Unabhängige Experten
Kontrollrat fordert mehr Praxis-Checks für bessere Gesetze

Kay Nietfeld/dpa
Der NKR stellt seinen Jahresbericht zusammen mit Digitalisierungsminister Karsten Wildberger (CDU) und dem Parlamentarischen Staatssekretär seines Ministeriums, Philipp Amthor (CDU), vor.
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat die Bundesregierung für ihre großen Ambitionen beim Bürokratieabbau gelobt. Gleichzeitig fordert der Rat die Koalition in seinem aktuellen Jahresbericht auf, Gesetzgebungsverfahren in Zukunft radikal anders anzugehen als bisher. Nur so komme man zu Gesetzen mit geringem bürokratischem Aufwand, die gut umzusetzen seien, schreibt der NKR-Vorsitzende, Lutz Goebel, im Vorwort des Berichts des unabhängigen Gremiums.
Künftig sollte es aus Sicht des NKR-Vorsitzenden bereits in der „Frühphase“ grundsätzlich einen Praxis-Check mit Experten aus der Verwaltung, von Unternehmen und Betroffenen geben. „Vielleicht merkt man dabei auch, dass gar kein Gesetz nötig ist.“
Als ein Beispiel für eine Entlastung der Verwaltung und die Beschleunigung von Prozessen, die sein Ministerium vorantreibe, nennt Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Genehmigung von Infrastrukturprojekten. Am Ende soll aber, wenn es um die Genehmigung etwa von großen Verkehrsprojekten geht, immer noch ein Mensch entscheiden.
Der Expertenrat beklagt in seinem Bericht, der den Zeitraum Juli 2024 bis Juni 2025 umfasst, dass die Überprüfung gesetzlicher Regelungen im Dialog mit Menschen, die diese später anwenden sollen, bisher überwiegend erst nach Inkrafttreten eines Gesetzes stattfinde - wenn überhaupt.
Gutachter, Berater und Anwälte profitieren zwar, wenn gesetzliche Regelungen so überkomplex sind, dass sie von Hausbesitzern, Unternehmen und sogar teilweise von öffentlichen Auftraggebern nicht mehr durchblickt werden können. Doch selbst sie halten Vereinfachung an manchen Stellen für notwendig.
„In vielen Bereichen gibt es Doppelprüfungen“ - etwa wenn die gleichen Prüfungen zur Umweltverträglichkeit erst für den Bebauungsplan und dann noch einmal für die Baugenehmigung verlangt würden, klagt der Vorsitzende des Ausschusses Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein, Thomas Lüttgau.
Das Vergaberecht, das die Vorschriften bei der Vergabe öffentlicher Aufträge regelt, sei inzwischen so kompliziert, dass selbst für die Formulierung der Ausschreibung schon anwaltlicher Rat eingeholt werden müsse, sagt der Kölner Fachanwalt für Verwaltungsrecht.
Gesetze, die klar, verständlich und ohne innere Widersprüche sind, könnten aus seiner Sicht zwar helfen. Ohne einen Mentalitätswandel bei den Beamten vor Ort, die oftmals vor weitreichenden Entscheidungen zurückschreckten, werde man aber keine Trendwende erreichen, sagt Lüttgau.
Der schwarz-roten Koalition bescheinigt der Normenkontrollrat zwar große Ambitionen beim Abbau von Bürokratie. Abgesehen vom sogenannten Bauturbo, der Verwaltung, Bürger und die Wirtschaft jährlich um 2,5 Milliarden Euro entlasten soll, ist aber aus Sicht des NKR jenseits von Ankündigungen bisher nicht viel passiert.
„Schon der Aufbau des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung und die Schwierigkeiten beim Abgeben von Ressourcen und Zuständigkeiten an das neue Ministerium zeigen, wie sehr die individuellen Sichtweisen und Eigeninteressen der Bundesministerien noch dominieren“, heißt es in dem Bericht.
Um zu illustrieren, was gemeint ist, findet sich in dem Jahresbericht eine Karikatur, die zeigt, wie vier Gärtnerinnen und Gärtner jeweils hinter einem Zaun mit einer eigenen Bewässerungsanlage Blumen züchten.
Der Nationale Normenkontrollrat ist ein unabhängiges, ehrenamtliches Beratergremium. Seine zehn Mitglieder haben die Aufgabe, sich für weniger Bürokratie, bessere Gesetze und eine digitale Verwaltung einzusetzen.
In den ersten Jahren nach seiner Gründung 2006 war der Rat organisatorisch im Bundeskanzleramt angesiedelt. Unter der Ampel-Regierung zog er um ins Justizministerium. In ihrem Koalitionsvertrag legten Union und SPD zwar fest, das Gremium solle ins Kanzleramt zurückkehren. Am Ende landete es aber dann im neuen Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
In seinem aktuellen Jahresbericht spricht sich das Gremium perspektivisch für die Einführung einer „Deutschland-App“ für alle Verwaltungsleistungen aus. Für Aufgaben der Länder könne die Bereitstellung von Leistungen über diese App freiwillig bleiben, für Aufgaben des Bundes sollte sie verpflichtend sein.
Im Berichtszeitraum ging der jährliche Erfüllungsaufwand laut NKR um fast 3,2 Milliarden Euro zurück im Vergleich zu den vorangegangenen zwölf Monaten. Die Wirtschaft sei um eine Milliarde Euro entlastet worden, die Verwaltung um 1,7 Milliarden Euro und die Bürger um 500 Millionen Euro. Gleichwohl verharrten die gesetzlichen Folgekosten auf hohem Niveau.
Die stellvertretende NKR-Vorsitzende Sabine Kuhlmann betont, gute Gesetzgebung benötige Zeit - etwa, um Vorhaben vor der Beratung im Kabinett auf ihre „Vollzugstauglichkeit“ hin zu prüfen.
Das Kanzleramt müsse hier ein „Bollwerk gegen die Hektik“ in der Gesetzgebung sein. In der neuen Legislaturperiode habe der Rat bei einem Viertel der Gesetzesvorhaben weniger als fünf Tage Zeit gehabt, um den jeweiligen Entwurf zu prüfen.