Freischreiben Kurzgeschichte: "Ein anderer Atem"

Der Blick in die Sterne bringt zum Nachdenken. Der Protagonist in der Kurzgeschichte von Yasmine findet sich auch unter dem Nachthimmel wieder. Foto: pixabay.com

Eine Kurzgeschichte von Freischreiben-Autorin Yasmine Twardy.

Im Endeffekt hat sie jeder, aber trotzdem irgendwie keiner. Mit den Fingerspitzen ertastest du sie nicht, aber trotzdem fühlst du ihre immense Intensität in jeder Faser deines Körpers. Sie schweben über dir, neben dir, blockieren deine Sicht oder klären sie, machen den Weg frei oder verschütten ihn mit aller Macht, schubsen dich in die tiefsten Abgründe oder lassen dich in schier unerreichbaren Höhen hinaufschweben. Sie fressen dich Stück für Stück auf und sprengen dich in kleinste Splitter oder flicken dich zusammen und formen dich zu etwas Wunderschönem. Entweder du verbrennst daran zu Staub und Asche oder sie entflammen dich zum Kampf.

Sie befinden sich irgendwo zwischen dem lodernden Höllenfeuer der Angst und dem himmlischen Windstoß der Motivation und hadern mit der Selbstverwirklichung und der Selbstzerstörung. So weit weg, wie sie sein können, so zum Greifen nahe können sie kommen. Und entweder du erstickst an ihnen und gehst zugrunde oder bekommst zum ersten Mal Luft und steigst in der Rangliste der Welt auf. Die Schönheit an ihnen ist so unbeschreiblich groß, doch nicht recht viel kleiner ist ihre grenzenlose Abscheulichkeit. Wie eine Münze haben sie zwei Seiten und welche Seite fällt, ist weder vorherzusehen, noch zu beeinflussen.

Seine Gedanken waberten in seinem Kopf, die sanften grünen Augen hinter den Lidern verborgen. Die blonden struppigen Haare flatterten leicht in der sanften Brise der Nacht und der Mond glitzerte ihm mit zahllosen kleinen Sternen beruhigend entgegen und schien sich mit den funkelnden Silberringen an seinen Händen zu messen. Seine schlanken Finger zitterten leicht, als er die schwarze Kappe von seiner Brust nahm, die Haare zurückstrich, sie aufsetzte und sich tiefer ins Gesicht zog. Sein polierter Motorradhelm reflektierte den Sternenhimmel über ihm auf verzerrte Weise, und tarnte sich mit dem grün-schwarzen Design zwischen dem Gras und der unendlichen Tiefe der pechschwarzen Nacht.

Ein leises Klimpern war von der zierlichen Silberkette um seinen Hals zu vernehmen, als er sich regte, und die Kälte kroch zwischen den Fasern seines dunkelgrauen Shirts hindurch langsam in seinen Körper. Unbehagliche Gänsehaut lief über seine Schultern und seinen Nacken und kitzelte seinen Rücken. Sie ließ ihn erschaudern, die sanften, rötlichen Lippen fest zusammengepresst. Langsam öffnete er die Augen. Sie brannten von den Tränen. Er verkrampfte leicht.

Alles, was er hörte, war das Rauschen seines kochenden Blutes in seinen Ohren, beschleunigt vom pochenden Herz in der Brust und begleitet vom Ton seines überanstrengten und unter Stress knackenden Kiefers. Luft schien seinen gereizten Lungen zu fehlen und lediglich erstickte Laute entkamen seiner trockenen Kehle.

Ruckartig setzte er sich auf, die Hände fest ins Gras gekrallt und die Zähne fest zusammengebissen. Warme Tränen rannten in zierlichen Flüssen über sein markantes Gesicht, auch über seine definierten Wangenknochen und tropften auf seine blaue Jogginghose und hin und wieder auf sein dunkelgraues Shirt. Mit einer groben Bewegung wischte er sich über die geröteten Augen und das blasse Gesicht. Der Frust beflügelte seine Zweifel. Und nachdem ein leises Fluchwort seine Lippen verließ, war kein Geräusch außer das Zirpen vereinzelter Grillen zu hören.

