AZ-Interview

Manfred Weber: Darum hat Ursula von der Leyen meine Unterstützung


Tief enttäuscht: Manfred Weber, der gerne Kommissionspräsident geworden wäre.

Tief enttäuscht: Manfred Weber, der gerne Kommissionspräsident geworden wäre.

Von Bernhard Lackner

Manfred Weber (CSU) über den Personalpoker um die Brüsseler Top-Posten - und warum er selbst Ursula von der Leyen trotzdem unterstützt.

Brüssel - Er wollte ganz hoch hinaus. Doch der Posten des EU-Kommissionspräsidenten bleibt Manfred Weber (CSU) verwehrt. Als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), der christdemokratischen Parteienfamilie, war er bei der Europawahl ins Rennen gegangen. Doch nun soll Ursula von der Leyen (CDU) das Spitzenamt übernehmen.

AZ: Herr Weber, wie fühlen Sie sich nach diesen aufwühlenden Wochen?
MANFRED WEBER: Als Betroffener ist man natürlich enttäuscht, dass es nicht gelungen ist, das zu erreichen, was man angestrebt hat. Trotzdem weiß man als Politiker, dass man nicht immer gewinnen kann. Ich gehe mit sehr viel neuen Erfahrungen und wunderbaren Eindrücken aus dem Wahlkampf in meine alte Aufgabe zurück und möchte diese auch gut gestalten.

Wie geht es Ihnen damit, dass Ursula von der Leyen nun für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten für geeigneter gehalten wird als Sie, obwohl Sie im Wahlkampf gar keine Rolle gespielt hat?
Ich schätze Ursula von der Leyen als Person und Politikerin, sie ist überzeugte Europäerin und wird die Aufgabe gut erledigen - sie hat meine Unterstützung. Aber das Verfahren, das zu dieser Entscheidung geführt hat, ist nicht mein Verfahren. Ich stehe für ein transparentes Europa, in dem man vor der Wahl Gesicht zeigt und klar sagt, wofür man steht. Dieses Europa hat einen Rückschlag erhalten. Darum sage ich, dieses Personalpaket ist nicht mein Paket. Aber ich bin auch loyal zu meiner Partei und bin bereit, in dieser schwierigen Situation Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Es geht jetzt darum, bürgerliche Politik in Europa umzusetzen.

Womöglich bald EU-Kommissionspräsidentin: Ursula von der Leyen

Womöglich bald EU-Kommissionspräsidentin: Ursula von der Leyen

Weber kontert Macron: "Die Methode von Populisten"

Ist es nicht blanke Ironie, dass ausgerechnet Emmanuel Macron, der selber noch ein ziemlicher Frischling in der politischen Arena ist, sich wegen Ihrer angeblich mangelnden Erfahrung in Spitzenämtern gegen Sie gestellt hat?
Ich will nicht konkret auf Präsident Macron eingehen. Er hat seine Ansicht, ich habe meine. Aber die Grundüberlegung, dass man jemandem, der demokratisch durchaus legitimiert ist und aus einer Partei aus der Mitte des demokratischen Spektrums kommt, die Eignung abspricht und ihn diskreditiert, ist eigentlich die Methode von Populisten. Die Lehre daraus ist: Wir müssen wieder sorgsamer miteinander umgehen und die Institutionen verteidigen, damit wir die demokratischen Strukturen stabil halten.

Ist das Spitzenkandidatenmodell damit gestorben?
Es darf nicht gestorben sein. Es muss jetzt aus diesem Schock heraus in den kommenden fünf Jahren auf eine feste Basis gestellt und verbindlich gemacht werden. Es gibt keine Alternative zu mehr Demokratie und Transparenz in Europa. Die Brücke zwischen der institutionellen Ebene und den Bürgern muss geschlagen werden. Das funktioniert nur über ein frei gewähltes Parlament. Ich bin jetzt der Leidtragende. Aber genau aus meiner Rolle heraus möchte ich als Parlamentarier dafür sorgen, dass das demokratische Konzept bei der nächsten Wahl rechtsverbindlich umgesetzt wird.

