Keine Rückkehr zur Normalität

Ostbayerns Wirtschaft in der Corona-Sackgasse


Kurzarbeit, Entlassungen, Insolvenzen: Wohl die unausweichlichen Folgen der Corona-Maßnahmen. Das lässt die Frage aufkommen: Gibt es für die Unternehmen in Ostbayern überhaupt einen Weg zurück zur "Normalität"? (Symbolbild)

Kurzarbeit, Entlassungen, Insolvenzen: Wohl die unausweichlichen Folgen der Corona-Maßnahmen. Das lässt die Frage aufkommen: Gibt es für die Unternehmen in Ostbayern überhaupt einen Weg zurück zur "Normalität"? (Symbolbild)

Nach sieben Wochen Lockdown wünschen sich zahlreiche Menschen, vor allem die Unternehmer in Ostbayern eine schnelle Rückkehr zur "Normalität". Aber gibt es die nach dem Corona-Lockdown überhaupt noch? Eine Veröffentlichung des Statistischen Landesamts zeigt die ersten Ausläufer einer Insolvenzwelle. Industrie- und Handelsvertreter sagen unverblümt, dass die Auswirkungen der Maßnahmen schon jetzt "unumkehrbar" sind.

Nach der Krise kommt wohl erst die Krise. In den vergangenen Tagen hat die bayerische Staatsregierung Lockerungen bei den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Aussicht gestellt. Für viele ostbayerische Betriebe würden sie schon jetzt zu spät kommen: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Niederbayern spricht von 17,6 Prozent mehr Insolvenzen im März 2020 als im Vorjahreszeitraum. Von den Firmenpleiten sind demnach 160 Beschäftige betroffen, aktuell laufen 60 Insolvenzverfahren - "und das scheint nur der Anfang zu sein, denn fast jedes zehnte Unternehmen in Niederbayern hat in einer IHK-Umfrage schon zu Beginn der Krise eine Insolvenz wegen der Corona-Pandemie befürchtet", erklärt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Martin Frank. Mit den Ausgangsbeschränkungen ab 20. März habe sich die Lage noch einmal dramatisch zugespitzt. Besonders betroffen von der Insolvenzwelle sind bisher die Landkreise Dingolfing-Landau, Regen und Landshut. Die Insolvenz-Zahlen aus Niederbayern liegen damit in etwa auf dem Niveau des bayernweiten Durchschnitts von 18 Prozent mehr Insolvenzen im Vergleich zum Vorjahr. Im Freistaat sind schon jetzt mehr als 2.700 Beschäftigte von einer aktuell laufenden Betriebsinsolvenz betroffen.

Kennzahlen in der Oberpfalz wohl trügerisch

In der Oberpfalz sehen viele der Kennzahlen deutlich besser aus. Die Zahl der Gewerbeabmeldungen, zu denen auch Geschäftsaufgaben gehören, hat im März in der Oberpfalz sogar im Vergleich zum Vorjahr abgenommen. 413 Gewerbabmeldungen gab es laut Auskunft der IHK Regensburg für die Oberpfalz und Kelheim im März 2020 und damit 165 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Laut Sprecher Peter Burdack fliegen die Verwerfungen wohl derzeit noch unter dem statistischen Radar: "Die gesunkene Zahl liegt vermutlich an der geänderten Rechtslage durch die Coronakrise." Wegen der sogenannten Corona-Krise sei die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September ausgesetzt. Die IHK-Experten für Gründung und Unternehmensfinanzierung rechnen erst danach mit einer Flut an Insolvenzen: "Die IHK Regensburg für Oberpfalz und Kelheim bereitet sich zu diesem Thema bereits jetzt auf vermehrten Beratungsbedarf ihrer Mitgliedsunternehmen ab dem Spätsommer vor." Ein klareres Bild der Lage dürfte aber die Konjunkturumfrage geben, die die IHK Regensburg für die Oberpfalz und Kelheim Ende Mai veröffentlichen will.

