Bayern

Aufrüsten in München: Münchner kaufen immer mehr Waffen

Fast 70.000 legale scharfe Schusswaffen gibt es in der Stadt. Besonders Schreckschusspistolen sind beliebt und das vor allem bei Männern. Gründe dafür gibt es viele. Corona ist nur einer davon.


Ein Verkäufer in einem Waffengeschäft zeigt eine Schreckschusspistole vom Typ Walther P 88 Compact Kaliber 9 mm PAK. Vom scharfen Original ist sie optisch kaum zu unterscheiden.

Ein Verkäufer in einem Waffengeschäft zeigt eine Schreckschusspistole vom Typ Walther P 88 Compact Kaliber 9 mm PAK. Vom scharfen Original ist sie optisch kaum zu unterscheiden.

Von Ralph Hub

München - In der Stadt, aber auch im Landkreis wird kräftig aufgerüstet. Vor allem Schreckschusswaffen sind in Mode. Mehr als 11.600 Männer und Frauen haben den kleinen Waffenschein, der zum Besitz von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen berechtigt.

Knapp 70.000 legale scharfe Schusswaffen gibt es in der Stadt und im Landkreis München. Alleine im Stadtgebiet waren es 2022 nach Angaben des Kreisverwaltungsreferats 45.551 scharfe Waffen, die auf 9176 Besitzer verteilt sind.

86 Prozent aller Waffenbesitzer sind Männer

Auffallend ist, dass das Thema Waffen ein Geschlecht ganz besonders stark fasziniert: 86 Prozent aller Waffenbesitzer sind laut KVR-Statistik Männer, dagegen besitzen nur 14 Prozent aller Münchnerinnen eine Schusswaffe.

Kosten nicht die Welt: frei verkäufliche Schreckschusspistolen in der Auslage eines Waffengeschäfts.

Kosten nicht die Welt: frei verkäufliche Schreckschusspistolen in der Auslage eines Waffengeschäfts.

"Die Zahl derjenigen in der Stadt, die scharfe Schusswaffen besitzen, ist in den vergangenen knapp zehn Jahren relativ konstant geblieben", betont KVR-Sprecher Julien Chauve.

Im Landkreis sind es immerhin 24.254 scharfe Waffen. Nur drei Privatpersonen besitzen laut Landratsamt einen Waffenschein. "Die überwiegende Zahl an Waffenscheinen läuft auf Firmen, die Personenschutz oder bewaffneten Objektschutz betreiben wie Werttransporte", sagt Landratsamtssprecherin Christine Spiegel.

Die Zahl der kleinen Waffenscheine hat sich in weniger als zehn Jahren mehr als verdoppelt

Auf dem Gebiet der Schreckschusswaffen wird weitaus extremer aufgerüstet - ganz besonders stark in den letzten Jahren. Laut KVR gab es 2014 in München 3308 kleine Waffenscheine. 2022 waren es 8658 - die Zahl hat sich in weniger als zehn Jahren also mehr als verdoppelt. Der kleine Waffenschein berechtigt zum Führen einer PTB-Waffe in der Öffentlichkeit.

In der Statistik sticht beim Vergleich der Daten ein Jahr besonders hervor: 2016 stieg die Zahl der kleinen Waffenscheine in München auf 5755, im Jahr davor waren es noch deutlich weniger - nämlich 3552. Alleine im Jahr 2016 hat das KVR 2306 kleine Waffenscheine ausgestellt, 2015 waren es nur 304.

Der Trend zum kleinen Waffenschein in München: 6636 (2017), 7121 (2018), 7574 (2019), 8076 (2020), 8403 (2021). Nach 2016 stieg die Zahl der ausgestellten kleinen Waffenscheine nicht mehr ganz so schnell. 2022 kamen 658 hinzu, insgesamt waren es vergangenes Jahr 8658 kleine Waffenscheine.

Angst scheint der Grund zu sein. Doch die Entwicklung der Kriminalität erklärt diese kaum

Manche haben offenbar Angst und wollen sich schützen. Die Entwicklung der Kriminalität erklärt das kaum: München ist eine der sichersten Großstädte.

Noch auffallender ist die Zunahme im Landkreis: Gab es dort 2013 lediglich 960 kleine Waffenscheine, haben inzwischen 2991 Personen einen kleinen Waffenschein. Die verteilen sich auf 2460 Männer und 531 Frauen.

Wer einen kleinen Waffenschein beantragt, muss keine Angaben zu seinen Beweggründen machen. Daher ist es schwer zu sagen, warum immer mehr eine PTB-Waffe haben wollen.

Klar ist, es geht um den eigenen Schutz, um das persönliche Sicherheitsempfinden. Auffallend ist, dass vor allem Männer zu Waffen tendieren und weniger die Frauen. Das gilt sowohl für PTB- als auch für scharfe Waffen.

Auch die Silvesternacht 2015 in Köln erklärt, warum mehr Menschen Waffen tragen wollen

Den starken Anstieg 2016 beim kleinen Waffenschein bringen Experten in Verbindung mit den Vorfällen in der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte, dabei kam es zu vielen sexuellen Übergriffen.

Aber auch Corona könnte mit dem Anstieg zu tun haben, vermuten Fachleute. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Maskenzwang - viel Stoff, um alte Verschwörungsmythen zu befeuern und neue zu erfinden.

