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"Florenz liebt Sport und Klavier"


Stefanie Maier kommt aus Laberweinting. Sie versteht ihren "Kumpel" Florenz auch ohne Worte. Der Neunjährige leidet an Autismus.

Stefanie Maier kommt aus Laberweinting. Sie versteht ihren "Kumpel" Florenz auch ohne Worte. Der Neunjährige leidet an Autismus.

Von Redaktion idowa

Florenz (Name von der Redaktion geändert) ist mein chinesisch-deutscher Kumpel, den ich vor fünf Jahren in der Schule kennenlernte. Als ich damals in die vierte Klasse ging, war er zwei Jahre jünger als ich und besuchte die Vorschulgruppe, wo er Singen auf Chinesisch lernte. In dieser Gruppe konnten die Kinder alle alleine hingehen, doch Florenz brauchte eine Begleitperson. In der Pause spielten die Kinder alle zusammen, aber er stand immer nur alleine dort, kaute auf seinen Fingern herum und führte Selbstgespräche. Doch wenn wir ihn einluden, mit uns zu spielen, weigerte er sich weinend. Seine Mama hat uns gesagt, dass er an Autismus leidet. Aber wo hat Florenz denn Probleme? Ich fragte bei seiner Mutter nach.

Mit zwei Jahren war Florenz ein ganz normales Kind. Er konnte besser als jedes andere Kind Lieder auswendig lernen. Als er etwa drei Jahre alt war, bemerkten seine Eltern, dass er immer mit runden Sachen spielte und im Kreis hin- und herging. Manchmal zog er seine Mama an den Haaren. Wenn man ihn davon abhielt, drehte er durch. Manchmal stieß er absichtlich mit dem Kopf gegen die Wand. Wenn er etwas essen wollte, zog er jemanden mit und zeigte, was er wollte. Sagen konnte er nichts. Bei vielen Menschen an einem Ort hielt er sich die Ohren zu. "All das sind typische Merkmale des Autismus", erklärt mir Florenz' Mama. Sie bat mich, viel mit ihm zu reden: "Man muss seine Kommunikations- und Deutungsfähigkeiten anreizen. Sonst wird er diese Fähigkeiten irgendwann verlieren."

Anfangs konnte ich das nicht glauben. Ich rief ihn bei seinem Namen, nahm Gummibärchen und ging langsam auf ihn zu. Wenn er das Gummibärchen unbedingt wollte, brachte ich ihn dazu, mir die Farbe des Gummibärchens zu sagen. Die Antwort konnte er nur noch schreien. Aber auch wenn die Aussprache undeutlich war, wusste ich, dass er die Farbe kennt. Wenn ich ihm die Hand reichte, gab er sie mir ganz normal. Nach der Schule zog ich ihn oft mit mir mit und wir sagten auf der Straße 2 000 Jahre alte chinesische Gedichte auswendig auf. Wir hatten viel zu lachen.

"Viele Freunde hielten sich von Florenz fern, als die Krankheit ausbrach", erzählt seine Mutter. "Die Klassenkameraden lachten ihn aus. So war Florenz, der sowieso schon ängstlich ist, noch bedrückter." Der idealste Zeitpunkt, sich gegen den Autismus zu wehren, sei im Alter von sechs Jahren, sagt Florenz' Mutter. Wenn man in dieser Zeit eingreife, dann sei die Wahrscheinlichkeit auf Besserung sehr groß. Doch Florenz brauche die Aufmerksamkeit und Fürsorge anderer Menschen dazu.

Ich wollte auch meinen Teil dazu beitragen. Ich passte öfter auf ihn auf. Ich lernte mit ihm die Zahlen von 1 bis 20 und das ABC. Wenn ich einen Satz sagte, sprach er mir nach. Florenz hört so genau hin! Wir lernten auch gemeinsam, die Zahlen zu schreiben. Und als ich ihm am Klavier die C-Dur-Tonleiter lernte, wollte er vom Klavier gar nicht mehr weg. Er untersuchte immer wieder, woher der Ton kommt, spielte hin- und her. Florenz hatte eine neue Welt für sich entdeckt. Seitdem hat er Klavierunterricht.

Florenz lernt sehr mechanisch. Wenn man ihm sagt, dass eins plus eins zwei ergibt, merkt er sich das - allerdings ohne zu verstehen, worin der Sinn liegt. In seiner Schule kann er sich nicht an die Klassenordnung halten und stillsitzen. Wenn er sich aber über etwas aufregt, spricht er plötzlich normal, aber nur kurze Sätze. Wenn es schulische Veranstaltungen gibt wie ein Sommerlager, kann Florenz nicht für längere Zeit mit anderen zusammenbleiben. Er steht meistens am Rand der Menschenmenge, spielt und redet mit sich selbst. Wenn er kein Spielzeug hat, ist er zum Beispiel von Wasserhähnen, Rolltreppen oder der Automatik von Türen fasziniert. Es ist als ob er in einer eigenen Welt leben würde. Deswegen wird Autismus auch "Krankheit des Alleinseins" genannt.

Keine Eigenständigkeit
Gestern war der weltweite Tag des Autismus. Über 400 000 000 Menschen leiden an dieser unheilbaren Krankheit. Von 110 Kindern ist ein Kind ein Autist. Autismus ist eine geistige Störung, die die Entwicklung des Gehirns nicht zulässt. "Einen Autisten aufzuziehen, ist schwieriger als drei normale Kinder", sagt seine Mutter. Wenn man Florenz nicht hilft, selbstständig zu werden, wird er nicht von der Seite seiner Eltern weichen können.

Weil wir sehr weit auseinander wohnen und ich nicht mehr in die gleiche Schule wie Florenz gehe, ist meine Hilfe begrenzt. Ich rufe noch ab und zu bei ihm an. Beim letzten Mal war ich sehr überrascht, als er am Telefon fragte: "Was ist los?" Er geht jetzt in die vierte Klasse und am Nachmittag macht er Therapien. Florenz liebt es, zu schwimmen. Der Sport ist ihm eine große Hilfe bei seiner Krankheit.

Florenz' Geschichte hat uns gesagt: Ein Autist kann zwar nicht richtig sprechen und sich mit anderen verständigen, aber sie können die Fürsorge eines anderen spüren. Florenz' Blicke sind unbeständig. Aber wenn man ihm hilft, ist sein Blick auf dich gerichtet und er zeigt, was er braucht. Er braucht das Verständnis der Menschen und will aufgenommen werden.
Florenz kann sich noch an mich erinnern. Seine Mama sagt, dass er immer meinen Namen sagt, wenn sie an unserer U-Bahn-Station vorbeifahren. Ich bin für ihn ein Kumpel. Und er ist mein Kumpel. In den Osterferien lud ich ihn ein. Wir haben nach Ostereiern gesucht und Klavier gespielt. Florenz nimmt immer noch Klavierstunden.