Wolfsburg

Trotz Abgas-Skandal: VW-Betriebsrat erkämpft Prämie


Trotz der milliardenschweren Belastung durch die Abgas-Affäre dürfen sich die VW-Mitarbeiter über einen Bonus freuen.

Trotz der milliardenschweren Belastung durch die Abgas-Affäre dürfen sich die VW-Mitarbeiter über einen Bonus freuen.

Zehn Prozent von null ist null? Nicht bei Volkswagen. Der Autobauer hat seine eigene Mathematik. Und die beschert den Mitarbeitern trotz Abgas-Skandals eine Sonderzahlung - obwohl gar kein Anspruch besteht. Die Erfolgsmeldung verrät auch Etliches zur Lage hinter den Kulissen.

Der Jubel ist Bernd Osterloh schon sicher - und das ist in diesen Zeiten keine leichte Aufgabe. Am nächsten Dienstag wird der VW-Konzernbetriebsratschef vor Tausenden Mitarbeitern in Wolfsburg bei einer Betriebsversammlung sprechen. Und pünktlich dazu kann er einen Erfolg präsentieren, der alles andere als sicher war: Die 120 000 Mitarbeiter im VW-Haustarif erhalten für das vergangene Jahr einen Bonus, obwohl sie darauf wegen der tiefroten Zahlen bei der Kernmarke VW-Pkw gar keinen Anspruch haben. Doch Osterloh und Konzernchef Matthias Müller haben trotzdem etwas möglich gemacht.

Beide gaben die Einigung am Donnerstag in der Betriebsratszeitschrift "Mitbestimmen" bekannt - ein Paukenschlag in der VW-Welt. Zwar sei die Höhe der "Anerkennungsprämie" noch Verhandlungssache. Aber ihre Auszahlung Ende Mai sei angesichts der starken Leistung 2015 und des großen Zusammenhalts trotz der Abgas-Krise schon beschlossene Sache.

Die seit Jahren in üppiger Höhe geflossene VW-Prämie ist so etwas wie ein Konjunkturprogramm für Niedersachsen. Der VW-Haustarif gilt für die sechs westdeutschen VW-Werke Emden, Salzgitter, Braunschweig, Hannover, Wolfsburg und Kassel sowie die Finanztochter. Mit Ausnahme der Fabrik in Nordhessen fließt der Belegschaftsbonus praktisch nach Niedersachsen - zuletzt fast 700 Millionen Euro, eine Riesensumme.

Für 2011 gab es pro Kopf den Bonus-Rekord von 7500 Euro, ein Jahr später 300 Euro weniger, für 2013 flossen 6200 Euro und für 2014 gab es vor einem Jahr 5900 Euro. Da zuletzt die Belegschaftsgröße stieg, blieb die ausgeschüttete Gesamtsumme trotz sinkender Pro-Kopf-Prämie recht konstant. Für viele VW-Familien war die Gewinnbeteiligung, in der ein Abschlag schon als Weihnachtsgeld fließt, jeden Frühling ein Geldregen, den sie in Urlaub, Konsum oder die Immobilie steckten.

Dass der Bonus diesmal nicht üppig wird, scheint absehbar. Doch dass überhaupt Geld fließt, ist aus Arbeitnehmersicht schon ein Erfolg. Denn die Formel im Tarifvertrag lautet, dass zehn Prozent des Gewinns vor Zinsen und Steuern bei der Kernmarke VW-Pkw an die Mitarbeiter im VW-Haustarif ausgeschüttet wird. Zudem hatte der Betriebsrat zuletzt einen Verhandlungsspielraum ausgenutzt, um die fixen zehn Prozent noch zu erhöhen. Mit den Milliardenkosten des Abgas-Affäre brach das Konstrukt im Herbst plötzlich zusammen und trug die historische Krise damit erstmals ins Portemonnaie der ganz normalen VW-Mitarbeiter.