Survival-Tipps von Influencern im Internet sind gefragt. Mancher Reichsbürger träumt vom Umsturz, Prepper bereiten sich auf den Untergang der Zivilisation vor, sie horten Ausrüstung und Lebensmittel.

Inflation, Lieferengpässe, die Pandemie: Gründe, sich zu sorgen, gibt es viele

"Beschränkungen im Alltag, Versorgungsengpässe bei Produkten wie Toilettenpapier und Speiseöl schüren Ängste. Viele haben das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren", vermuten Sicherheitsexperten. Dazu kam 2022 der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der die Inflation anheizt und Preise für Strom, Gas und andere Energieträger in die Höhe treibt.

Vor Volksaufständen, einem "Hassherbst" und einem "Wutwinter" warnte manch einer. Nichts davon ist eingetreten. Doch manche denken offenbar noch immer, dass sie besser vorsorgen sollten, deshalb dürfte die Zahl der kleinen Waffenscheine vermutlich auch in diesem Jahr weiter steigen.

Wie viele PTB-Waffen es tatsächlich in München gibt, lässt sich schwer abschätzen

Wie viele Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen es tatsächlich in München gibt, lässt sich verlässlich kaum abschätzen. Von rund 300 000 PTB-Waffen war schon vor etwa fünf Jahren die Rede. Kaufen darf sie jeder ab dem 18. Lebensjahr, "PTB-Waffen werden nicht registriert", sagt KVR-Sprecher Julien Chauve, "weshalb das KVR keine Angaben zum Bestand dieser Waffen geben kann."

Von ihren Waffen trennen wollen sich die Münchner ungern. Von mehr als 45 000 registrierten scharfen Waffen sind nur 162 im vergangenen Jahr in München freiwillig von ihren Besitzern zurückgegeben worden. Im Landkreis ist es ähnlich. Christine Spiegel: "Waffen werden insbesondere im Zusammenhang mit einem Erbfall abgegeben."

Stichwort Schreckschusswaffe: Was sie so gefährlich macht

Schreckschusswaffen, sogenannte PTB-Waffen, sehen scharfen Waffen zum Verwechseln ähnlich. Genau das macht sie bei manchen Leuten so begehrt. Menschen, die damit in der Öffentlichkeit hantieren, lösen immer wieder große Polizeieinsätze aus.

Ein 45-jähriger Krankenpfleger hielt am vergangenen Dienstag einem Uber-Chauffeur während der Fahrt nach Solln seine Schreckschusswaffe vor die Nase. Der 32-Jährige informierte die Polizei. Eine schwer bewaffnete Spezialeinheit der Polizei (SEK) stürmte die Wohnung des Verdächtigen. Dabei bedrohte der Krankenpfleger die Beamten mit einer PTB-Waffe.

Er wurde überwältigt und in die Psychiatrie eingewiesen. Der Mann besaß zwei Schreckschusswaffen plus Munition, aber nicht den kleinen Waffenschein.

Im März hantierten beispielsweise zwei betrunkene Männer in den U-Bahnhöfen in Freimann und am Max-Weber-Platz mit ihren Schreckschusswaffen. Einer ballerte in die Luft, der andere zielte auf Menschen. Zeugen schlugen Alarm. Polizisten mit gezogenen Dienstwaffen überwältigten die beiden Waffenfans.

Im November löste ein Student mit Schreckschusswaffe einen Polizeieinsatz aus

Im November 2022 löste ein Student an der LMU einen Polizeieinsatz aus. Der Sohn eines CSU-Landtagsabgeordneten saß mit seiner Schreckschusspistole im Gürtelholster in einem voll besetzten Hörsaal in einer Vorlesung. "Nach dem Waffengesetz ist es beim kleinen Waffenschein nicht explizit so geregelt", sagt Polizeisprecher Sven Müller, "dass Schreckschusswaffen nur verdeckt geführt werden dürfen."

In München und dem Landkreis wurden laut aktuellem Sicherheitsreport, den die Polizei im März vorstellte, im vergangenen Jahr 88 Fälle gemeldet, bei denen eine Schusswaffe verwendet wurde. In 58 Fällen drohte der Waffenbesitzer damit, in 30 Fällen, so die Statistik, wurde geschossen. Insbesondere bei Raub und räuberischer Erpressung (34 Fälle) und bei Bedrohung (16 Fälle) wurde laut Polizei eine Schusswaffe verwendet.

Zuletzt vergangene Woche bei einem Überfall in Putzbrunn: Ein Münchner (18) wollte mit einer Schreckschusswaffe eine Tankstelle ausrauben.

Anfang 2022 gab es eine Serie mit elf Raubüberfällen auf Tankstellen

Anfang 2022 gab es in München eine Serie von elf Raubüberfällen auf Tankstellen im Stadtgebiet. Der Täter bedrohte die Angestellten mit einer Schreckschusswaffe. Im vergangenen Dezember wurde der Beschuldigte (26) in München von einem Richter zu einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Im Einzelnen wurde 2022 laut aktuellem Sicherheitsreport bei sieben Tötungsdelikten, sieben gefährlichen oder schweren Körperverletzungen und neun Sachbeschädigungen mit Waffen geschossen.

Das Messer bleibt aber weiterhin die häufigste Waffe

Die am häufigsten verwendeten Waffen in München sind allerdings Messer. Im Bereich der Gewaltkriminalität wurden 2022 laut Polizei 188 Delikte mit einem Messer begangen. Darunter 112 Fälle der gefährlichen bzw. schweren Körperverletzung.