Straubinger Tagblatt

"Schämen muss sich nur einer: der Täter"


Susanne Preusker war sieben Stunden in der Gewalt eines Sexualstraftäters.

Susanne Preusker war sieben Stunden in der Gewalt eines Sexualstraftäters.

Von Redaktion idowa

Die Katastrophe passiert zehn Tage vor ihrer Hochzeit: Gefängnispsychologin Susanne Preusker, Leiterin der sozialtherapeutischen Abteilung in der Straubinger Justizvollzugsanstalt, wird im April 2009 von einem inhaftierten Sexualstraftäter sieben Stunden lang als Geisel genommen, mehrfach vergewaltigt und mit dem Tode bedroht. Am heutigen Mittwoch erscheint ihr mutiges Buch "Sieben Stunden im April". Darin schildert die 51-Jährige schonungslos, was sie während der Geiselnahme durchleiden musste und wie sie mit diesem Trauma umgeht. Am Mittwoch, 5. Oktober, stellt sie ihr Buch bei Bücher Pustet vor. Wir sprachen mit ihr über die schrecklichen Erlebnisse in der JVA, über die Enttäuschung, dass ihr an ihrem Arbeitsplatz nicht die nötige Sicherheit geboten wurde, und auch über ihren großen Wunsch, wieder einmal das Meer zu sehen.

Straubinger Tagblatt: In Ihrem Buch "Sieben Stunden im April" erzählen Sie von einem Gespräch mit einem Therapeuten. Sie fragen ihn, ob Sie wieder gesund sein werden - und wieder die Alte sein werden. Er antwortet: "Gesund: ja - die Alte: nein." Hatte er damit aus heutiger Sicht Recht?
Susanne Preusker:Ja, das hatte er. Es ist ja vieles eine Frage des Bezugspunktes. Verglichen mit, sagen wir mal März 2009, bin ich immer noch ziemlich angeschlagen. Verglichen mit Sommer 2009 und dem darauffolgenden Winter, also mit der Zeit unmittelbar danach, geht es mir gut, bin ich nahezu gesund. Die Alte, also die, die ich mal war, bin ich nicht mehr und werde es auch nie wieder sein.

Können Sie das näher erläutern?
Lassen Sie es mich so erklären: Kurz bevor der Täter die Tür aufgemacht hat, kam es noch zu einer auch aus meiner heutigen Sicht äußerst gefährlichen Sequenz. Ich habe in dieser Situation zu ihm gesagt: "Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Bringen Sie mich um, wenn Sie das wollen. Es ist mir egal. Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr." Das habe ich zu ihm gesagt und ich habe es auch genauso gemeint. Es war mir wirklich egal, was passierte, ich konnte nicht mehr um mein Leben kämpfen, ich hatte keine Kraft mehr. Und ich glaube, wenn man einmal an einem solchen Punkt war, bereit war, mit seinem Leben abzuschließen, verändert man sich für immer. Ich bin in diesem
"Ich fühle mich selten sicher, bin immer auf der Hut, immer wachsam."
Wie sehr beeinflussen die Erlebnisse von damals Ihr "neues" Leben?
Zunächst: Dieses neue Leben gäbe es ohne die Erlebnisse aus April 2009 gar nicht. Insoweit ist die Beeinflussung natürlich außerordentlich groß. Mit anderen Worten: Wäre das alles nicht passiert, säße ich jetzt wahrscheinlich in meinem Dienstzimmer in der JVA und würde irgendetwas arbeiten. Und Sie würden jemand anderes interviewen. Im Detail liegt die Beeinflussung darin, dass ich nach wie vor ein Problem mit geschlossenen Räumen habe, ich brauche immer die Gewissheit, jederzeit und überall sofort rauskommen zu können. Manchmal habe ich noch das, was ich in meinem Buch das "Watte-Gefühl" nenne, Eindrücke von Unwirklichkeit und Entfremdung. Richtig schwere Panikattacken hatte ich schon lange nicht mehr. Geblieben ist aber die Befürchtung, sie könnten zurück kommen. Geblieben ist auch ein diffuses Bedrohungsgefühl. Ich fühle mich selten sicher, bin immer auf der Hut, immer wachsam. Das ist manchmal ziemlich anstrengend.

