Kommentar

Keine Lösung für Brasilien


Dima Rousseffs Tage als Präsidentin Brasiliens sind gezählt.

Dima Rousseffs Tage als Präsidentin Brasiliens sind gezählt.

Von Monika Müller

Dilma Rousseffs Tage als Präsidentin sind gezählt. Auch wenn sie nach dem Votum des brasilianischen Senats zunächst nur für 180 Tage suspendiert ist, scheint eine Rückkehr in den Präsidentenpalast eher unwahrscheinlich. Die Gegner werfen ihr Korruption vor - sie selbst spricht von einem Putsch und sie dürfte damit gar nicht so falsch liegen. Denn was ihr vorgeworfen wird, wirkt angesichts dessen, was sonst so in der brasilianischen Politik normal ist, wie eine Kleinigkeit.

Der große Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras, der das Land zuletzt erschüttert hat, und in den auch Rousseffs Arbeitspartei verwickelt sein soll, spielt bei ihrer Absetzung bestenfalls eine Nebenrolle. Zu sehr sind auch ihre Gegner in den Skandal verwickelt. Rousseff soll Zahlungen aus dem Staatshaushalt verzögert haben. Damit, lautet der Vorwurf, habe sie die tatsächliche Haushaltsmisere verschleiert. So sollen Hilfszahlungen für die Landwirtschaft bewusst verzögert worden sein. Schon andere Regierungen haben zu diesem oder ähnlichen Tricks gegriffen, um sich finanziell etwas Luft zum Atmen zu verschaffen.

In einem von tiefer Korruption, Vetternwirtschaft und einer engen Verbindung zwischen politischen und wirtschaftlichen Eliten geprägten Land sind Vorwürfe wie jene, die jetzt gegen die Präsidentin erhoben werden, lächerlich. Dennoch hat Rousseff, politische Ziehtochter des einst so populären Präsidenten Lula da Silva, viel Kredit verspielt. Die Wirtschaft stagniert, Brasilien steckt in der Rezession ohne Aussicht auf Besserung, die Inflation steigt und an der Situation für die Ärmsten der Armen hat sich kaum etwas geändert. Hinzu kam zuletzt die Ausbreitung des Zika-Virus.

Dennoch fragen derzeit auch viele Kritiker Rousseffs: Was kommt denn nach ihr? Es ist nämlich nicht so, dass mit ihrer Amtsenthebung sämtliche Probleme über Nacht gelöst wären. Auch Rousseffs bisheriger Vize Michel Temer, der nun wohl in wenigen Wochen als Staatschef die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro eröffnen wird, soll in diverse Skandale verstrickt sein und ist beim Volk ähnlich unbeliebt wie die nun abgesetzte Rousseff.

Schon seit Längerem blockieren sich die Parteien im Parlament in Brasília gegenseitig. Reformen kommen nicht voran - die Politik ist nahezu handlungsunfähig. Für ein Land, das nichts nötiger hätte als entschiedene Reformen, ist so ein Zustand natürlich Gift. Es wird sich mehr ändern müssen als die Gesichter an der Spitze, um das Schwellenland, auf dem so viele Hoffnungen lagen, wieder auf die Wachstumsspur zu setzen. Sozial und gesellschaftlich ist Brasilien tief gespalten. Favelas, die Armenviertel, reihen sich etwa in Städten wie São Paulo oder Rio de Janeiro an glitzernde Wolkenkratzer und klimatisierte Einkaufszentren. Das Land findet keinen Ansatzpunkt, um weiten Teilen der Unter- und Mittelschicht den sozialen Aufstieg zu ermöglichen.

Favelas sind nicht nur von Verbrecher- und Drogenbanden bevölkert. Hier leben Familien, von denen Vater und Mutter täglich einen stundenlangen Weg per Bus zur Arbeit auf sich nehmen müssen - ihre Kinder sind derweil häufig sich selbst überlassen. Rio de Janeiro kann als Beispiel für die missliche Lage des Landes dienen. "Die Wunderbare", wie die Stadt zwischen Zuckerhut und Copacabana genannt wird, erstickt im Verkehr. Das U-Bahn-System ist für eine mehr als sechs Millionen Einwohner zählende Metropole geradezu lächerlich klein. Stattdessen durchqueren öffentliche Busse die gesamte Stadt und verbinden sie mit dem Umland. Dem Stau ist so natürlich nicht zu entgehen. Pläne für ein leistungsfähiges Bahnsystem gibt es zwar, doch die Busbetreiber-Lobby weiß ihre Kontakte zur Politik zu nutzen und sich unliebsame Konkurrenz damit vom Leib zu halten. Denn auf die großzügigen Wahlkampfspenden will kaum ein Politiker verzichten.

Besucher der Olympischen Spiele werden es merken. Die mehrspurige Zubringerstraße zum internationalen Flughafen Galeão führt durch eine der größten Favelas der Stadt. Brasilien kann seine Probleme nicht verstecken. So ist das Land ein Musterbeispiel dafür, was Korruption, egoistische Eliten und immense Bildungsdefizite breiter Bevölkerungsschichten mit einer Gesellschaft anrichten können.

Mit dem Vertreiben von Dilma Rousseff aus dem Präsidentenpalast ist es nicht getan. Brasilien bräuchte einen Aufbruch: den Aufbau eines leistungsfähigen und guten Bildungssystems für alle, ein Ende des Elitedenkens und die Erkenntnis, dass sich eine Gesellschaft nicht weiterentwickeln kann, wenn sie weite Teile der Bevölkerung von der Entwicklung abschneidet. All das wird auch nach der Amtsenthebung Rousseffs nicht geschehen. Auch wenn uns in wenigen Wochen bunte Bilder von den Wettkämpfen um Gold, Silber und Bronze erreichen werden, bleiben die Probleme des Landes ungelöst.