Quadratmeterbeschränkungen und abgerissene Lieferketten

Besonders schwierig mache die Lage für die Unternehmen, dass der Zeitpunkt für das Ende der Corona-Maßnahmen noch immer ungewiss sei: "Die regionale Wirtschaft kann nicht auf eine Nach-Corona-Phase warten, es gilt, dass sie währen der Krise handlungsfähig bleibt", sagt Peter Burdack. Viel mehr als das einzufordern, bleibt den Kammern wohl im Moment nicht übrig. Bei den ersten Lockerungsbestimmungen kam die Justiz zu Hilfe: Die 800-Quadratmeter-Regelung für Geschäfte ist vorerst gekippt - der bayerische Verfassungsgerichtshof sah die Beschränkung als verfassungswidrig an. Wie aber sonst Mindestabstände einhalten? "Wir fordern eine Regelung nach dem Prinzip ‚20 Quadratmeter pro Kunde' - unabhängig von der Größe des Geschäfts", erklärte Burdack gegenüber idowa.

Die Entwicklung nach den ersten Lockerungen setzt dem Optimismus allerdings Grenzen, auch für den Fall, dass die Corona-Maßnahmen schon morgen aufgehoben würden - denn auch mit dem Wegfall der Beschränkungen ist die wichtigste Geschäftsgrundlage immer noch der Kunde: "Die spürbar gebremste Kauflaune und der weiterhin geltende Lockdown für das Hotel- und Gastgewerbe, die regionalen Touristikunternehmen, Messebauer, Eventveranstalter und eine ganze Reihe von weiteren Branchen macht uns große Sorgen", erklärt Martin Frank von der IHK Niederbayern. Der weltweite Lockdown habe zudem alle Lieferketten abreißen lassen: "Wenn wir uns vor Augen halten, dass die niederbayerische Industrie und hierbei insbesondere der Automobilsektor, der Maschinenbau und die Elektro-Industrie mit einer Exportquote von fast 55 Prozent mehr als jeden zweiten Euro im Export verdient, weiß man, was die Stunde geschlagen hat."

Doppelt schlecht für eine exportorientierte Wirtschaft, wenn der wichtigste Handelspartner gleichzeitig selbst ins Trudeln gerät: Die Exporte nach China sind mit dem Lockdown im Reich der Mitte laut einer weiteren Aufstellung des Landesamts für Statistik eingebrochen: "Während die gesamten bayerischen Exporte gegenüber Februar 2019 um 2,4 Prozent und die Importe um 3,5 Prozent sanken, nahmen die Exporte in die Volksrepublik China um 19,5 Prozent und die Importe um 16,6 Prozent ab."

Bald keine Gründer mehr?

Die ostbayerische Wirtschaft scheint derzeit selbst nicht an ihre Zukunft zu glauben. Den Schritt zur Unternehmensgründung wagen anscheinend immer weniger Menschen. So sieht die Zahl der Unternehmens-Neugründungen in Niederbayern für das erste Quartal 2020 mit einem Minus von vier Prozent noch recht solide aus. Allerdings deuten die März-Zahlen auch in Niederbayern eine rasante Talfahrt an: "Diesem Trend kann sich auch Niederbayern nicht entziehen. Dabei ist es nur ein schwacher Trost, dass unser Regierungsbezirk im März mit einem Minus von 22,3 Prozent bei den Gewerbeanmeldungen bayernweit noch am besten abschneidet", stellt Martin Frank fest.

In der Oberpfalz zeichnet sich die Gründerflaute noch deutlicher ab. 470 neu gegründete Unternehmen im März 2020 bedeuten einen Rückgang um fast ein Drittel des Vorjahreswerts. "Die Auswirkungen durch die Coronakrise sind nicht umkehrbar", konstatiert Peter Burdack von der IHK Regensburg, "daran würde auch ein sofortiges Ende des Lockdowns weder kurz- noch mittelfristig etwas ändern, schon allein, wenn man sich die Verwerfungen bei den internationalen Wertschöpfungsketten vor Augen führt. Es wird Jahre dauern, bis die Wirtschaft sich vollends vom gegenwärtigen Einbruch erholt haben wird, da darf man sich nichts vormachen."

Ähnlich klingt das auch bei Martin Frank von der IHK Niederbayern: "Ich habe keine Glaskugel, selbst der Szenarien-Kanon der Wirtschaftsforschungsinstitute, des Sachverständigenrats der Bundesregierung wie auch die Einschätzung der Bundesregierung selbst ist breit. Der Korridor reicht von Ende 2021 bis 2023 und darüber hinaus - eben abhängig, wie lange die Einschränkungen für die Wirtschaft anhalten. So schnell wie der Shutdown wird es jedenfalls nicht gehen."