Landkreis Landshut

Ohne Medikamente vor Gericht: Psychisch kranker Asylbewerber stach auf Mitbewohner ein


Symbolbild: Mathias Adam

Symbolbild: Mathias Adam

Von kö

Würde sich in der Verhandlungspause nicht jemand wie Staatsanwalt Klaus Kurtz erbarmen und eine Butterbreze kaufen oder ein Polizist einen zusätzlichen Kaffee mitbringen, die Insassen des Bezirkskrankenhauses Mainkofen hätten den ganzen Prozesstag am Landgericht Landshut nichts zu essen und zu trinken.

Diese während vergangener Prozesse immer wieder zu beobachtende Tatsache allein lässt sich schon schwer nachvollziehen, aber wie man einen psychisch schwer kranken Menschen wie Nawab K., der täglich acht Tabletten zu sich nehmen muss, dann auch noch ohne seine Medikamente losschicken kann, ist absolut unverständlich. Der 36-jährige Afghane hat im Juli 2014 in der Asylbewerberunterkunft in Geisenhausen offensichtlich im Wahn auf einen Mitbewohner eingestochen. Wie gestört K. ist, konnte man am Donnerstag im Sitzungssaal 5 sehen: Völlig verängstigt versuchte er, Personen, die auf seinem Kopf saßen, runter zu wischen, wobei er sichtbar immer wieder scheiterte. Das Sicherungsverfahren gegen ihn vor der ersten Strafkammer wurde auf Anraten eines psychiatrischen Sachverständigen dann wegen Verhandlungsunfähigkeit auch ausgesetzt.

Im Wahn stach Nawab K. auf einen Mitbewohner ein

Laut Antragsschrift näherte sich Nawab K. am 12. Juli gegen 19.40 Uhr in der Gemeinschaftsküche der Asylbewerberunterkunft von hinten dem Geschädigten Hazrat O. Unvermittelt stach er diesem mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von sieben Zentimetern in das Gesicht.

Lesen sie hier: Streit unter Asylbewerbern eskaliert in Messerstecherei - Haftbefehl wegen versuchten Mordes

Nach der Tat entfernte sich Nawab K. mit den Worten, "Ich lasse Dich nicht, ich töte Dich". Während K. ein größeres Messer holen ging, gelang es einem Zeugen, die Türe zu versperren. Als die Polizei eintraf, rüttelte K. gerade an der verschlossenen Tür - mit dem Messer in der anderen Hand.

Hazrat O. war zur falschen Zeit am falschen Ort

Hazrat O. erlitt einen etwa zehn Zentimeter langen Schnitt schräg über die Wange bis zur Oberlippe, der mit elf Stichen genäht werden musste. Die Narbe, die der junge Mann davongetragen hat, war am Donnerstag deutlich zu sehen. Hazrat O. nahm an der Verhandlung als Nebenkläger teil. Seinem Rechtsanwalt Hubertus Werner zufolge hat er sich mit Nawab K. bis zum 12. Juli gut verstanden. Probleme zwischen den Männern habe es nie gegeben.

Das Motiv für die Tat sei ausschließlich die Krankheit von Nawab K. "Mein Mandant war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort." Auch die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass der in Kandahar geborene Mann aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Die Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Nawab K. selbst sagte, er könne sich an nichts erinnern; dann sprach er wieder davon, dass alles eine Lüge sei, wobei er offen ließ, was er mit alles meinte.

K. leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung

Psychiatern zufolge leidet K. an einer Mischform aus einer seit Jahren andauernden Persönlichkeitsstörung auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer organischen Persönlichkeitsstörung. Sein Verteidiger Dr. Thomas Krimmel deutete an, dass K. in seiner Heimat unvorstellbar Schreckliches erlebt hat, wollte das psychiatrische Gutachten aber nicht vorwegnehmen. Allerdings kam es nicht mehr dazu: Nachdem sowohl Krimmel als auch Werner der Kammer gegenüber Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit von K. geäußert hatten, ließ Vorsitzender Richter Konrad Lackner den 36-Jährigen von dem psychiatrischen Sachverständigen untersuchen.

Dr. Martin Flesch stellte eindeutige psychotische Symptome fest, die von Prozessbeginn an für alle Beteiligten deutlich sichtbar waren. Der Proband höre Stimmen, die sich an ihn wenden; auf seinem Kopf würden verschiedene Personen sitzen. Es herrsche ein "ängstlich-paranoid gefärbte Grundstimmung" bei K. vor, die durch eine Verhandlung nur noch verstärkt werden würde, so Flesch. Zudem könnten die Stimmen, die K. höre, seine Aussage beeinflussen. Fleschs Fazit: K. ist bis auf weiteres verhandlungsunfähig. Eine kurze bis mittelfristige Änderung seines Gesamtzustandes sei unwahrscheinlich, zumal eine gewisse Therapieresistenz bestehe.

Nawab K. scheint durch seine Flucht aus Afghanistan einer Hölle entkommen zu sein. Doch gegen das Inferno in seinem Kopf kommt er offensichtlich nicht an.