endlich ausdiskutiert haben, ist es 23 Uhr. Wohl besser, gleich ins Bett zu gehen, statt sich nochmal eine Stunde zu quälen… Oder sie womöglich auch noch zu verratschen.

Als ich noch kurz meine Kaffeetasse abspülen will, stelle ich fest, dass das Waschbecken in der Küche nicht nur dreckig, sondern wieder mal verstopft ist. Putzplan lässt grüßen! Außerdem ist es ja nicht so, dass wir die Küche schon mal komplett unter Wasser stehen hatten, sodass es bei der Mieterin unter uns von der Decke getropft hat.

Verstopfung im Waschbecken

Nachdem ich das Waschbecken geputzt, die Verstopfung gelöst, den Schlafanzug angezogen, im Bad die Zähne geputzt und dabei das alte Paar Socken, das da rumliegt, ignoriert, mich zum hundertsten Mal für heute an dem Wäscheständer, der mitten im Weg herumsteht, vorbeigequetscht und noch zwei dumpfe "Gute Nacht"-Rufe geerntet habe, liege ich endlich im Bett. Es ist spät, mir ist immer noch schlecht vom Nutella und zum Lernen bin ich auch nicht mehr gekommen.

An den tropfenden Wasserhahn, die Schuhe, über die ich stolpere, das Klo, das man nicht absperren kann, das potthässliche orangefarbene Sonnenuntergangs-Poster, das im babyblauen Bad hängt, die Glühbirne in der Küche, die schon seit unserem Einzug ausgebrannt ist, unseren knarzenden und schiefen Fußboden und unsere Nachbarin, die immer etwas zu meckern hat, habe ich mich schon so gewöhnt, dass sie gar nicht erwähnenswert sind. Aber mir geht es gut.

Ich habe zwei Mitbewohnerinnen, mit denen ich mich super verstehe und die für eine WG-Party völlig ausreichend wären. Für die nächste Prüfungszeit ist wohl eher Lernen an der Uni angesagt. Den Rest vom Semester verbringe ich aber am liebsten in meiner kleinen, chaotischen, lauten, gefräßigen und vor allem liebevollen und herzlichen WG.

Carina Ziegler (links) unternimmt viel mit ihren Mitbewohnerinnen. Ein Besuch der Regensburger Dult gehört da auf jeden Fall dazu.

Carina Ziegler (links) unternimmt viel mit ihren Mitbewohnerinnen. Ein Besuch der Regensburger Dult gehört da auf jeden Fall dazu.