Das aschgraue Motorrad stand einige Meter entfernt von ihm, still und lauernd wie ein wildes Tier. Die beinahe schmerzhaft grellgrünen Highlights leuchteten im seichten Himmelsschein und das Gras knickte sich unter den groben Reifen und der Schwere des Motorrads. Es erinnerte in seiner Form und in seinem Auftreten an ein halbgezähmtes Biest und knisterte von unvergesslichen Erfahrungen und Erinnerungen. Es vermittelte eine Freiheit, die man mit Worten nicht fassen kann, und für die Gefühle und Gedanken kaum zu reichen vermochten. Es hatte einen eigenen Rhythmus, einen eigenen Puls, ein ganz eigenes Leben. Es roch anders und war schneller als alles, was man sich nur vorstellen konnte. Es war eine Form von Freiheit in all ihrem Glanz und ihrer Schönheit.

Sein Blick fiel auf das Motorrad, und erneut kamen ihm die Tränen, überfordert mit den Erinnerungen und seinen eigenen Gedanken, fast von Angst erwürgt. Und zwischen alldem tanzten sie, wanden sich und streckten die begierigen Hände aus: die Wünsche. Sie nagten an seinen Gedankengängen, seinem Wesen und seinen Taten, spiegelten und drehten, veränderten und spalteten.

Trotzdem stand er auf, öffnete den Rucksack und zog sich seine Motorradausrüstung Stück für Stück in aller Ruhe an. Die Kappe steckte er zurück in die hintere Tasche, schloss den Rucksack wieder, zog den Henkel über die Schultern und setzte den Helm auf. Die Schlüssel klimperten ihre eigene Melodie, als er sie in das Zündschloss steckte und sich auf die Maschine setzte. Er dreht den Schlüssel, zog den Kupplungshebel und das Motorrad startete. Willens schnurrte es ein altbekanntes Lied unter ihm und seine Schultern entspannten sich.

Und alles, was man hörte, war das dröhnende Knurren des Motors und das Hecklicht verblasste in der Ferne.

Oft verliert man sich zwischen ihnen. Den Wünschen. Leider verbünden sich die schlechten so oft mit den Selbstzweifeln und verletzen einen in einem unmenschlichen Ausmaß. Sie fressen einen auf und zerstören Beziehungen, Freundschaften, das Leben und einen selbst. Sie geraten in zu großer Menge viel zu oft außer Kontrolle und machen mehr kaputt, als einem selbst wirklich bewusst ist. Aber dennoch: Sie sind wirklich etwas Wunderschönes und Einzigartiges. Es gibt nichts, was man mit ihnen vergleichen könnte.

So essenziell, wie sie sind, so sehr muss man sie beobachten und beruhigen. Oder sie verlieren ihre Schönheit und zeigen dir, wie unfassbar hässlich etwas sein kann. Ich weiß, dass auch du Wünsche hast. Wichtige und unwichtige. Teure und billige. Große und kleine. Leichte und schwere. Sei sie dir bewusst und setz sie dir so, dass du nicht daran kaputt gehst, aber du dich in all deiner Größe befreien und entwickeln kannst.

Ich möchte nicht, dass du untergehst und ich möchte, dass du weißt, dass du nie alleine bist. Eine Person wird es immer geben, und wenn es nur ich bin. Die kleine freundliche Stimme in deinem Kopf, die das hier in deinen Gedanken flüstert. Es gibt viele Menschen, die dich entweder bereits unterstützen oder es mit allem, was sie haben, tun möchten. Du bist nicht alleine, warst es nie und wirst es nie sein. Auch wenn sie oft nicht überall auffällt: Liebe ist überall, auf ihre eigene und spezielle Art und Weise. Und wie die Liebe Wünsche braucht, so brauchen die Wünsche Liebe.

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