Schonungslos berichten Sie in Ihrem Buch, was Sie während der Geiselnahme durchleiden mussten. Sie sparen auch brutalste Details der Vergewaltigung nicht aus. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt in die Öffentlichkeit entschieden?
Das Schicksal, vergewaltigt worden zu sein, teile ich mit sehr vielen Frauen. So traurig das auch ist: Vergewaltigung ist nicht besonders selten, diese Form der sexuellen Gewalt ist, wie andere auch, gesellschaftliche Realität. Sie ist nicht abstrakt, sondern sehr konkret. Und eine konkrete gesellschaftliche Realität muss als solche klar benannt werden dürfen. Außerdem ist Kriminalität keine Privatsache, die nur Opfer und Täter etwas anginge. Ganz im Gegenteil: Unser Rechtssystem sieht die öffentliche Auseinandersetzung mit kriminellem Handeln vor. Im Namen des Volkes. Das ist das eine. Das andere ist, dass in diesen sieben Stunden nichts passiert ist, dessen ich mich zu schämen hätte. Schämen muss sich nur einer: der Täter.

"Sprachloses Entsetzen, gemischt mit Ekel, trifft es vielleicht am ehesten."
Als Sie von Ihrem Therapeuten nach Ihren Gefühlen gefragt werden, nennen Sie Traurigkeit, Schlaflosigkeit, Angst, Panik, Unruhe, "Wattegefühl", Albträume, Verlust von Überblick und Kontrolle. Wut nennen Sie nicht. Sind Sie heute wütend auf den Täter, der Ihnen Ihr altes Leben weggenommen hat?
Diese Frage macht mich sehr nachdenklich. Wenn ich in mich hinein höre, spüre ich keine Wut auf ihn. Wut wäre zu allgemein, Ärger zu wenig, Zorn zu mächtig. Ich habe kein Wort für das, was ich empfinde. Sprachloses Entsetzen, gemischt mit Ekel, trifft es vielleicht am ehesten.
Oder sind Sie wütend darauf, dass es überhaupt so weit kommen konnte und Ihnen an Ihrem Arbeitsplatz nicht die nötige Sicherheit geboten worden ist? Machen Sie heute jemandem Vorwürfe?
Auch hier ist Wut nicht der passende Begriff. Ich möchte es lieber Enttäuschung nennen. Enttäuschung darüber, dass diejenigen, die Sätze gesagt haben wie "Sie brauchen sich hier nicht um Sicherheitsfragen zu kümmern. Das ist mein Job" eben genau diesen Job nicht erledigt haben. Enttäuschung darüber, dass die Polizei immer da ist, wenn ich mal zu schnell Auto fahre oder falsch parke. In den Stunden, in denen es um mein Leben ging, war die Polizei auch anwesend. Aber leider nicht da. Ich erinnere mich an das Entsetzen und die Überraschung, als ich den Raum verlassen hatte. Wäre ich auf diesen paar Quadratmetern gestorben, wäre das Entsetzen noch größer gewesen, aber mitbekommen hätte es auch niemand. Eigenartig. Enttäuschend. Durch und durch befremdlich.
Wie gehen Ihre ehemaligen Kollegen mit der Situation um?
Das weiß ich nicht, ich hoffe aber, dass sich der Alltag meiner ehemaligen engsten Mitarbeiter wieder normalisiert hat. Ich hatte ein tolles Team. Und diese Menschen haben Normalität verdient. Was andere Kollegen betrifft: Der April 2009 ist ja nun schon recht lange her und ich gehe davon aus, dass der "Störfall Straubing" allmählich in Vergessenheit gerät, was nicht nur in Ordnung, sondern auch völlig normal ist. Es wäre natürlich schön, wenn der Eine oder die Andere aus den Fehlern, die zweifellos gemacht worden sind, etwas gelernt hätte. Zum Beispiel in Bezug auf Krisenmanagement im Allgemeinen. Oder auch einfach nur im Hinblick auf das, was man gemeinhin gutes Benehmen nennt.

