[Frei]stunde!

Als Skaten politisch war


Mirko Mielke war in den 80er Jahren ein Star der DDR-Rollbrett-Szene. "This Ain't California" erzählt die Geschichte der Rollbrettfahrer in Ost-Berlin. (Foto: Markus Heine, dpa)

Mirko Mielke war in den 80er Jahren ein Star der DDR-Rollbrett-Szene. "This Ain't California" erzählt die Geschichte der Rollbrettfahrer in Ost-Berlin. (Foto: Markus Heine, dpa)

Von Redaktion idowa

Münster/Berlin. (dpa) Jungs in bunten Hosen oder abgerissenen, superkurzen Jeans skaten durch eine Betonlandschaft, üben Sprünge unter dem Fernsehturm, rauchen und hören die "Sex Pistols". Es sind die 80er Jahre, und der Spaß der jungen Skater ist hochpolitisch. Denn sie skaten unter dem Berliner Fernsehturm, mitten in der Hauptstadt der damaligen DDR. Hier haut Marko Sladek alle mit seinem ersten Ollie um - einem Trick, bei dem das Skateboard im Sprung an den Füßen des Skaters zu kleben scheint.

Wie genau der Ollie funktioniert, erzählt Sladek in dem Film "This ain't California", der seit gestern in den Kinos läuft. Der Dokufilm erzählt mit einzigartigem Filmmaterial eine besondere Geschichte der DDR: die des Skateboard-Sports. Oder Rollbrettfahrens, wie das Ganze offiziell von den Sportfunktionären genannt wurde. Die Hauptfigur des Films ist Denis "Panik" Paraceck. Sein Vater will aus ihm einen Profi-Schwimmer machen. Doch Denis trifft die Nachbarjungs Nico und Dirk mit einem Rollbrett und schließt sich ihnen an. Beim Skaten kann er sein eigenes Ding machen und den Drill des Leistungssports vergessen. In Super8-Filmsequenzen, die die Jungs damals selbst gedreht haben, sieht man sie steile Wege herabrasen und durch Wälder fahren.

Viele der Kinder und Jugendlichen von damals kommen im Film als heute Erwachsene zu Wort. "Durch das Skaten sind wir Kinder geblieben. Da gab es keine Gewinner und Medaillen. Wir konnten einfach unser Ding machen", erzählt Sladek in Münster, wo der Film gezeigt wird. Irgendwann schmeißt Denis das Schwimmen hin, später verlässt er seine Familie und zieht als Jugendlicher zu Nico nach Ostberlin. Dort werden ihre Aktionen politisch. "So war die DDR einfach nicht gestrickt", sagt Nico in dem Film. So lässig, cool und aufmüpfig. Die Skater werden von der DDR-Staatssicherheit überwacht. Der Staat versucht, Skateboardfahren zum offiziellen Sport zu machen - mit Vereinen, Förderung und Werbung im Fernsehen.

1988 schaffen es die Skater vom Alex, zur ersten Euroskate-Meisterschaft nach Prag zu reisen. Dort treffen sie auf Skater aus ganz verschiedenen Ländern - ein prägendes Erlebnis für die DDR-Jugendlichen, die in viele Länder nicht reisen dürfen. Auch Skate-Guru Titus Dittmann aus Münster ist in Prag dabei. Er hatte den Trendsport aus den USA nach Westdeutschland und Europa gebracht. Und während Titus schon hochmoderne Boards baut, fahren die Jungs im Osten manchmal auf alten Kuchenbrettern mit Rollen herum. Zu den Skatern aus Westdeutschland halten die Jugendlichen Kontakt, es werden sogar Boards nach Ostberlin geschmuggelt. Denis, den die Skater inzwischen nur "Panik" nennen, wird zu einer Art Anführer. Die Wohnung, in der er mit Nico haust, wird zur Skaterbude - wilde Partys, Sex und Saufgelage inklusive. 1989 verhaftet die Staatssicherheit "Panik" bei einem Treffen mit westdeutschen Skatern. Die Nacht des Mauerfalls verbringt Denis im Gefängnis. Ihm ist der Film gewidmet. Denn Denis lebt inzwischen nicht mehr, er ist als Bundeswehrsoldat in Afghanistan gestorben.