[Frei]stunde!
"Komm in die Wildnis"

Wildkatze Papa Schlumpf begrüßt Eindringlinge in seinem Gehege mit einem misstrauischen Fauchen. (Foto: Rainer Primbs)
Ein großes, über 900 Jahre altes Landschloss, von oben bis unten mit Efeu bewachsen und umgeben von einer wilden Insel voll urwüchsiger Landschaft. Hier befindet sich der Sitz des Umweltzentrums "Schloss Wiesenfelden". Unterstützt wird diese Einrichtung, die zu den ältesten bayerischen Umweltbildungsinstitutionen zählt, vom Bund Naturschutz in Bayern. Das Umweltzentrum ist ein Lernort für naturpädagogische Arbeit. Es bietet Erlebnisangebote für alle Altersgruppen an, um auf einprägsame Weise über die Natur und ihre Bewohner zu informieren. Das Team des Umweltzentrums engagiert sich außerdem für die Arterhaltung von einheimischen Wildtieren. Hier hat man noch das Glück, einer Wildkatze oder einem Luchs in die Augen schauen zu können. In freier Wildbahn ist das leider selten geworden.
Ein schmaler Weg an der Seite des Landschlosses führt uns an einigen Apfelbäumen vorbei. Beate Seitz-Weinzierl bückt sich und sammelt Fallobst auf. "Da unten laufen Rehe frei rum und wenn man sich vorsichtig nähert, kann man sie füttern. Sie lieben Äpfel", erklärt die Leiterin des Umweltzentrums "Schloss Wiesenfelden" leise. "Da unten" ist das rund fünf Hektar große Wildnisgelände, in dem unter anderem auch Wildkatzen und Luchse untergebracht sind. Über eine Holztreppe erreicht man pure Natur mit alten Baumgestalten, Weihern und einem kleinen Bachlauf. Und schon sind sie da, die ersten Waldbewohner. Eine Herde von zwölf Rehen und Hirschen beäugt uns aufmerksam. Jetzt heißt es stehenbleiben und sich ganz ruhig verhalten. Die Äpfel als Bestechungsmittel helfen und die Tiere fressen tatsächlich aus der Hand. Nur streicheln lassen sie sich nicht, Wildtier bleibt eben doch Wildtier. "Sie kennen Menschen von den vielen Führungen", sagt die Diplomtheologin. "Zu uns kann jeder kommen. Wir bieten Kulturveranstaltungen für Erwachsene, Familienangebote wie ,Wilde Sonntage' oder Feriencamps für Kinder und Jugendliche an. Da ist für jeden was dabei."
Wildkatzen sind Wasserfans
Die heimlichen Stars des Geländes sind die Wildkatzen. Bereits 1984 wurde im Wildnisgelände eine Wildkatzenzuchtstation errichtet. Das Ziel war, die Wildkatze in Bayern wieder anzusiedeln. Weil die Tiere gejagt und ihr Lebensraum Wald aufgeforstet wurde, war die Art bis auf wenige Restbestände nahezu verschwunden. Inzwischen werden keine Wildkatzen mehr ausgewildert, es leben wieder etwa 500 davon in Bayern. Leider fallen viele dem Verkehr zum Opfer.
