Landshut Straubing

Matthias Keck über seine Erfahrungen mit der Bahn


Bedrückende Bilder: Viele Bahnhofsgebäude an der Strecke der Gäubodenbahn verfallen. Hier zu sehen: Die Stationen Geiselhöring (links) und Laberweinting.

Bedrückende Bilder: Viele Bahnhofsgebäude an der Strecke der Gäubodenbahn verfallen. Hier zu sehen: Die Stationen Geiselhöring (links) und Laberweinting.

Matthias Keck pendelt täglich mit dem Zug von Landshut nach Straubing. Dabei stellt er fest: Bei der Bahn läuft einiges schief. Das sind seine Erfahrungen.

Ein Mittwochabend im Oktober. Ich sitze in der Gäubodenbahn aus Straubing. Früher fand ich Zugfahren aufregend. Es war voller Fernweh und Aufbruchstimmung. Heute ist es Alltag. Und gerade will ich mit der Bahn einfach vorwärtskommen. Für den Feierabend in Landshut habe ich ein Essen mit meiner Cousine geplant. Ein Blick aufs Handy: kurz nach 19 Uhr. Zehn Minuten Verspätung. Verdammt! Habe ich Chancen, den Anschluss in Neufahrn um 19.12 Uhr zu erreichen?

Es gibt von Straubing nach Landshut täglich eine Verbindung ohne Umstieg - mittags, also für Berufspendler ungeeignet. Ein direkter Zug von Landshut nach Straubing fehlt. Das ist in Niederbayern oft der Fall. Zwischen den fünf größten Städten - Landshut, Passau, Straubing, Deggendorf und Dingolfing - ergeben sich 20 Verbindungen. Nur bei sechs davon fahren stündliche Direktzüge. Elfmal gibt es überhaupt keine durchgängige Verbindung, auf den übrigen nur vereinzelte Direktzüge. Straubing und Deggendorf sind besonders schlecht erreichbar.

Die Haltestation in Laberweinting ist auch kein freudiger Anblick.

Die Haltestation in Laberweinting ist auch kein freudiger Anblick.

Warum? Ich frage die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG). Sie organisiert und finanziert den Nahverkehr der Bahn im Auftrag des Freistaats Bayern. Laut der BEG liegt es an der "lokal unterschiedlichen Nachfrage" - vielerorts seien Direktverbindungen schlicht nicht wirtschaftlich. Das mag sein, für die Fahrgäste dieser Städte wären sie aber eine große Erleichterung.

19.15 Uhr: Mein Zug hält in Neufahrn. Ich sprinte zur Anzeige und sehe, was ich befürchtet habe: Der Zug, der in Landshut hält, ist schon weg. Der nächste fährt um 19.49 Uhr. Zum Essen um 20 Uhr komme ich also nicht pünktlich ...

Eine offizielle Verspätung liegt laut Deutscher Bahn (DB) ab sechs Minuten vor. Dabei wird nur eine einzelne Zugfahrt beachtet. Die DB begründet das mit einem europäischen Standard. Eine Sprecherin der BEG gibt zudem an, die Gäubodenbahn, ein Netz der DB, wäre wegen der "Einseitigkeit der Strecke" unflexibel, Anschlüsse abzuwarten. Das bedeutet: Auch bei kleinen Verzögerungen der Gäubodenbahn komme ich bis zu einer Stunde nach planmäßigem Zeitpunkt erst am Ziel an.

In Neufahrn schütze ich mich unter dem Haltestellendach vor dem Nieselregen. "Sorry, ich komme später. Bahnfahren ist auf der Strecke einfach scheiße!", schimpft eine Frau hinter mir in ihr Handy. Ich verstehe ihren Unmut und frage mich: Wie können diese 65 Kilometer zwischen Straubing und Landshut so oft so anstrengend sein?

Beide Städte sind bedeutsam für die Region: Landshut ist Bezirkshauptstadt Niederbayerns und Hochschulstadt, Straubing Universitätsstadt. Wenn schon keine direkte, sollten sie wenigstens eine durchgehend pünktliche Zugverbindung besitzen.

Aber immer wieder hat der Zug nach Neufahrn - egal ob von Landshut oder Straubing - eine Verzögerung. Immer wieder verpasse ich so den Anschluss. Und meine gesamte Verspätung wächst an auf eine Stunde.