"Die Lesung betrachte ich als Schlussakkord, als Abschied."
Nach den Vorfällen von damals sind Sie aus Straubing weggezogen. Ihre Lesung am Mittwoch, 5. Oktober, bei Bücher Pustet ist also auch eine Art Rückkehr an den Ort des Verbrechens. Welche Gefühle begleiten Sie?
Es war mein ausdrücklicher Wunsch, in Straubing zu lesen. In dieser Stadt habe ich sehr glückliche Jahre und die schlimmsten Stunden meines Lebens verbracht. Die Lesung betrachte ich als Schlussakkord, als Abschied von diesem Ort, der für mich immer etwas Besonderes bleiben wird, nämlich ein Symbol für mein altes Leben.
Der Untertitel Ihres Buches lautet "Meine Geschichten vom Überleben". Eine Geschichte ist, dass Sie zehn Tage nach der Geiselnahme wie geplant geheiratet haben. Wie sehr hat Ihnen die Hochzeit - und überhaupt Ihr Mann und Ihr Sohn - beim "Überleben" geholfen?
Mein Mann und mein Sohn haben mich spüren lassen, dass sie bedingungslos an meiner Seite stehen. Und vor mir und hinter mir. Beide haben mich in so viel Liebe und Unterstützung und Wertschätzung eingepackt. Beide haben mir dabei geholfen, wieder lachen zu können. Beide haben mir Mut gemacht, wenn ich dachte, nicht mehr weiter zu können. Und beide sind ihrer mühevollen Aufgabe, mich wieder auf die Füße stellen zu müssen, nie überdrüssig geworden. Als ich zu meinem Mann sagte, nun könnten wir nicht mehr heiraten, hat er erwidert: "Und nun erst recht." In diesen schlichten Worten steckte so viel Kraft und Stärke und Liebe und Entschlossenheit. Ich möchte nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn er anders reagiert hätte. Blicke ich heute zurück, kann ich sagen, dass ich viel Glück gehabt habe, von so wertvollen Menschen, dazu zählen übrigens auch meine engsten Freundinnen, umgeben gewesen zu sein. Ihnen habe ich viel zu verdanken. Niemandem sonst.

Sie haben Furchtbares erleben müssen - und trotzdem blicken Sie nach vorne. Sie haben ein Buch geschrieben, das Mut macht und Hoffnung gibt. Zum Schluss geben Sie sogar Rezepttipps - das erwartet man ja nicht unbedingt in einem Buch, das von schlimmen Verbrechen handelt. Inwiefern hat Ihnen gerade das Kochen geholfen?
Es gab im Jahre 2009 eine längere Phase, in der ich die Wohnung nicht verlassen konnte. Aber irgendwie musste ich die Zeit ja rumkriegen. Und Hunger hatten wir abends auch. Also habe ich angefangen, neue, auch kompliziertere Rezepte auszuprobieren. Das hat mich abgelenkt und manchmal getröstet. Aus diesem Grund habe ich einige Rezepte in das Buch übernommen. Andere tauchen auf, weil sie in engem Zusammenhang mit den erzählten Geschichten stehen. Dass der Gegensatz zwischen dem, was ich erzähle, und den Kochrezepten etwas, sagen wir mal - ungewöhnlich ist, war und ist mir bewusst. Aber dieser Gegensatz war gewollt - ich hatte nämlich schon immer eine tiefe Abneigung gegenüber Larmoyanz.
"Ich würde so gerne mal wieder fliegen. In die Sonne, ans Meer."
Als Ihr Mann sich wenige Tage nach der Geiselnahme wünscht, dass das alles nicht passiert wäre, meinen Sie, dass Wünsche nur etwas für kleine Kinder und Idioten sind. Sehen Sie das heute auch noch so - oder gibt es mittlerweile einen Wunsch in Ihrem neuen Leben?
Nein, das sehe ich heute ganz anders und das ist auch gut so. Und ja, Wünsche habe ich. Der größte ist: Ich würde so gerne mal wieder fliegen. In die Sonne, ans Meer. Aber ich traue mich nicht, weil - nun ja, es gibt wohl keinen abgeschlosseneren Raum als eine Flugzeugkabine in 10000 Meter Höhe. Und ich wünsche mir, auf die Frage, was ich denn beruflich mache, eine tolle Antwort parat zu haben, statt verlegen rum zu stottern. Vielleicht kann ich ja irgendwann mal selbstverständlich und stolz sagen: Ich schreibe Bücher. Das wäre schön.

Interview: Stefanie SobekINFO:

Das Buch
"Sieben Stunden im April" von Susanne Preusker ist ab dem heutigen Mittwoch, 14. September, im Buchhandel und auch im Leserservice des Straubinger Tagblatts, Telefon 09421/9406700, erhältlich. Am Mittwoch, 5. Oktober, 19.30 Uhr, stellt die Autorin ihr Buch bei Bücher Pustet vor. Außerdem ist Susanne Preusker am 14. September um 23.15 Uhr zu Gast bei Markus Lanz im ZDF.

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Susanne Preusker war sieben Stunden in der Gewalt eines Sexualstraftäters.

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