Die sieben Wiesenfeldener Wildkatzen aber haben Glück. Bonzo, Paulchen, Amanda und Co. leben in Großraumgehegen, wo auf ihre Bedürfnisse besonders Rücksicht genommen wird. Eine europäische Wildkatze liebt Mischwälder, Waldwiesen und Möglichkeiten zum Klettern oder Verstecken. Deswegen finden sich in den naturbelassenen Gehegen Gebüsche, Kletterbäume und hohle Baumstämme. Außerdem haben sie erfahrene Betreuer, die ihnen tote Tauben, Küken und Mäuse füttern. "Würden diese Katzen ausgewildert werden, wäre das anders. Sie bekämen auch Lebendfutter, um ihre Fähigkeit zur Jagd in der freien Wildbahn nicht zu verlernen", erklärt Seitz-Weinzierl. Obwohl die Wildkatze der Hauskatze auf den ersten Blick ähnelt, findet der Kenner Unterschiede. Mit ihrem kräftigeren und gedrungeneren Körperbau ist die Wildkatze wie gemacht für das Leben in freier Wildbahn. Ihr Schwanz ist buschiger und zeigt an seinem Ende die charakteristischen dunklen Ringe. Die Europäische Wildkatze ist auch eine eigene Art und keine verwilderte Hauskatze, wie viele meinen. Als Vorfahr für unsere Hauskatzen diente vielmehr die afrikanische Falbkatze. Nachwuchs bekommt die Wildkatze nur einmal im Jahr. Nach einer Tragzeit von 63 Tagen bringt sie zwei bis vier Junge zur Welt. Katzen haben Angst vor Wasser? Von wegen! Die Wildkatze hat mit dem kühlen Nass kein Problem und nimmt sich von ihrem Schwimmausflug gerne auch noch einen Fisch mit. Im Gegensatz zur Hauskatze schmeichelt sie sich nie ein. Sie zeigt sich als stolzes selbstsicheres Wesen, das den Menschen für überflüssig hält. Deswegen blieben alle Versuche, Wildkatzen zu zähmen, bisher erfolglos.
Luchs im Blitzlichtgewitter
Und noch ein weiteres Wildtier verlangt ein paar Meter vom Wildkatzengehege entfernt nach Aufmerksamkeit. Der Luchs Carlo, der sich sein Gehege mit Artgenossin Lena teilt, schleicht elegant an der Abgrenzung seiner Behausung entlang und verfolgt uns mit seinen goldenen Augen. "Er liebt es, fotografiert zu werden", lacht die Journalistin.
Im Jahr 2002 wurde das moderne Gehege für die zwei Luchse hinzugefügt. Die großen Katzen mit den Pinselohren stammen ursprünglich aus dem Tiergarten Straubing. Die Art war in Westeuropa bereits ausgerottet. Aber ab etwa 1950 wanderten wieder Luchse aus angrenzenden Gebieten ein und wurden auch gezielt angesiedelt. In freier Wildbahn auf einen Luchs zu stoßen, ist trotzdem sehr unwahrscheinlich, denn die Tiere sind Einzelgänger und leben im Verborgenen.
Kampf gegen Artensterben
Die Wildkatzen wie auch die Luchse dienen im Umweltzentrum "Schloss Wiesenfelden" als "Botschafter für die Wildnis" in der naturpädagogischen Arbeit. "Ich habe schon die wildesten Rabauken ganz zahm werden und stundenlang fasziniert vor den Wildkatzen sitzen sehen", erzählt Beate Seitz-Weinzierl. "Viele Kinder und auch Erwachsene kennen richtige wilde Tiere oft nur noch aus dem Fernsehen. Dabei liegt uns die archaisch vererbte Verbindung von Mensch zu Tier unzerstörbar im Blut."
Unzerstörbar sind gefährdete Wildttiere nicht. Deswegen bemüht sich das Umweltzentrum "Schloss Wiesenfelden" mit Erlebnisführungen und spielerischem Lernen zu den verschiedensten Themen Menschen aller Altersgruppen zu erreichen und ihr Bewusstsein für alle Aspekte der Natur zu fördern. Wer will, kann auch eine Tierpatenschaft für eine Wildkatze oder einen sLuchs übernehmen. So kann jeder den Kampf gegen das Artensterben unterstützen. Denn ist eine Art erstmal ausgestorben, kann das niemand mehr rückgängig machen. Deswegen sollten wir an zu Unrecht verfolgten Tierarten soviel wie möglich wiedergutmachen, damit so wunderschöne Tiere wie Wildkatzen und Luchse nicht bald nur noch im Fernsehen zu sehen sind