Um Hilfe beim Helfen bitten

Nach dem Fall Tugce: Wie mischt man sich ein?


Wer Angst hat, sich einzumischen, wenn jemand geschlagen oder bedroht wird, sollte sich mit anderen verbünden, rät die Polizei. Gemeinsames Auftreten mache viel mehr Eindruck auf den Täter. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Wer Angst hat, sich einzumischen, wenn jemand geschlagen oder bedroht wird, sollte sich mit anderen verbünden, rät die Polizei. Gemeinsames Auftreten mache viel mehr Eindruck auf den Täter. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Der Fall Tugce hat in den vergangenen Wochen für große Betroffenheit gesorgt. Dabei haben sich vielleicht viele gefragt: Was hätte ich in der Situation von Tugce getan? Hätte ich auch eingegriffen? Polizeihauptmeister Johannes Schimpfhauser von der Polizeiinspektion Landshut weiß, wie man sich am besten einmischt, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Er gibt Workshops zum Thema Zivilcourage und erklärt wichtige Verhaltensregeln.

Auch wenn noch nicht alle Details des Falles geklärt sind, eines scheint im Moment jedoch klar zu sein: Tugce wollte helfen und hat diesen Einsatz mit ihrem Leben bezahlt. Wie aber soll ich mich selbst verhalten, wenn ich in der Disko eine Schlägerei beobachte? Was mache ich, wenn ich Angst habe, mich einzumischen? Werde ich wegen unterlassener Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen, wenn ich nicht eingreife?

Das sind alles keine leichten Fragen und die Tipps der Polizei zeigen, dass es tatsächlich ein schmaler Grat ist. Eines jedoch schickt Polizeihauptmeister Johannes Schimpfhauser voraus: "Sobald ich selbst ein ungutes Gefühl im Bauch habe, sollte ich nicht eingreifen und stattdessen lieber die Polizei rufen." Zusammen mit seinem Kollegen Fritz Schweibold bietet er Zivilcourage-Workshops in Schulen, bei Vereinen, in Betrieben, bei Behörden und auf Anfrage an. Nicht eingreifen und stattdessen die Polizei rufen sollten Augenzeugen vor allem dann, wenn jemand eine Waffe hat oder wenn gleich mehrere, gar betrunkene Angreifer am Werk sind. "Dann sofort die 110 wählen." Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig. In diesem Fall könne man nicht wegen Missbrauchs der Notrufnummer belangt werden, beruhigt Schimpfhauser.

Bis die Polizei jedoch kommt, ist es für das Opfer möglicherweise zu spät, mag man nun denken. Und tatsächlich ist ein schnelles Eingriffen oft nötig - aber nur, wenn man sich nicht selbst gefährdet, betont Schimpfhauser. Dabei ist die oberste Regel: Niemals alleine agieren!

Das Ansprechen anderer Passanten oder Diskobesucher könne zunächst helfen, die Situation einzuschätzen. "Sie, mit dem schwarzen T-Shirt, helfen Sie mir bitte", sei etwa eine unmissverständliche Ansprache, die wesentlich konkreter sei, als nur "Hilfe" zu rufen. Dann könne hinterher auch niemand behaupten, er habe nichts gesehen. Jemanden mit "Sie" anzusprechen, schaffe außerdem Distanz und erhöhe die Aufmerksamkeit bei den Umherstehenden. "Den Täter sollte man niemals duzen", rät Schimpfhauser außerdem.

Wenn Passanten sich dann nicht angesprochen fühlen, machen sie sich der unterlassenen Hilfeleistung strafbar - abgesehen davon, dass ein Nicht-Einschreiten auch ethisch verwerflich sei, so Schimpfhauser.

Als Gruppe auftreten

Macht man auf diese Weise die Umherstehenden auf eine gefährliche Situation aufmerksam, merken sowohl Opfer als auch Täter, dass sie nicht alleine sind. Wer außerdem als Gruppe an einen Täter herantritt, macht laut Schimpfhauser gleich einen anderen Eindruck. "Es schüchtert denjenigen viel stärker ein, wenn er von mehreren angesprochen wird, als nur von einem Einzelnen."

Wer Angst hat und sich nicht traut, jemandem anderen zu helfen, dem rät Schimpfhauser: "Den DJ in der Disko oder den Betreiber ansprechen, die Security holen oder in Restaurants den Wirt. Diese Menschen haben das Hausrecht und können jemanden hinauswerfen." Kindern und Jugendlichen weist er besonders darauf hin, sich immer an Erwachsene zu wenden, die sie sozusagen zur Hilfe beim Helfen auffordern sollen. Sind keine zur Stelle, muss das aber nicht bedeuten, dass Kinder und Jugendliche nichts tun können. Sie sollten andere Kinder und Jugendliche ansprechen, die mithelfen können oder mit denen sie sich beraten können.

Eine weitere Grundsatzregel, die Schimpfhauser seinen Schulungsteilnehmern mit auf den Weg gibt, lautet: "Immer auf das Opfer fokussieren, es aus einer Situation herausziehen, nicht den Täter bekämpfen." Wer sich auf den Täter stürzt, hilft dem Opfer nicht. Besser solle man das Opfer an der Hand nehmen und sich mit ihm entfernen. "Das hilft am meisten."