Sie haben sich immer als Kandidat des Parlaments dargestellt. Dabei war absehbar, dass es dort, ebenso wie in der Runde der Staats- und Regierungschefs, eng werden könnte, was die Mehrheiten für Sie angeht. Hätten Sie das Ganze nicht völlig anders angehen und mehr um Mehrheiten und Ihre Person werben müssen?
Als Partei waren wir ja überzeugt. Die Tatsache, dass Sozialdemokraten und Liberale im Europaparlament nicht den Führungsanspruch der stärksten Partei, nämlich der EVP, akzeptiert haben, hat das Parlament geschwächt. Diese eigentliche Selbstverständlichkeit im demokratischen Miteinander hat nicht gegolten. Das habe ich nicht überwinden können. Das müssen sich aber Sozialdemokraten und Liberale vorhalten lassen, dass sie dieses Momentum der Europawahl nicht genutzt haben. Das hat dem Europäischen Parlament und der Demokratisierung geschadet.

Die anderen sind also schuld. Wo ist Ihre Verantwortung?
Man überlegt da selbst natürlich viel, was man anders hätte machen müssen. Letztlich muss ich akzeptieren, dass die Widerstände gegen das Spitzenkandidatenmodell und mich zu groß waren.

Weber: Macron und Orbán "eine seltsame Allianz"

Ist die EU in ihrer jetzigen Form ein Auslaufmodell? Die Interessen der Mitgliedsstaaten scheinen immer weiter auseinanderzudriften.
Bei der Frage, ob wir ein demokratischeres Europa wollen, oder nicht, ist Europa ohne Zweifel in der Krise. Da gibt es jene, die nur die nationalen Regierungen als Entscheidungsinstanz wollen. Dieses Europa ist das der Uneinigkeit, das nur schwer zu Ergebnissen kommt und kaum handlungsfähig ist. Und es gibt jene, für die ich stehe, die ein Europa aus dem Parlament heraus wollen mit einer starken Kommission und starken Nationalstaaten. Da gibt es große Unsicherheit. Aber die Entscheidung für Ursula von der Leyen war ein fast einstimmiger Beschluss der Staats- und Regierungschefs. Es gibt also auch die Kraft zum Konsens, auch wenn es ein schwieriger und undurchsichtiger Prozess war. Aber die Richtung, die Europa geht, ist strittig.

Nach Lesart der CSU sind Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und der französische Staatschef Macron die Schuldigen, die Sie verhindert und das Spitzenkandidatenmodell beiseite gewischt haben. Warum ist es den beiden gelungen, Mehrheiten für ihre Interessen zu finden, Ihrer Seite aber nicht?
Destruktives Verhalten ist in der Politik immer einfacher als konstruktives. Aufbauen ist schwerer als abbauen. Das war in der Tat eine sehr seltsame Allianz.

Nimmt man die CSU in Europa eventuell doch nur als kleine Regionalpartei wahr und nicht als den europäischen Player, als den sie sich selbst ja gerne sieht?
Die CSU hat bewiesen, dass sie auch auf Champions-League-Ebene europäische Politik mitgestaltet.

Wird das Parlament Ursula von der Leyen morgen zur Kommissionschefin wählen?
Europa muss jetzt handlungsfähig werden. Deswegen steht meine Fraktion geschlossen zu Ursula von der Leyen. Sie ist eine respektable Kandidatin. Dafür werbe ich auch bei anderen Fraktionen, um Stabilität zu erreichen. Ich tue das aus Loyalität zu meiner Partei heraus. Gut ist auch, dass es mit ihr erstmals eine Frau an der Spitze der Kommission gibt.

Was passiert, wenn von der Leyen nicht gewählt wird?
Ich spekuliere nicht über einen Plan B. Sie wird gewählt werden.

