"Künstliche Intelligenz" an der THD

Dr. Cezar Ionescu: "Nur der Mensch erkennt Sinn"


Dr. Ionescu hat auch schon an der amerikanischen Harvard-Universität geforscht. Jetzt ist er stolzer Neu-Deggendorfer.

Dr. Ionescu hat auch schon an der amerikanischen Harvard-Universität geforscht. Jetzt ist er stolzer Neu-Deggendorfer.

Mit Dr. Cezar Ionescu forscht und lehrt ab diesem Semester ein international renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet der "Künstlichen Intelligenz", kurz KI, an der Technischen Hochschule Deggendorf. Im Gespräch mit idowa erklärt er, was das Künstliche intelligent macht, was ihm so gut an Deggendorf gefällt und warum Roboter keine Bücher lesen können.

Herr Ionescu, könnten Sie für unsere Leser mal möglichst einfach definieren, was "Künstliche Intelligenz" eigentlich ist?

Dr. Cezar Ionescu: Dazu würde ich gerne erstmal eine gute Definition zitieren, die von einer hochrangigen Experten-Kommission zum Thema KI für die EU entwickelt worden ist. Die wurde nämlich genau mit dem Ziel entwickelt, leicht verständlich zu sein.

Dort steht: "Künstliche Intelligenz-Systeme sind vom Menschen entwickelte Software- und möglicherweise auch Hardware-Systeme, die in Bezug auf ein komplexes Ziel auf physischer oder digitaler Ebene agieren, indem sie ihre Umgebung durch Datenerfassung wahrnehmen, die gesammelten Daten interpretieren, Schlussfolgerungen daraus ziehen und die geeignete Maßnahme zur Erreichung des vorgegebenen Zieles entscheiden."

Okay, das ist ja recht bündig. Was heißt das jetzt genauer?

Ionescu: Das heißt: Diese Systeme sind erstens künstlich, sie sind menschengemacht. Sie sind außerdem nicht unbedingt Computerprogramme, könnten also auch mechanische Systeme sein. Ein Beispiel: Man könnte ein System aus Streichholzschachteln und Schnur bauen, das einfache Brettspiele spielen kann. Es muss also nicht unbedingt ein Rechner involviert sein, aber natürlich sind das fast immer Software-Programme.

Und diese Programme, was macht die zur KI?

Ionescu: Sie haben eine gewisse Autonomie. Sie funktionieren ohne menschliche Aufsicht und auf eine Weise, die uns als "intelligent" vorkommen kann. Sie haben sozusagen "Ziele", die sie dann verfolgen und sich dabei an die Umgebung anpassen.

Zum "Elektronengehirn" ist es noch ein weiter Weg, sagt Dr. Ionescu. (Symbolbild)

Zum "Elektronengehirn" ist es noch ein weiter Weg, sagt Dr. Ionescu. (Symbolbild)

Gibt es auch noch andere Definitionen des Begriffs?

Ionescu: Eine andere interessante Definition ist schon 60 Jahre alt und stammt von dem Informatik-Pionier John McCarthy. Er meinte, "Künstliche Intelligenz" sei primär eine Wissenschaft, die das Studium von Problemlösungs-Verfahren und Zielerreichung in komplexen Situationen beinhaltet.

"Eine schöne Region mit freundlichen Menschen"

Interessant. Dann können wir uns jetzt ja etwas besser vorstellen, woran Sie forschen. Warum haben Sie sich denn eigentlich die TH Deggendorf als neues Zentrum für Ihre Forschung und Lehre zur KI ausgesucht?

Ionescu: Das ist eigentlich ziemlich einfach: Erstens braucht ein Professor der KI einen Studiengang zur KI - und die TH hat eben einen der ersten in ganz Deutschland. Wir werden hier auch Absolventen aus ganz Deutschland und aus verwandten Disziplinen haben, wie zum Beispiel Mathematik, weil es im Studiengang die Möglichkeit zum Quereinstieg gibt. Das ist also alles sehr neu, sehr innovativ und für mich sehr interessant. Dann haben wir hier in Deggendorf natürlich starke Verbindungen zur lokalen Industrie, zu mehr als 400 Firmen. Diese Kooperationen braucht man als Forscher unbedingt, denn sie bieten ein breites praktisches Anwendungsfeld. Und drittens natürlich ist das hier eine sehr schöne Region mit freundlichen Menschen und auch das familiäre Klima an der Deggendorfer Hochschule hat mir sehr gut gefallen.

Die KI-Forschung kann schon jetzt viele Risiken künstlicher Intelligenz benennen - aber es gibt auch Chancen. (Symbolbild)

Die KI-Forschung kann schon jetzt viele Risiken künstlicher Intelligenz benennen - aber es gibt auch Chancen. (Symbolbild)

Man hört ja öfter mal, dass die Künstliche Intelligenz eine große Herausforderung für die Wirtschaft und Gesellschaft der Zukunft sein würde. Was genau ist denn damit gemeint?

