Zweiter Roman

"Stella" von Takis Würger: Abgründiges Doppelspiel


Von Lukas Schauer / Onlineredaktion

In seinem Roman "Stella" berichtet der Journalist Takis Würger von einer Frau, die im Nazi-Deutschland um ihr Überleben kämpft.

München - Stella - der Name klingt verheißungsvoll strahlend, gleichzeitig nachtumschattet romantisch. Kristin wiederum ist nordischer, geerdeter, germanischer. Stella nennt sich jetzt so. Nicht nur, weil die Zeiten härter sind - 1942 in Berlin unter Bomben, mit rationierten Lebensmitteln und zunehmenden Deportationen.

Friedrich wiederum klingt deutsch, ist aber ein junger Schweizer und unser Ich-Erzähler. Er ist in die Reichshauptstadt gekommen, weil sich um Deutschland grausame Gerüchte ranken, weil die Ehe seiner großbürgerlichen Eltern an Alkohol und politischen Differenzen über das "Siegerdeutschland" zerbrochen war, aber auch weil dieser bisher behütete Junge insgeheim hofft, durch Abenteuer zum Mann zu werden. Und da verspricht das martialische Deutschland das richtige, gefährliche Pflaster zu sein, auch wenn Friedrich mit väterlichen Schweizer Devisen gepolstert aus dem Logenplatz eines Grand Hotels den NS-Alltag erkundet.

Der Autor war AZ-Volontär

Der Journalist Takis Würger, ehemals Volontär bei der AZ, hat - nach seinem erfolgreichen Romandebüt "Der Club" über perverse Sex- und Macht-Machenschaften hinter der Fassade einer Oberschichts-Studentenverbindung in England - mit "Stella" wieder einen schnellen, lakonischen Roman geschrieben, der sich gleich mehrfach von der gängigen Romanlandschaft abhebt - nicht nur durch die verdichtete Kürze von 220 Seiten.

Jüdische Gestapo-Kollaborateurin Stella Goldschlag

Die unglaubliche Geschichte der jüdischen Gestapo-Kollaborateurin Stella Goldschlag wurde 1992 durch den amerikanischen Journalisten Peter Wyden aufgedeckt und vor drei Jahren von der Neuköllner Oper sogar als Musical auf die Bühne gebracht. Es ist literarische Kunst, dass Takis Würger diesen schrecklichen Emotionshammer nicht als obszönes Dekor oder spannungsgebenden Nervenkitzel einsetzt. Stella, "das blonde Gift", krallt sich den privilegierten Friedrich. "Wir zahlten Schwarzmarktpreise und aßen Austern und Bienenstich, wir tranken Kognak, zeichneten mit Kohle, hörten Swing und selten tanzten wir. Manchmal schafften wir es, Stellas Eltern zu vergessen. Wir machten uns schuldig, jeder auf seine Art."

Und schnell wird Friedrich klar: "Aus der Entfernung hatten die Deutschen groß gewirkt, aus der Nähe wirkten sie so klein wie ich. Groß waren nur die Kulissen, die Fahnen vor allem" und die Grausamkeiten - begangen von halbwahnsinnigen Brutal-Fanatikern wie Walter Dobberke im Sammellager in der Großen Hamburger Straße oder wie SS-Obersturmbannführer Tristan von Appen, den man sich vorstellen muss wie die irritierend kultivierte, nichtsdestotrotz grausame Nazi-Figur, die Christoph Waltz in Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" spielt. Mit ihm sind die geheimnisvolle Stella und der neugierige Friedrich befreundet, bevor die NS-verseuchten Zeitläufe alles zermalmen.

Es ist die Frage: Gibt es das Richtige im Falschen?

Dabei ist es die Erzählkunst in "Stella", dass man elegant beiläufig kleine Andeutungen, bekommt, geschickt eingestreute Gegenstände aufliest, die, wie in einem Krimi, den Leser ahnend weiter blicken lassen als es der etwas naive Friedrich wahrhaben will, der auch eingenebelt ist von der Erotik seines sexuellen Initiationserlebnisses.

Berlin im Jahr 1942: Das ist der Ausnahmezustand, der zur scheinbaren Aushebelung aller moralischen Fragen führt und sie gerade dadurch um so schärfer stellt: Was ist die Schuld von Zuschauern und Mitläufern, was die Schuld von Kollaboration, wenn man damit sein Leben rettet? Gibt es das Richtige im Falschen?

Ein abgespeckt klarer Roman

Würger vermeidet dabei jeglichen Betroffenheitstonfall, schreibt klar herausgemeißelt und kunstvoll karg, wenn es darum geht, psychologische Dinge zu erklären: wie die Freundschaft zwischen einem aristokratischen SS-Sturmbannführer, einem Schweizer Bourgeoisie-Bubi und einer grausam tragischen Nachtclubsängerin. Aber es ist der zuspitzende Ausnahmezustand, der dann doch alles in diesem abgespeckt klaren Roman erklären kann.

Permanente Lebensgefahr, ein fanatisch entfesselter Krieg und Rassismus, Abenteuerlust und die Chance auf Sicherheit und Schutz durch Männer mit Einfluss oder einen Schweizer Pass - all das führt zu aufgekratzten Nächten, die nicht allein zum Schlafen da sind, zu Liebe, die Sünde sein kann, zum Traumwandeln, auch wenn davon die Welt untergeht.

Takis Würger: "Stella" (Hanser, 220 Seiten, 22 Euro)