Guillermo del Toros neuer Film

Schon wieder Frankenstein: Muss man diese Version sehen?

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Del Toros Kreatur ist kein Schreckgespenst, sondern eine Seele aus Fleisch, Narben und Trauer.

Del Toros Kreatur ist kein Schreckgespenst, sondern eine Seele aus Fleisch, Narben und Trauer.

Von dpa

Blitze zucken über eine endlose Eislandschaft. Ein Schiff knirscht und splittert unter der Last gefrorener Wellen. An Deck liegt Victor Frankenstein - halb tot, gejagt von einem mächtigen, erschreckenden Schatten.

In 149 Minuten entfaltet Guillermo del Toro in seiner nun bei Netflix laufenden Neuinterpretation die Geschichte von Frankenstein, die die britische Autorin Mary Shelley vor über 200 Jahren erfand.

Seit fast einem Jahrhundert erfindet das Kino Frankensteins Kreatur immer wieder neu - von Karloffs ikonischem Ungeheuer bis zu den blutigen Hammer-Horrorfilmen.

Shelleys Roman von 1818, oft als erster Science-Fiction-Text bezeichnet, kreist um die Grenzen menschlicher Schöpfungskraft - um Besessenheit, Schuld, wissenschaftlichen Ehrgeiz und die Frage, was uns menschlich macht. Auch del Toro greift diese Motive auf.

Del Toro ergänzt Shelleys Geschichte um die familiären Wurzeln von Victor.

Del Toro ergänzt Shelleys Geschichte um die familiären Wurzeln von Victor.

Anders als Shelley, die ihr aus Leichenteilen zusammengesetztes Monster vor allem durch die Augen seines Schöpfers Victor Frankenstein zeigt, richtet del Toro den Fokus auf die Kreatur selbst. Jacob Elordi („Saltburn“, „Priscilla“) spielt sie als fühlendes, denkendes Wesen: verletzlich, zornig und sehnsüchtig.

Del Toros düstere Labore, gotische Landschaften und barocke Bilderwelten verwandeln Shelleys Symbolik - Schuld, Verantwortung und das tragische Streben des Menschen, seine Grenzen zu überschreiten - in visuell und emotional greifbares Kino. Damit knüpft der 61-Jährige an eine lange Tradition filmischer Monsterbilder an.

Legendär ist James Whales Verfilmung von 1931, die das Monster zur Ikone machte. Boris Karloffs Interpretation - der flache, fast quadratische Kopf, die starre Mimik, die Schrauben im Hals - wurde zum Urbild des modernen Monsters. Whales Film, geprägt von expressionistischen Kulissen und schneidenden Lichtkontrasten, erzählt die Geschichte aus Sicht des Schöpfers: ein düsteres Märchen über die maßlose Selbstüberschätzung des Menschen.

Die Hammer-Filme der 1950er und 60er prägten den Mythos auf ihre eigene, blutige Weise. Produziert von der britischen Hammer Film Productions, begann der Kult mit „Frankensteins Fluch“ - der erste Teil einer Frankenstein-Reihe. Regisseur Terence Fisher setzte auf grelle Farben, Blut und eine überbordende, theatralische Gothic-Ästhetik.

Spätere Hammer-Filme wie „Frankenstein muss sterben“ steigerten Gewalt, Pathos und Dramatik. Emotionale Tiefe? Eher Nebensache. Fisher wollte Schock, Stil und Spektakel.

Einen ganz anderen Weg schlug 1994 Kenneth Branagh ein. Der britische Regisseur, der in seiner Frankenstein-Verfilmung selbst die Rolle von Victor spielt, holte Hollywoodstar Robert De Niro als Kreatur vor die Kamera. Statt auf Horror und Schock setzte Branagh auf Emotion und Pathos: Das Monster war kein Ungeheuer mehr, sondern ein fühlendes Wesen.

Damit näherte sich Branagh wieder Mary Shelleys humanistischer Vorlage an - und schuf eine Brücke zu Guillermo del Toros Ansatz, der das Mitgefühl für das Geschöpf ins Zentrum rückt.

Del Toro führt diese Idee konsequent weiter. Seine Kreatur, gespielt von Jacob Elordi, verschwindet teils hinter Schatten und Masken, doch in jeder Bewegung schwingen Angst, Schmerz und Sehnsucht mit. Ob daraus ein ikonisches Popkultur-Bild wie bei Karloff entsteht, ist offen - doch del Toro schafft eine zutiefst emotionale Darstellung.

Dass der mexikanische Regisseur mit seinen Monstern Mitgefühl weckt, überrascht kaum. Schon in „Pans Labyrinth“, „Crimson Peak“ und „Shape of Water - Das Flüstern des Wassers“ waren seine Kreaturen Spiegel menschlicher Sehnsüchte und Verletzungen.

Del Toro ergänzt Shelleys Geschichte um die familiären Wurzeln von Victor (Oscar Isaac) und seine Beziehung zu den Eltern. Victor ist hier nicht nur Forscher, sondern Sohn eines autoritären Vaters (Charles Dance), getrieben vom Wunsch, den eigenen Schöpfer zu übertreffen.

Wenn Elordis Monster im Kerzenschein die Hand seines Schöpfers berührt oder durch ein brennendes Labor taumelt, ist das kein Horror - es ist Herzschmerz. Christoph Waltz als einflussreicher Harlander, der Victors Projekte finanziert, und Mia Goth als fragile Elizabeth, Victors Lebensgefährtin, komplettieren überzeugend del Toros morbide Welt aus Poesie, Blut und Schuld.

Mit einem Budget von rund 120 Millionen Dollar verwandelt er Frankenstein in eine visuelle Oper über Leben, Tod und Schöpfung. Gotische Hallen, vom Sturm zerrissene Küsten, schneebedeckte Friedhöfe - jede Einstellung ist ein Gemälde, durchzogen von Licht, Schatten und Melancholie.

So führt der Regisseur Shelleys Idee ins 21. Jahrhundert: Er verwandelt den Mythos in ein dunkles Märchen über Verantwortung, Macht und Mitgefühl. Ob sein Film zur neuen Ikone wird wie Whales Klassiker, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Del Toro hat Frankenstein nicht neu erfunden - aber neu fühlen lassen.

Dieser Artikel ist Teil eines automatisierten Angebots der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er wird von der idowa-Redaktion nicht bearbeitet oder geprüft.

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