Ionescu: In erster Linie handelt es sich hier um sehr weitreichende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Alles, was automatisiert werden kann im Produktionsprozess, wird wahrscheinlich auch automatisiert werden. Das ist einfach effizienter und billiger, im marktwirtschaftlichen Wettbewerb hat man also keine andere Wahl. Das ist ein primär ökonomisches Problem, das aber viele Auswirkungen auf die Gesellschaft hat: Wir müssen vielleicht auch über eine neue Rolle für die Menschen nachdenken, wir müssen uns klarmachen, was ihre besonderen Fähigkeiten sind verglichen mit der KI.

"Ich glaube, dass wir auch in der technischen Ausbildung wieder mehr Geisteswissenschaften sehen werden"

Und die wären?

Ionescu: Nun ja, aktuelle KI-Systeme sind vor allem dazu da, Vorausgeplantes zu optimieren. Was sie nicht machen, ist selbst beurteilen, ob das Optimierte jetzt gut oder schlecht ist. Das ist etwas, was nur Menschen in einem menschlichen Kontext beurteilen können. Das heißt eben auch, dass wir die Menschen in Zukunft verstärkt in dieser Fähigkeit ausbilden müssen: Einzuschätzen, was die Auswirkungen durchoptimierter Prozesse für die Gesellschaft sind! Ich glaube, dass wir auch in der technischen Ausbildung wieder mehr Geisteswissenschaften sehen werden.

Mehr Philosophie, weniger Technik

KI-Systeme könnten der Menschheit in Zukunft auch hilfreich zur Seite stehen. (Symbolbild)

KI-Systeme könnten der Menschheit in Zukunft auch hilfreich zur Seite stehen. (Symbolbild)

Also mehr Philosophie, weniger Technik?

Ionescu: Ja. Ich glaube, wir müssen unsere Kinder auf die Tragweite dieser Technologien vorbereiten. Sie müssen lernen, Entscheidungen nicht nur im Hinblick auf die beste Technik und die größtmögliche Effizienz zu treffen, sondern auch die Konsequenzen für den Menschen mitzudenken. Mit der gesteigerten Effizienz durch Künstliche Intelligenz muss also auch eine Steigerung der Urteilskraft einhergehen. An der "Technischen Hochschule" der Zukunft sollte man also vielleicht wirklich mal mehr Philosophie machen.

Künstliche Intelligenz bringt ja aber nicht nur Probleme und Herausforderungen mit sich. Gibt es vielleicht Möglichkeiten, wie sie zukünftige Menschheitsprobleme lösen helfen kann, also beispielsweise die Klimakrise oder soziale Ungleichheit?

Ionescu: Klar. Intelligente Programme könnten zum Beispiel dabei helfen, vorauszusagen, wo und wann extreme Wetterphänomene auftreten und so globale Zusammenhänge aufzeigen. Im Bereich der Medizin gibt es immer mehr komplexe Diagnoseprogramme oder Behandlungs- und Operationsverfahren, die mit KI-Unterstützung durchgeführt werden. Und natürlich der Bereich der Pflege, wo wir ja ein großes Problem haben momentan. Auch da gibt es Systeme, die Pflegekräfte unterstützen und ihnen Arbeit abnehmen können.

"Die Systeme, die wir aktuell haben, sind reaktiver Natur"

Sie haben vorher in der Definition gesagt, dass künstliche Intelligenz uns "intelligent erscheinen" kann. Eine tatsächliche, also menschenähnliche Intelligenz, wurde bisher aber noch nicht geschaffen. Was müsste man denn Ihrer Meinung nach tun, um so etwas zu erreichen?

Ionescu: Also soviel mal vorweg: Eine "echte" künstliche Intelligenz würde wahrscheinlich nicht menschlich ausfallen. Was ich aber sagen will, ist: Die Systeme, die wir aktuell haben, sind rein reaktiver Natur. Ein Beispiel wäre das selbstfahrende Auto. Das bekommt Eingaben aus den Sensoren und kriegt auch Informationen über das Verkehrsaufkommen und die Umgebung. So ein System muss in Nanosekunden zahllose Entscheidungen treffen, wodurch sich wiederum die Umgebung ändert, eine neue Entscheidung verlangt wird und so fort. Eine extrem reaktive Angelegenheit also.

Damit eine KI, egal wie leistungsfähig, "menschenähnlich" werden kann, fehlt ein entscheidender Baustein, sagt Dr. Ionescu. (Symbolbild)

Damit eine KI, egal wie leistungsfähig, "menschenähnlich" werden kann, fehlt ein entscheidender Baustein, sagt Dr. Ionescu. (Symbolbild)

Gut, aber was können solche Systeme denn dann nicht, was der Mensch kann?

Ionescu: Eine Sache, wo man nicht reaktiv sein kann, das ist die Suche nach Sinn. Ein Mensch betrachtet also eine Stelle in einem Buch, und dann fragt er sich: Was bedeutet das, was da steht? Menschen haben die Fähigkeit, inhaltliche Bedeutung aus einem Text zu konstruieren. Sie können also sagen, ob etwas korrekt ist, ob es wichtig ist und so weiter. Das ist etwas, was ich der KI, wie sie momentan konzipiert ist, erstmal nicht zutraue. Ich sage nicht, dass das in Zukunft unmöglich bleiben wird, aber vorerst ist das die große Grenze zu echter Intelligenz.