Viele Wähler stören sich am nun gewählten Verfahren und sind von den Hinterzimmerabsprachen enttäuscht. Für wie groß halten Sie den Schaden bei den Wählern, die angesichts der Wahlbeteiligung ihr Interesse für Europa gerade wiederentdeckt haben?
Wir hatten dieses Mal eine hohe Wahlbeteiligung. Die Menschen wollen über die Zukunft Europas entscheiden, das ist die ganz eindeutige Botschaft. Daher ist das Wahlergebnis Motivation für mich. Ich werde an meiner Positionen nichts ändern. Bei den Inhalten, für die ich geworben habe, bleibe ich hart. Darüber will ich in fünf Jahren auch Bilanz geben. Zum Beispiel: Bei der Türkei will ich eine neue Politik. Wir müssen das Verhältnis klären. Wir brauchen den Plan gegen Krebs auf europäischer Ebene. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu neuen Schulden- und Umverteilungsplänen in der EU kommt, wie eine gemeinsame Sozialversicherung.

Weber: Wechsel nach Berlin? "Mein Platz ist in Europa"

Wie könnte die EU bis zur nächsten Wahl demokratischer gemacht werden?
Da könnte man das europäische Wahlrecht ändern oder die Verträge. Darüber wird man sich nun Gedanken machen müssen. Entscheidend ist: Künftig muss jemand, der Kommissionschef werden will, vor der Wahl Gesicht gezeigt haben. Auch bei transnationalen Listen gilt: Meine Partei ist da sehr skeptisch, aber offen für Debatten.

Können Sie sich vorstellen, in fünf Jahren noch einmal anzutreten?
Ich habe sehr intensive Wochen und Monate hinter mir. Gerade diese Wochen haben mir gezeigt, dass längerfristige Planungen in der Politik keinen Sinn ergeben. Das Einzige was sinnvoll ist, ist es, für etwas zu stehen, dafür zu kämpfen und möglichst auch umzusetzen.

Was ist von den Gerüchten zu halten, Sie könnten nach Berlin wechseln?
Mein Platz ist in Europa.

Sie werden dann also voraussichtlich in zweieinhalb Jahren die Präsidentschaft des Europaparlaments übernehmen?
Die Frage, wer in zweieinhalb Jahren für die EVP für dieses Amt kandidiert, wird in zweieinhalb Jahren entschieden, nicht jetzt. Deswegen kann man darüber heute nicht spekulieren.

Haben Sie in den vergangenen Tagen mal daran gedacht, einfach alles hinzuwerfen?
Nein, aber es waren sehr intensive Tage für jemanden, der mitten im Sturm steht. Da geht einem viel durch den Kopf. Aber ich weiß auch, dass Politik hart sein kann. Entscheidend für mich ist immer, dass ich viel Unterstützung spüren darf und mir die Menschen und Inhalte wichtig sind und ich etwas erreichen will. Diesen Weg werde ich weitergehen. Ich habe eine Niederlage einstecken müssen. Aber bin immer noch jung genug, um für mich Zukunft zu sehen. Deswegen geht's natürlich weiter, das bin ich auch meinen Wählerinnen und Wählern schuldig.

Könnte Manfred Weber auch ohne Politik glücklich sein?
Manfred Weber kann gut ohne Politik. Man muss sich immer bewusst machen, dass es in der Öffentlichkeit immer nur um die Rolle geht, die man ausfüllt. An die Person darf man das alles nicht ran lassen.

Wie sehen bei Ihnen persönlich die kommenden Tage aus?
Es geht jetzt darum, im Parlament Stabilität zu organisieren, damit Europa endlich wieder inhaltlich arbeiten kann. Und dann freue ich mich auf etwas Urlaub im Sommer. Da möchte ich dann mal abschalten, aber auch reflektieren, wie man mit der Erfahrung der vergangenen Wochen umgeht.

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