„Ein großes Geschenk“
Zwischen Leben und Loslassen bleibt die Musik

Fiona Vogt
Judith Schwartz präsentiert ihre Instrumente. Durch ihre Arbeit auf Palliativstationen hat sie einen anderen Blick auf das Leben und den Tod bekommen.
Sanfte Töne erklingen. Sie erfüllen den Raum, in den Judith Schwartz sich zurückgezogen hat, um Monochord und Glockenspiel zu spielen. Sie weiß, gerade jetzt wird seine Asche in einem Fluss in der Schweiz verstreut. Sie spielt, was er sich von ihr gewünscht hat. Er war Patient und Buddhist. Mit einem Lächeln erinnert sich Judith Schwartz daran, wie skeptisch er zunächst war und dann doch die Musiktherapie angenommen hatte. Bevor er starb, wünschte er sich für den Zeitpunkt der Beerdigung, dass sie für ihn spielte. Die letzten Töne verklingen. Judith Schwartz, Musiktherapeutin in der Palliativstation in Straubing, steht auf und kehrt zurück in den Alltag.
Anderer Ort, anderer Tag. Gaby Flossmann lässt ihre Klangschale erklingen. In der Teamkonferenz der Palliativstation des Klinikums in Passau werden die Namen der Verstorbenen vorgelesen. Im Gedenken wirken die tiefen Töne warm und durchdringend und geben Kraft für den kommenden Tag. Gaby Flossmann, ebenfalls Musiktherapeutin, empfindet dieses Ritual vor der Arbeit als durchaus wohltuend.
Der Weg zur Palliativstation
Die gebürtige Passauerin Gaby Flossmann fand ihren Platz auf der Palliativstation über Umwege. 1977 geboren, wuchs sie schon musikbegeistert auf. Jedoch war sie zunächst in der Laborforschung tätig, um „etwas gescheites“ zu lernen damit sie so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen konnte. Nach einer Umorientierung zur Heilerziehungspflegerin fand sie zur Musik zurück. Trotz finanzieller Schwierigkeiten bildete sich Gaby Flossmann immer weiter und absolvierte die Ausbildung zur Musiktherapeutin. Eine Ärztin bot ihr schließlich den Job auf der Passauer Palliativstation an, wo sie bis heute mit Begeisterung arbeitet – neben ihrer Arbeit in der Neurologie, Psychiatrie, im Musikunterricht und vieles weitere. Zusammen mit ihrem Mann, der auch in der Musikbranche tätig ist, hat sie ein Arbeitszimmer bei sich zu Hause eingerichtet, das genug Platz für Instrumente, Noten und Proben bietet.
Der Straubingerin Judith Schwartz hingegen war klar, dass sie in einem kommunikativen und sozialen Beruf arbeiten und diesen mit ihrer Liebe zur Musik verbinden möchte. Nach ihrem Studium in Heidelberg netzwerkte sie viel und arbeitet nun in unterschiedlichen Bereichen, unter anderem im Bezirksklinikum Mainkofen und auf der Palliativstation des Klinikums Straubing. Zu ihren unterschiedlichen musikalischen Aktivitäten gehören auch Ehrenamtskonzerte für Patienten mit ihrer Band.
Die Arbeit, die Musik und eine langjährige Freundschaft verbindet die beiden Frauen. Die Musiktherapie lebt von Emotionen und Sensibilität. Gaby Flossmann stellt fest: „Das ist ein großes Geschenk.“
„Die größten Lehrmeister“
„Für mich sind die Menschen in der Palliativstation die größten Lehrmeister.“ Gaby Flossmann erklärt, dass es auf der Palliativstation nicht mehr um Äußerlichkeiten ginge. Es ginge nicht mehr um Besitz, Selbstbeweis und Selbstdarstellung. Laut ihr wird alles auf das Wesentliche reduziert – im Gegensatz zu unserem alltäglichen Leben in unserer Gesellschaft. Viele leben mit ihrer unheilbaren Erkrankung weiter und verlassen, gestärkt durch verschiedene Therapien, die Palliativstation. Andere sterben, jedoch haben alle etwas gemeinsam.
„Die Menschen sind unmaskiert.“ Begeistert erzählt Gaby Flossmann, wie diese Menschen ihre Spuren bei ihr hinterlassen und sich ihre Lebenseinstellung durch die Arbeit mit ihnen verändert. Sie sei einerseits viel dankbarer für alles, was sie habe, und andererseits gehe sie keine Kompromisse mehr ein, die ihrem Wertesystem widersprechen.
Keine Angst
Durch dauerhafte Konfrontation mit dem Tod ändert sich auch hierzu die Einstellung. Judith Schwartz erklärt, warum sie keine Angst vor dieser Konfrontation hat. Sie setzte sich in ihrem eigenen Leben konkret mit jenen Ängsten und Emotionen auseinander. Nach ihrer Erfahrung fürchtet man sich bewusst oder unbewusst mehr, wenn man das Thema Tod vermeidet. „Es gehört dazu, die Geburt wie das Abschiednehmen.“ Keinem bliebe der Tod erspart. In einem therapeutischen Beruf ist es wichtig, eine angemessene Distanz zu wahren, um nicht selbst psychisch zu leiden. Gleichermaßen erfordert der Beruf, dass man auf die Emotionen eingeht und so auch positive Impulse setzen kann.
Hier setzt eine Technik der Psychotherapie an: die Technik der Gegenübertragung. Das bedeutet, sich so in die Person gegenüber hineinzuversetzen, dass man Gefühle und Emotionen empfinden kann, die nicht einem selbst gehören. Judith Schwartz gibt den unterdrückten oder verdrängten Emotionen Raum und drückt diese musikalisch aus. Durch tragende Klänge oder markante Rhythmen wird auch eine Atmosphäre geschaffen, in der sich die Patienten wohlfühlen und auch ihre Emotionen ausdrücken können. Das ist möglicherweise ein erster Schritt zur Verarbeitung dieser. Heilsame Prozesse können angestoßen werden, wenn verdrängte Gefühle wieder ins Bewusstsein gerufen werden.
Beide Frauen nehmen die Auseinandersetzung mit dem Tod in unserer fortschrittlichen Welt immer noch als Tabu-Thema wahr. Gaby Flossmann dazu: „Verlust oder Trauer hat oft keinen Raum. Da kann die Musik ein Trost sein.“
Info:
Auf einer Palliativstation geht es darum, bei Menschen, die eine unheilbare oder fortschreitende Erkrankung haben, die Lebensqualität so weit wie möglich zu erhalten und zu verbessern. Oft kommen auch Patienten frühzeitig nach ihrer Diagnosestellung auf die Station und verlassen diese wieder. Beispielsweise werden Medikamente neu eingestellt oder verschiedene Therapieansätze angeboten. Einer davon ist die Musiktherapie.
Bei der aktiven Musiktherapie musizieren Therapeuten und Patienten zusammen, dabei können diese mit Klängen und Instrumenten ihre Gefühle ausdrücken. Angst, Trauer, Wut, Hilflosigkeit, aber auch Dankbarkeit und Akzeptanz kommen oft zum Vorschein. In einer freien Improvisation gehen Therapeut und Patient in einen Dialog, auch auf musikalischer Ebene.
Bei der rezeptiven Musiktherapie hört der Patient dem Therapeuten beim Musizieren zu. Er kann entspannen und sich auf seine Gefühle und Emotionen konzentrieren, dabei können Schmerzen und Ängste gelindert werden. Ebenso gibt es die Möglichkeit, Lieder mit persönlichem Bezug oder Angehörige mit in die Musiktherapie einzubinden.