Ich lege der DB Notizen dazu vor: Am 5., 6., und 7. Oktober betrug meine Verspätung je etwa 60 Minuten. Ein DB-Sprecher zeigt sich einsichtig: Ein noch "g'schmeidigerer" Schienenverkehr müsse gewährleistet werden, mit zuverlässiger Anschlusssicherung. Ein Teil der Lösung könne der "Deutschlandtakt" sein, den das Bundesverkehrsministerium umsetzen möchte: Zwischen wichtigen Städten sollen alle 30 Minuten Züge fahren und regionale Verbindungen darauf abgestimmt werden. Das Ziel: "intuitives Reisen" ohne Fahrplan. "In Teilen Bayerns ist das schon möglich", sagt der Sprecher. Bis der Plan in ganz Niederbayern umgesetzt sei, werde es jedoch sicherlich noch einige Jahre dauern.

19.30 Uhr, mir ist kalt. Ich will in einen Innenraum flüchten. Der riesige Neufahrner Bahnhofsbau ist aber nicht zugänglich: verbretterte Fenster und verschlossene Türen statt Bäcker oder Bahnhofscafé. Das Bundesbahn-Logo auf der Frontseite wirkt wie eine traurige Erinnerung an einen einst lebhaften Bahnhof. Ich bin heilfroh, als der Zug endlich ankommt und mich wegbringt.

Gäste der Gäubodenbahn sehen während der Fahrt viele geschlossene Bahnhofsgebäude. Nur ist der Neufahrner Bahnhof ein wahres Drehkreuz. Hier steigen Fahrgäste aus Straubing um, die auf dem Weg nach Landshut, München, zum Flughafen MUC, nach Freising oder Nürnberg sind.

Ich möchte von der DB wissen, warum sie in Neufahrn keinen Service mehr anbietet: "Vor 100 Jahren waren Bahnhöfe Prunkbauten. Aber als Aktiengesellschaft müssen wir sie nach wirtschaftlichen Kriterien betreiben", antwortet der Sprecher. Denn in den 1990ern wurde die damalige Bundesbahn, die Staatsbahn der Bundesrepublik, mit der Reichsbahn der DDR vereinigt. Die Deutsche Bahn AG entstand. Sie muss Gewinne bringen.

Für Deutschland war das ein finanzieller Vorteil. Aber dadurch wurden viele Bahnhofsgebäude verkauft, wie auch in Neufahrn. Dort gibt es jedoch Hoffnung: Das Gebäude wird aktuell restauriert, bis Ende nächsten Jahres soll darin ein Café entstehen. Doch verlassene Bahnhöfe anderer Gemeinden sind Schandflecke, was auch die DB weiß. "Aber der Verkauf von Immobilien, die man nicht zwingend benötigt, war Teil der Bahnreform."

Tags darauf, 8.30 Uhr. Ich warte am Landshuter Hauptbahnhof. Nach 20 Minuten höre ich: Mein Zug entfällt. In einem anderen, der einen Zusatzhalt einlegt, fahre ich um circa 9 Uhr Richtung Neufahrn. Dort warte ich eine weitere halbe Stunde, dann tuckert die Diesellok nach Straubing mit krachendem Getöse an.

Schon in den 1920ern fuhren Züge von Landshut nach Neufahrn elektrisch. Die Gäubodenbahn aber nutzt bis heute Dieseltriebwagen.

Umweltfreundlicher Verkehr funktioniert nur mit der Bahn. Denn sie kann Fernstrecken abgasfrei befahren. Doch es ist ärgerlich und nicht zeitgemäß, dass manche regionale Netze immer noch auf Verbrennungsmotoren setzen.

Der Sprecher der DB weist die Verantwortung dafür von sich: Die DB sei lediglich "Architekt und Kümmerer" fürs Schienennetz. Sie fahre im Wettbewerb mit anderen Bahnen. Der Bund sei zuständig für den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur. Der zahle Oberleitungen aber nur auf überregional bedeutsamen Strecken. "Der Regionalverkehr - wie auf der Gäubodenbahn - wird vom Freistaat Bayern geplant und bestellt." Die BEG widerspricht: "Der Aus- und Neubau von Schieneninfrastruktur ist grundsätzlich Aufgabe des Bundes." Wer ist also zuständig? Diese Frage bleibt.

Im Zug gehe ich zur Toilette. Gestank von Urin und Stuhlresten schießt mir in die Nase. Angewidert schließe ich die Tür und suche einen Sitzplatz. Der Schaffner kommt zur Fahrkartenkontrolle. Von mir verlangt er aber kein Ticket, sondern grinst mich gutmütig an: "Guten Morgen!" Er kennt mich und weiß, dass ich eine Jahreskarte besitze. Wie nett! Der Ekel von der Toilette ist bald vergessen.

Die Situation zeigt meine Einstellung zum Bahnfahren nach über zwei Monaten als Pendler perfekt: Ich spüre kein Fernweh und keine Aufbruchstimmung mehr bei jeder Fahrt. Aber auch keine Wut. Es ist Hassliebe.