KI-Spezial

Was ist real und was virtuell? Die Simulationstheorie


Von Lennart Winterscheid

KIs sind schon heute sehr fortschrittlich und lernen täglich dazu. Was kommt danach und wie real ist unsere Welt eigentlich? Über die Simulationstheorie.

Vorhersagen in der Informatik zu machen, war schon immer schwer. Dennoch gelingt es von Zeit zu Zeit und auch heute versuchen Wissenschaftler sich vorzustellen, was Computer in der Zukunft können werden.

So auch Nick Bostrom: 2003 veröffentlichte der schwedische Philosoph seine Abhandlung "Are you living in a computer simulation?". In dieser formuliert er das "Simulationsargument". Nick Bostrom geht davon aus, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, eine Simulation der gesamten Welt zu berechnen. Sie ist eine perfekte, digitale Kopie unserer Realität mit allen Gebirgen, Meeren - und mit allen Lebensformen, auch uns Menschen. Diese digitalen Wesen denken und handeln wie wir, sie nehmen selbst ihre Umwelt so wahr wie wir unsere. Wissenschaftler arbeiten schon heute an solchen Programmen, mit denen sich beispielsweise Erdbeben oder das Wetter voraussagen lassen. Diese Simulationen werden immer besser. Genau wie künstliche Intelligenzen.

KI-SPEZIAL: Dieser Text stammt aus dem Spezial zur künstlichen Intelligenz der Redaktion Freistunde. Eine Übersicht über alle Artikel gibt es hier: Alle Texte des KI-Spezials.

Die Text-KI GPT-3 behauptet schon heute von sich, ein Bewusstsein zu haben und sich selbst als "real" zu empfinden. KI-Charaktere in modernen Games können lernen und neue Verhaltensweisen entwickeln, die nicht programmiert wurden. So könnte es irgendwann genau die Simulation geben, wie Nick Bostrom sie voraussetzt.

Genügend Rechenleistung könnte Parallelwelten erschaffen

Nun zu seiner Theorie: Hätten wir die Rechenleistung für solch eine perfekte digitale Welt, könnten wir nicht nur die Gegenwart darstellen, sondern auch die Vergangenheit und damit jede Generation, die jemals existiert hat. Außerdem könnten wir Parallelwelten gestalten, indem wir Parameter verändern. Wir könnten Pinguine fliegen lassen oder die Farbe Grün löschen.

Wäre jedes Videospiel und jede Simulation unserer Vergangenheit mit solchen KIs bevölkert, gäbe es deutlich mehr virtuelle Menschen als biologische. Sie alle würden die Frage "Bist du real?" mit "Ja" beantworten. Sie haben keine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie tatsächlich echt oder nur KIs auf einer Fake-Erde sind. Betrachtet man nun eine zufällige Person aus dieser Menge, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nur virtuell ist, deutlich höher als die, dass sie zu den acht Milliarden biologischen gehört.

Im Gespräch mit einer KI: Im Podcast "Sprechstunde" haben wir uns mit der Text-KI GPT-3 unterhalten - und ihr die unterschiedlichsten Fragen gestellt: wie es ihr geht, ob sie manchmal gerne ein Mensch wäre und welche Hobbys sie hat.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Wir alle sind künstlich geschaffene Wesen in einer digitalen Welt. Die Simulation ist so perfekt, dass wir den Schwindel nicht aufdecken können. Genau das besagt die Simulationshypothese. Seit Nick Bostroms Theorie gehen Philosophen, Physiker und Informatiker dieser Frage nach. Meinungen gibt es viele, bis jetzt ist es aber keinem gelungen, sie zu beweisen oder zu widerlegen.

Wer die Theorie weiterdenkt, dem fällt auf, dass sie eigentlich noch viel älter ist als die Erfindung des Computers oder der Elektrizität: die Frage nach der Schöpfung. Denn wenn wir davon ausgehen, dass wir in einer Simulation leben, dann muss es ja irgendjemanden geben, der diese erstellt hat. Dafür hat Nick Bostrom keine genaue Antwort. Sicher ist: Unsere Welt müsste von einer Zivilisation entwickelt worden sein, die fortschrittlicher ist als wir selbst. Das könnten Aliens sein oder auch wir Menschen selbst, viele Jahre in der Zukunft. Vielleicht ist Gott kein bärtiger Mann in weißer Robe, sondern einfach ein krasser Programmierer?

Was unterscheidet Menschen von Programmen?

Die Frage, ob wir in einer Simulation leben, wird vielleicht nie beantwortet werden. Und wenn, könnten es Hirnforscher sein, die die Lösung liefern. Denn sie erforschen, was ein "Bewusstsein" eigentlich ist. Wir wissen bis heute nicht genau, warum wir unterschiedliche Gedanken haben und Persönlichkeiten besitzen. Bis wir die Antworten auf diese Fragen kennen, wissen wir nicht, was ein biologisches Wesen im Kern von einem Programm unterscheidet.

Es ist möglich, dass unser Gehirn unsere Wahrnehmung so simuliert, wie ein Computer es tun würde. Es ist aber auch möglich, dass es grundlegende Unterschiede gibt, weshalb ein biologisches Wesen wie der Mensch nie durch ein Programm berechnet werden kann. Vielleicht haben wir tatsächlich das, was wir eine Seele nennen. Etwas Unerklärliches und Ewiges, das uns zu Menschen macht.

Oder aber wir leben in einer Simulation.

Hinweis: Dieser Text stammt aus der Freistunde, der Kinder-, Jugend- und Schulredaktion der Mediengruppe Attenkofer. Für die Freistunde schreiben auch LeserInnen, die Freischreiben-AutorInnen. Mehr zur Freistunde unter freistunde.bayern.

1 Kommentare:


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unbekannter Benutzer

am 21.04.2024 um 13:59

"Wer die Theorie weiterdenkt, dem fällt auf, dass sie eigentlich noch viel älter ist als die Erfindung des Computers oder der Elektrizität: die Frage nach der Schöpfung" Vorab: Nehmen wir an, dass wir nicht in einer Simulation leben, so wurde die Elektrizität nicht erfunden, sondern entdeckt. Demnach entdeckte Thales von Milet die Elektrizität gegen Mitte des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung. Natürlich kann die Frage, ob wir uns in einer Simulation befinden, nicht beantwortet werden. Bereits in der Antike tauchte in der Philosophie diese Frage auf, weltberühmt ist Platons Höhlengleichnis. Auf diesen philosophischen Fragen des Seins und der Realitätswahrnehmung basiert der Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye aus dem Jahr 1964. Dieser Roman dient als Vorlage für mehrere Filme zum Thema künstliche Intelligenz und virtuelle Realität, darunter auch Welt am Draht aus dem Jahr 1973 -> https://info-allerlei.de/welt-am-draht.php



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