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Große, weite Welt oder altbekanntes Zuhause?


Alicia Müller (23) studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften in Passau.

Alicia Müller (23) studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften in Passau.

Von Alicia Müller

"Endlich hinaus in die große, weite Welt oder doch lieber in der Heimat zurückbleiben?" Diese Frage stellt sich fast allen irgendwann. Meistens nach der Schule oder der Ausbildung. Aber muss man wirklich in die Metropolen, um etwas zu erleben? Oder ist die Kleinstadt vielleicht gar nicht so perspektivlos und spießig, wie wir oft meinen? Auch für mich ist es bald soweit und ich werde vor der großen Entscheidung stehen, wohin es mich in Zukunft verschlagen wird. Bisher habe ich mich vor dieser Entscheidung noch gut drücken können. Nach dem Abitur fand ich mit einem nicht zu weit entfernten Studienort noch einmal einen Kompromiss und pendele seitdem zwischen Fremde und Heimat. Bald wird das Studium aber zu Ende gehen. Und dann?


"Wer eine gute Arbeit finden will, muss heutzutage einfach flexibel sein, was den Wohnort angeht", hört man ständig. Dabei ist oft nicht nur die nächst größere Stadt gemeint, sondern auch ganz Deutschland. Oder im Idealfall die ganze Welt. Kein Wunder also, dass Auslandssemester einen regelrechten Boom erleben. War es vor ein paar Jahren noch etwas Besonderes, mehrere Monate in England zu verbringen, scheint es mittlerweile schon Standard geworden zu sein. Und nicht nur das. Man hat schon beinahe das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, wenn man mit Mitte 20 das Land nur im Urlaub verlassen hat. Aber mal ehrlich: Ist so ein Auslandsaufenthalt nicht teilweise auch ein verlängerter, von Vorlesungen unterbrochener Urlaub? Studienorte wie Bali lassen diese Vermutung zu.

Viele unbekannte Gesichter
Aber nicht nur während des Studiums oder der Schule zieht es viele raus in die weite Welt. Richtig ernst wird es erst danach. Gründe für das Verlassen der Heimat gibt es viele. Irgendwann kennt man einfach jede Ecke, jedes Gebäude. In den Straßen immer nur dieselben Gesichter. Irgendwann erreicht man den Punkt, an dem man das alles nicht mehr sehen kannan dem man einfach mal etwas Neues sehen will. Auch ich gelange langsam an diesem Punkt an. Wie schön wäre es, in einer großen Stadt zu leben, in der einen niemand kennt! Einfach mal in der Masse verschwinden und tun und lassen, was man möchte, ohne Dorfgespräch zu sein. Wie schön wäre es, über den Stadtplatz zu schlendern und gleich mehrere neue Geschäfte zu entdecken! Geschäfte, die für jeden Geschmack alles bieten. Oder wie schön wäre es, bei der Abendplanung mehr als die üblichen Diskos zur Auswahl zu haben, die immer dasselbe Programm liefern! Deswegen jetzt Hals über Kopf zu fliehen ist wohl auch nicht die Lösung. Denn was einem vielleicht zu Beginn noch imponiert, kann auf Dauer auch erdrückend werden. Die Anonymität der Großstadt kann einsam machen. Irgendwann wünscht man sich vielleicht nicht mehr, in der hektischen Masse unterzugehen, sondern erkannt zu werden und auch wieder jemanden zu erkennen.

Charme der Kleinstadt
Auch das Überangebot kann zum Problem werden. Ging man früher einfach in den einzigen Laden, den es im Dorf gab, muss man jetzt ständig Entscheidungen treffen - und das kann anstrengend werden. Noch anstrengender natürlich, wenn weder Freunde noch Familie in greifbarer Nähe zur Seite stehen. Die Kleinstadt hat also durchaus auch ihren Charmeden man ihr nicht aberkennen darf. Und, dass es hier keine Arbeit gibt, kann ja wohl auch nicht stimmen. Es gibt ja in der Kleinstadt nicht mehr Arbeitslose. Wahrscheinlich alles Gründe, warum man immer häufiger von Rückkehrern hört. Von Menschen, die das Leben in der Ferne für einige Zeit ausprobiert haben, um Erfahrungen zu sammeln, und dann doch wieder in die alte Heimat zurückkehren. Vielleicht auch eine Lösung für mich? Dass ich einmal raus aus dem heimischen Nest sollte, steht nämlich fest. Familie und Freunde ganz zu verlassen, kommt nicht in Frage. Also muss ich wohl wieder einen Kompromiss finden...