Virus-Fund in Muttermilch

Kinderarzt: "Stillen kann Coronavirus neutralisieren"


Hat sich ein Säugling über die Muttermilch der erkrankten Mutter mit dem Coronavirus angesteckt? Dr. Sven Wellmann, Chefarzt der Neonatologie in der Regensburger Hedwigsklinik, bringt Licht ins Dunkel. (Symbolbild)

Hat sich ein Säugling über die Muttermilch der erkrankten Mutter mit dem Coronavirus angesteckt? Dr. Sven Wellmann, Chefarzt der Neonatologie in der Regensburger Hedwigsklinik, bringt Licht ins Dunkel. (Symbolbild)

In der Muttermilch einer mit Sars-CoV-2 infizierten Frau haben Virologen aus Ulm kürzlich das Erbgut der Corona-Viren nachgewiesen. Unklar ist aber, ob ihr ebenfalls erkranktes Kind sich tatsächlich darüber angesteckt hat. Prof. Dr. Sven Wellmann, Chefarzt der Abteilung für Neonatologie und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in der Klinik St. Hedwig in Regensburg, erklärt im idowa-Interview, welche Rolle Muttermilch bei einer Covid-19-Erkrankung spielen kann, wie betroffene Mütter mit ihrem Nachwuchs umgehen sollen und welche Hygienemaßnahmen beim Stillen zu beachten sind.

Herr Dr. Wellmann, wie wahrscheinlich ist eine Übertragung des Virus auf den Säugling über die Muttermilch?

Dr. Sven Wellmann: Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Übertragung des Virus auf das Baby über die Muttermilch stattgefunden hat. Der Befund der Forscher zeigt zwar, dass das Virus in der Muttermilch nachweisbar ist, nichtsdestotrotz wissen wir, dass das Virus auch in anderen Körperflüssigkeiten oder gar Exkrementen auftaucht. Erkrankte Schwangere und auch Babys, die wir in der Klinik untersuchen, scheiden das Virus regelmäßig über Stuhl aus. Das Virus hält sich auch lange im Rachen, selbst bei Menschen, die schon seit Wochen wieder gesund sind. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis man das Virus auch in der Muttermilch entdeckt. Inwiefern die Muttermilch aber die Ursache für die Erkrankung des besagten Kindes ist, können erst weitere Untersuchungen zeigen.

Ist Stillen überhaupt noch möglich, wenn Mutter oder Kind an dem Virus erkrankt sind?

Dr. Wellmann: Ja. Wir empfehlen sogar bei einer Infektion das Stillen fortzuführen. Das Kind soll also an die Brust, auch wenn die Mutter Covid-19 hat. Beim Stillen sind dann aber natürlich gewisse Vorsichtsmaßnahmen nötig, an die sich die Mutter halten muss. Was die Muttermilch betrifft, zeigen eigene, noch nicht veröffentlichte Untersuchungen, dass die Milch Antikörper gegen das Coronavirus enthält. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Die Muttermilch kann also möglicherweise nicht nur das Virus, sondern auch die Antikörper, also den Schutz, transportieren und es dadurch neutralisieren.

"Mutter muss beim Stillen eine Maske tragen"

Welche Hygienemaßnahmen sollen Mütter dann beim Stillen ergreifen?

Dr. Wellmann: Vor dem Stillen muss die Mutter ihre Brust reinigen und die Hände waschen. Beim Stillen selbst muss die Mutter eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Das ist ganz wichtig. Aber nicht nur beim Stillen, die Mutter muss immer dann eine Mundmaske aufsetzen, wenn sie weniger als zwei Meter Abstand zum Kind einhält. Dem Kind kann man natürlich keine Maske aufsetzen. Wird ein Kind nicht gestillt und nur über die Flasche gefüttert, müssen die Hygienemaßnahmen natürlich ebenfalls eingehalten werden. Die Fläschchen sind dann entsprechend oft zu reinigen.

Prof. Dr. med. Sven Matthias Wellmann ist Chefarzt der Neonatologie und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in der Hedwigsklinik bei den Barmherzigen Brüdern in Regensburg.