"Zehn Prozent von null ist null", hatte Osterloh im Herbst noch gesagt und Hoffnungen auf eine Prämie zerstreut. Mitte November gab es ein erstes positives Zeichen, als Markenchef Herbert Diess und Osterloh im dpa-Doppelinterview die Prämie nicht komplett beerdigten. Zwar sagte Diess: "Das Unternehmen wird weniger verdienen, und die finanzielle Anspannung steigt beträchtlich. Da muss man natürlich reagieren. Wir können nicht so tun, als wäre nichts passiert." Doch Osterloh ließ durchblicken: "Wir kriegen da schon was hin."

Schon die Neun-Monats-Zahlen hatten gezeigt, dass VW-Pkw mit Modellen wie dem Golf und dem Passat 2015 tief in den roten Zahlen landen wird. Vor den Sondereinflüssen des Skandals trug die Kernmarke bis Ende September zwar vor Zinsen und Steuern 2,2 Milliarden Euro zusammen, rund 500 Millionen Euro mehr als zuvor im gleichen Zeitraum 2014. Doch die 6,7 Milliarden Euro Rückstellungen für die Folgen der Affäre wurden komplett bei VW-Pkw verbucht. Selbst ein Rekordgewinn im Schlussquartal hätte das Blatt nicht gewendet. Seine Jahreszahlen will der Autobauer bis Ende April vorgelegt haben.

Die Einigung auf die "Anerkennungsprämie" in noch unbekannter Höhe ist auch ein Signal dafür, dass VW trotz der Abgas-Krise noch immer ein Unternehmen ist, in dem die Belegschaft aus historischen Gründen nicht nur großen Einfluss hat, sondern auch ein Klima genießt, in dem es eben nicht nur um Rendite, Dividende und Kostendruck geht.

Beschäftigungssicherung und Wirtschaftlichkeit waren bisher bei VW gleichberechtigte Unternehmensziele. Den Kern des Konzerns haben die Nazis mit dem enteigneten Gewerkschaftsvermögen gegründet; auch das ist eine Wurzel für die Stärke der VW-Arbeitnehmerseite, die sogar Blockaderechte für Werkserweiterungen oder -schießungen besitzt.

Die Diesel-Affäre stellt diese Machtbalance auf die Probe. Die größte Krise in der Konzerngeschichte ließ Betriebsrat und Vorstand schon heftig aufeinanderprallen. Osterloh sah sich mehrfach übergangen und ging das Management öffentlich scharf an, das Klima der Mitbestimmung schien in Gefahr. Osterloh witterte, der Vorstand setze die Axt an.

"Einige sind da noch in der Lernkurve", sagte er im dpa-Interview Ende 2015 in Richtung Vorstand. Und Diess antwortete: "Manchmal sind wir beide vielleicht auch zu schnell, ohne uns vorher abzustimmen. Aber das bekommen wir gelöst." Die Grundsatzeinigung auf die Prämie zeigt daher nun auch, dass das Verhältnis noch belastbar ist.

Weitere Konfliktherde für die Machbalance wird es genug geben. Erst am Mittwoch trennte sich VW von 250 Leiharbeitern in Emden, auch in Sachsen enden Hunderte Leiharbeitsverträge.

Im Frühling wird unter den Diesel-Vorzeichen ein neuer VW-Haustarif ausgehandelt. Je geräuschloser der Betriebsrat Dinge mitträgt, desto besser dürfte es am Ende für die nötige Trendwende sein. Schließlich ist die Lage so ernst wie nie, Zeit kostet im Zweifel Geld. Osterloh sagt dazu: "In dieser Situation haben wir andere Probleme und keine Zeit, unsere Rechte mit einer Demo und roten Fahnen durchzusetzen."

Spannend dürfte es nun sein, welchen Bonus der VW-Vorstand bekommt. Vorstandschef Müller hat bereits angekündigt, den Gürtel enger schnallen zu wollen.