Weinende Kinder, Lehrer am Limit Coronavirus sorgt für holprigen Start ins neue Schuljahr

An den Schulen läuft es nun im Prinzip wieder wie in Vor-Corona-Zeiten. Im Prinzip. Denn Masken, Abstände und Hygieneregeln ändern das Schulleben grundlegend. Viele Schüler tun sich mit der Rückkehr in den Regelunterricht schwer - Lehrer auch.

Nach monatelangem Ausnahmezustand gibt es seit dem Schuljahresbeginn offiziell wieder den normalen "Regelunterricht" an Bayerns Schulen. Doch normal ist in den Klassen- und Lehrerzimmern derzeit wenig. Eltern berichten von Erstklässlern, denen der Wechsel in die festen Strukturen wegen der Kita-Schließungen in den Vormonaten extrem schwer fällt. Lehrer schildern, dass auch die größeren Schüler schwer hineinfinden in die neuen Umstände, unter denen der Unterricht und das Schulleben nun stattfinden. Und Direktorinnen haben Angst, wie lange ihre Kollegen die Belastungen noch durchhalten.

Joschua weint jeden Morgen. Im Gegensatz zu seiner älteren Schwester damals will der Erstklässler aus Nürnberg auf keinen Fall in die Schule. Seine Mutter Stephanie Z. führt dies auf den holprigen Übergang zwischen Kita und Schule zurück. "Die haben ja vor ihrer Einschulung nie ein Schulhaus gesehen." Durch die Corona-bedingten Kita-Schließungen habe die Vorbereitung und auch die Vorfreude auf die Schule heuer gefehlt: Die sonst üblichen Besuche der Vorschulkinder im Unterricht fielen aus, ebenso die traditionelle Schulhausrallye oder die persönliche Anmeldung in der Grundschule.

Vorschule fiel monatelang aus

Auch die Vorschule, die besonders die Konzentrationsfähigkeit der Kleinen stärken soll, fiel über Monate hinweg aus. Selbst nach der Wieder-Eröffnung der Kita gab es statt Vorlesestunden oder Basteln vor allem freies Spiel im Kita-Garten, berichtet Joschuas Mutter. Stillsitzen falle ihrem Sohn nun schwer.

Florian Römer bemerkt bei seinem Erstklässler ebenfalls deutliche Unterschiede zum Schulstart seines älteren Sohnes, die sich auch in Wutattacken äußerten. "Was auffällt ist, dass er extrem launisch ist, wenn er nach Hause kommt", berichtet der Münchner. "Wenn irgendwas nicht genau so läuft, wie er es sich vorstellt, fliegt was durch die Gegend, oder er rennt beleidigt weg."

"Das war kein so schöner und harmonischer und offener Schulstart", bestätigt Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband. Und ergänzt: "Für die, die es schon kennen, ist auch alles anders. Diese Freude auf das Zusammensein in der Schule war bei allen da, alle haben danach gelechzt, dennoch fühlt sich jetzt alles anders an als früher."

Diese Erfahrung macht auch Birgit Dittmer-Glaubig, Konrektorin der Mittelschule an der Simmernstraße in München. Der Schulalltag sei für alle Kinder und Jugendlichen eine besondere Herausforderung - besonders aber für "die Neuen", also die Fünftklässler. "Früher wurden die Fünftklässler in der Turnhalle durch ältere Schüler empfangen mit Theater und Musik, und die Großen haben die Kleinen durchs Haus geführt. Heuer sind sie am Eingang in Empfang genommen worden und mussten gleich in ihre feste Gruppe."

Masken machen das Kennenlernen schwierig

Erschwerend kommt hinzu, dass in München für alle weiterführenden Schulen seit dem ersten Schultag ununterbrochen die Maskenpflicht im Unterricht gilt. Was bayernweit wegen der Reiserückkehrer für die ersten neun Tage verpflichtend war, läuft in der Landeshauptstadt aufgrund der hohen Infektionszahlen seither weiter - und verhindert, dass sich Schüler und Lehrer ins ganze Gesicht schauen können.

Das macht nicht nur das Kennenlernen schwierig, wie das verbürgte Beispiel zweier Jungs zeigt: Sie hatten sich neu angefreundet und zogen in einem unbeobachteten Moment heimlich die Masken herunter, um zu sehen, wie der andere eigentlich ausschaut. Dittmer-Glaubig nennt noch einen weiteren Nachteil der Maske: "Die Schüler finden das sehr anstregend, weil man sich einfach schwerer mit dem Atmen tut. Das ist nicht das gleiche wie eine Brille aufhaben." Auch sie müsse nach vier Stunden Unterricht am Stück nun erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes durchschnaufen.

An die festen Strukturen müssen sich viele Schüler ebenfalls wieder gewöhnen. "Prinzipiell tun sich gerade alle sehr hart, wieder in den Schulalltag hineinzuwachsen mit seinen anderen Forderungen als im Distanzunterricht", berichtet die Direktorin der Grundschule Konradstraße in Haar, Andrea Zran. "Es ist was anderes, ob ich zu Hause mal aufstehen kann und mal unterbreche, oder ob ich sechs Stunden am Stück absolvieren muss, und das auch noch unter den Hygienemaßnahmen." Noch extremer sei es in den Ganztagsklassen, die bis 16.00 Uhr in der Schule seien.

Lehrer am Limit

Hinzu kommt in den höheren Klassen, dass die Kinder mit sehr unterschiedlichen Lernständen aus der Zeit des Heimunterrichts zurückgekehrt sind. Laut Zran eine enorme Herausforderung für das Kollegium: "Wir sind alle sehr am Limit unterwegs. Jeder versucht, was er irgendwie kann, um das für die Kinder gut zu machen. Jeder geht an seine Belastungsgrenzen, und ich mache mir wirklich Sorgen, wie lange das noch gut gehen kann."

Kapazitäten für die vom Kultusministium angepriesenen Brückenangebote, mit denen Wissenslücken aufgefüllt werden sollen, gibt es an vielen Schulen nicht, wie Lehrer und Direktoren berichten. An der Grundschule in Haar können sie dank einer Förderlehrerin zumindest ein bisschen was auffangen. "Natürlich müssen wir das jetzt in irgendeiner Weise hinbringen, dass wir die Kinder da mitnehmen", betont Zran. "Das ist ein enormer Kraftakt, personell und von den Stunden her sind wir da nicht gut aufgestellt." Vor allem die nahende Erkältungszeit mache ihr Sorgen: "Alles ist sehr auf Kante genäht. Es darf keiner krank werden, sonst bricht dieses filigrane Gebilde zusammen. Und dann habe ich auch keine Antworten mehr, wie wir das machen sollen."

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