Prof. Dr. med. Sven Matthias Wellmann ist Chefarzt der Neonatologie und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in der Hedwigsklinik bei den Barmherzigen Brüdern in Regensburg.

Wann müssen Mutter und Kind bei einer Infektion getrennt werden?

Dr. Wellmann: Wir empfehlen eine Trennung nur dann, wenn es der Mutter so schlecht geht, dass sie intensivmedizinisch betreut werden muss. Wenn das Kind intensivmedizinische Betreuung braucht, dann kann die Mutter das Kind wiederum schon besuchen. Unsere Klinik hat in Abstimmung mit den deutschen Fachgesellschaften Besuchsregelungen aufgestellt, die generell das Ziel haben, Mutter und Kind nicht zu trennen. Ein Besuch der Mutter kann aber selbstverständlich nur mit den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen erfolgen.

"Stillen überträgt Immunität an Kind"

Wie wirkt sich eine Erkrankung von Schwangeren auf das ungeborene Kind aus?

Dr. Wellmann: Bislang weist alles darauf hin, dass das Virus nicht während der Schwangerschaft in das ungeborene Kind gelangt. Dennoch lässt sich das nicht ganz ausschließen, denn andere Viruserkrankungen, wie etwa die Röteln, sind bei einer Erstinfektion der Mutter auch auf das ungeborene Kind übertragbar. Theoretisch könnte das also auch bei Corona der Fall sein. Hinweise darauf haben wir aber noch nicht. Wenn eine Mutter in der Schwangerschaft an Covid-19 erkrankt, bildet sie Antikörper. In diesem Fall wissen wir aber, dass die Antikörper dann bei dem Neugeborenen im Blut messbar sind. Die Mutter übergibt also die Immunität, die sie in der Schwangerschaft aufbaut, an das Kind.

Welche Hygienemaßnahmen sind generell in Zeiten von Corona mit einem Säugling Zuhause zu beachten?

Dr. Wellmann: Mehr denn je, gilt es jetzt den sogenannten Nestschutz einzuhalten. Das bedeutet für die Mutter vor allem eins: Stillen. So werden Antikörper, also Schutzfaktoren, an das Kind übergeben. Das Kind sollte zudem immer nur in der Nähe des häuslichen Umfelds sein und nur Kontakt zur Familie haben. Gerade in diesen Zeiten, empfiehlt es sich, mal weniger Besuch zu haben. Und natürlich sollen Familien vor allem auch die nationalen beziehungsweise regionalen Bestimmungen zur Eindämmung des Coronavirus berücksichtigen.

Information zum Hintergrund:

Die Ulmer Virologen hatten die Muttermilch von zwei Frauen auf Erbgut des Coronavirus untersucht, die sich nach der Entbindung im Krankenhaus zusammen mit ihren Neugeborenen ein Zimmer teilten. Als eine der Frauen Krankheitssymptome entwickelte, wurde sie mit ihrem Neugeborenen isoliert und beide positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Die Zimmernachbarin bemerkte erst später Symptome, wurde dann aber - ebenso wie ihr Kind - auch positiv getestet. In den Muttermilch-Proben der zuerst erkrankten Frau fanden die Wissenschaftler keine Hinweise auf das Coronavirus. Das Ergebnis in den Proben der zweiten Mutter war dagegen vier Mal positiv.

Woran das liegt, sei nach Angaben der Virologen noch nicht klar. Nach 14 Tagen sei kein Virus mehr in der Muttermilch nachweisbar gewesen und die Mutter sowie ihr Kind erholten sich von Covid-19. Die später erkrankte Mutter hatte beim Umgang mit ihrem Kind einen Mund-Nasen Schutz getragen und Hände und Brüste desinfiziert. Zudem sterilisierte sie regelmäßig die Utensilien für das Stillen. Es bleibe unklar, ob sich das Baby tatsächlich beim Stillen infizierte, wie die Forscher betonen. Typischerweise wird das Virus über Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch weitergegeben.